Zur Neujahrsansprache von Frau Merkel

„Wir“ schaffen das!

Von Birgit Gärtner

Deutschland ist ein starkes Land“ resümierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer diesjährigen Neujahrsansprache. So stark, so selbstbewusst, einig und frei wie nie zuvor – seit 25 Jahren: die niedrigste Arbeitslosigkeit, die höchste Erwerbsarbeit, innovative und prosperierende Wirtschaft, unsere Freiheit wird noch immer am Hindukusch verteidigt – und an vielen anderen Orten in der Welt, Weltmeister im Fußball und der Herzen, denn Herausforderung hin, Staatsschulden her: Wir schaffen das!

Und was wir so nicht schaffen, das schaffen wir mit Hilfe militärischer Abschirmung durch die „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union“, kurz Frontex. Und den Milliarden für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der Hitler-Deutschland für ein nennenswertes Präsidialsystem hält, und den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung binnen Wochen von der berechtigten Hoffnung auf endgültigen Frieden auf ein bislang nicht gekanntes Ausmaß an Brutalität gebracht hat. Der „uns“ aber im Gegenzug die Flüchtlinge vom Hals halten wird.

Die Pastorentochter aus Hamburg-Barmbek drückte sich in ihrer Alljahres-Predigt etwas anders aus: „Denn wir haben … ein umfassendes Konzept politischer Maßnahmen. National, in Europa und international arbeiten wir daran, den Schutz der europäischen Außengrenzen zu verbessern, aus illegaler Migration legale zu machen, die Fluchtursachen zu bekämpfen, und so die Zahl der Flüchtlinge nachhaltig und dauerhaft spürbar zu verringern.“ Was illegale Migration ist, und wie daraus mit „unserer“ Hilfe legale gemacht wird, darüber schwieg sich die Kanzlerin indes aus. Auch darüber, wie „wir“ die Fluchtursachen zu bekämpfen gedenken.

Seit Oktober 2015 gilt das

restriktivste Asylgesetz seit über 20 Jahren.

„Die Flüchtlinge“ zogen sich wie ein roter Faden durch die knapp siebenminütige Ansprache. „Am Silvesterabend vor einem Jahr habe ich gesagt: Eine Folge dieser Kriege und Krisen ist, dass es weltweit so viele Flüchtlinge gibt wie noch nie seit dem 2. Weltkrieg. … Es ist selbstverständlich, dass wir ihnen helfen, und Menschen aufnehmen, die bei uns Zuflucht suchen. Heute Abend wiederhole ich diesen Gedanken, weil es selten ein Jahr gegeben hat, in dem wir so sehr herausgefordert waren, Worten Taten folgen zu lassen. 2015 war so ein Jahr.“

Darauf folgte der Dank an alle, die ihrer Ansicht nach daran beteiligt waren, dass diesen Worten Taten folgten. Immer wieder kam Merkel auf ihr zweites Lieblingsthema zu sprechen – den 25. Jahrestag der Wiedervereinigung Deutschlands: „Ist es nicht großartig, wo wir heute, 25 Jahre später, stehen? Wir sind als Nation zusammengewachsen. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit und die höchste Erwerbstätigkeit des geeinten Deutschlands.“ Ein großer Teil der Bevölkerung – vor allem im Osten – wird diese Aussage nicht bestätigen wollen. Auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es ein starkes Gefälle zwischen Löhnen und Renten in Ost und West, verlassene Dörfer, ja, wie ausgestorben wirkende Regionen, weil die Mär der zusammengewachsenen Nation bei der Jugend im Osten noch nicht angekommen ist.

Trotzdem: Wir schaffen das! Davon lässt Merkel sich nicht abbringen. Zum Beispiel so: Am 4. September 2015 verständigte sich Merkel in einem nächtlichen Telefongespräch mit ihrem österreichischen Amtskollegen Werner Faymann darauf, die Flüchtlinge aus Ungarn ohne Kon­trolle passieren zu lassen. Am 13. September 2015, wurden an der Grenze der BRD zu Österreich generelle Personenkontrollen wieder eingeführt, um die Zahl der in der BRD ankommenden Flüchtlinge zu begrenzen. Am 24. September 2015 gab es eine „Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder zur Asyl- und Flüchtlingspolitik“, auf der die Vorlage für das am 18. 10. 2015 im Bundesrat abgestimmte „Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz“, das so genannte „Asyl-Paket“, beraten wurde. Damit wurde das restriktivste Asylgesetz seit 1993 durchgesetzt. Und somit der Grundstein gelegt für massenhafte Abschiebungen, die in ausnahmslos allen Bundesländern derzeit durchgeführt werden.

Für den vermeintlichen Akt der Humanität – die Grenzöffnung in der Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 – erntete Merkel viel Lob.

In der Realität sind die Behörden nicht in der Lage – und auch nicht Willens – die Geflüchteten menschenwürdig zu versorgen, zu betreuen und unterzubringen. Trotz entspannterer Wirtschaftslage – „der Bund hat schon zwei Jahre nacheinander keine neuen Schulden gemacht“ (Merkel) – bürdet die Bundesregierung die Kosten für Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten zu 4/5 den Ländern, und somit letztendlich den Kommunen auf.

Die ohnehin schon überlasteten Tafeln brechen unter dem Ansturm zusammen, und die karitativen Organisationen, die sich nicht in der Flüchtlingshilfe engagieren, klagen über einen Rückgang des Spendenaufkommens. Wartelisten für öffentlich geförderte Wohnungen verlängern sich, da auf Anweisung der Behörden außerplanmäßig Flüchtlinge untergebracht werden müssen. Die Kommunen, die den Großteil der entstehenden Kosten stemmen müssen, werden an anderer Stelle Abstriche machen, z. B. beim Ausbau von KiTa-Plätzen, Förderung von Breitensport oder schlicht Reparaturen auf öffentlichen Spielplätzen, Einsparung bei Personal, etc. Das wird wiederum diejenigen treffen, die auf öffentliche Unterstützung angewiesen sind.

Um nicht missverstanden zu werden: Das alles passiert, aber es ist nicht die Schuld der Flüchtlinge. Die unbegrenzte und dauerhafte Aufnahme von Flüchtlingen ist alternativlos. Die damit verbundenen Kosten denen aufzudrücken, die eh nichts haben, nicht. Sondern sind politisch gewollt. Und stehen den schönen Worten der Kanzlerin diametral entgegen: „Es kommt darauf an, dass wir uns nicht spalten lassen. Nicht in Generationen. Auch nicht sozial.“ Die soziale Spaltung der Gesellschaft ist vorhanden, und wird sich verschärfen.

„Es kommt darauf an, dass wir uns nicht spalten lassen“, betonte die Kanzlerin, „… nicht in Alteingesessene und Neubürger. Es kommt darauf an, denen nicht zu folgen, die mit Kälte oder gar Hass in ihrem Herzen, ein Deutschsein allein für sich reklamieren und andere ausgrenzen wollen.“ Mit Verlaub, Frau Bundeskanzlerin, da würde ich doch vorschlagen, wir bringen die von ihnen so gepriesenen Gesetze zur Anwendung, und verbieten denen „ mit Kälte oder gar Hass in ihrem Herzen“, dass sie überhaupt loslaufen können. Dann kann ihnen auch niemand folgen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"„Wir“ schaffen das!", UZ vom 8. Januar 2016



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit