Raus aus dem Sektierertum oder Spalten zum Regieren – was bedeutet Aufstehen für die Linkspartei?

Neue Sammlung, neue Lager

Von Olaf Matthes

Worum geht es im Streit in der Linkspartei, der sich mit der Gründung von Sahra Wagenknechts Projekt „Aufstehen“ wieder zugespitzt hat? Schon darüber sind sich die verschiedenen Akteure nicht einig. „Vielleicht haben wir mit ‚Aufstehen‘ mal wieder die Möglichkeit, mehr über Löhne und Renten zu reden – und über die NATO-Truppen an der russischen Grenze“, hofft Diether Dehm. Es geht darum, „vom Zentrum des werktätigen Alltagsverstands zu dessen Randthemen zu kommen, anstatt ewig umgekehrt“. Er sitzt für die Linkspartei im Bundestag und begleitet die Sammlungsbewegung, die Wagenknecht am vergangenen Dienstag präsentiert hat, „mit viel Sympathie“, ohne Mitglied zu sein. Er sagt: Ein guter Teil der Kritik an Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine gehe von „Trotzkisten“ aus, „die zwar programmatisch links von Bakunin schwadronieren, aber tagespolitisch da sind, wo die NATO steht – was Gaddaffi-Sturz, Maidan und anderen Regimechange anbetrifft. Die Sekten grollen halt immer, wenn Antiimperialismus Schritte in die Breite versucht“. Wenn die Linkspartei diesen Weg schon früher eingeschlagen hätte, schätzt Dehm ein, „wäre die AfD längst einstellig und hätte der demoskopische Niedergang der SPD nach links über 15 Prozent gebracht. Es gibt da ja große Übereinstimmungen zwischen Linkspartei, SPD-Linken – und übrigens auch mit der DKP, die mit beiden Flügeln lange Bündniserfahrungen hat. Ihr verdanken wir viel von der damaligen Sammlungsbewegung gegen die Atomraketen, den Krefelder Appell.“

Für Tobias Pflüger, stellvertretender Parteivorsitzender und ebenfalls Bundestagsabgeordneter, gehen die Übereinstimmungen zwischen „Aufstehen“ und SPD-Linken eher zu weit: „Aufstehen“ sieht er als „neuen sozialdemokratischen Aufguss“.

Die Grenzen der Strömungen in der Linkspartei haben sich verschoben, die Debatte verläuft schon lange nicht mehr an den alten Linien von „Reformern“ und Gegnern von Regierungsbeteiligungen. Zu Wagenknechts scharfen Kritikern gehören auch Anhänger des linksliberalen Koalitionskurses, den die Linkspartei in Berlin oder Thüringen vertritt. Für Pflüger ist dieser Konflikt ein Konflikt über den Weg in die Ministersessel: „Es gibt kein einheitliches Lager für Regierungsbeteiligungen. Über die Form, wie man das machen will, gibt es heftigste Auseinandersetzungen.“ Wagenknechts Programm nennt er „just another Regierungsprojekt“ – und macht das am Verhältnis der Linkspartei zur SPD fest: „Aufstehen“ setze große Hoffnungen darauf, durch Druck von außen die SPD und die Grünen, aber auch die Linkspartei verändern zu können und dadurch auch parlamentarische linke Mehrheiten möglich zu machen. Deshalb sieht Pflüger hinter den oberflächlich neuen Konfliktlinien de facto die alten.

Es gebe, sagt Pflüger, klare Beschlusslagen in der Linkspartei, auch auf dem letzten Parteitag. „Aber die Debatte in der Fraktion kenne ich nur noch so: Man lässt die Leute diskutieren und macht dann als Fraktionsvorsitzende was man will.“ Zum Beispiel zur Frage der Migration: Wagenknechts Äußerungen widersprechen in vielem den Parteibeschlüssen, die Bundestagsfraktion hat darüber diskutiert, ihr Auftreten hat Wagenknecht nicht verändert. Der neben Wagenknecht zweite Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch verhalte sich unklar, im Wesentlichen stütze er aber dieses Vorgehen. Die Fraktion sei durch die Debatten um Wagenknecht gespalten, sagt Pflüger.

Wagenknecht verspricht eine breite Sammlung gegen Rechts – und grenzt sich von allem „Linksliberalen“ weit genug ab, dass sie zum Beispiel für Flüchtlingsunterstützer ein rotes Tuch ist. Sie benennt klarer als andere die Rolle der deutschen Monopole und der deutschen Regierung als Ursache der Massenmigration – und verbreitet die Hoffnung, dass sich daran etwas ändern könne, wenn linker Druck andere Mehrheiten im Bundestag ermöglicht. Die „Aufstehen“-Gründung wird weder die Organisation der Linkspartei stärken noch die marxistischen Kräfte in der Partei. Vielleicht bringt sie eine neue Wahloption hervor. Die DKP hat deutlich gemacht: Sollte „Aufstehen“ statt dessen dazu führen, dass sich Menschen für ihre Interessen bewegen, dann wird sie das unterstützen.

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"Neue Sammlung, neue Lager", UZ vom 7. September 2018



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