Lucas Zeise führt in die Wunder der Spekulation ein – und in die wenig erfreuliche Perspektive, die der Imperialismus bi

Zu sich selbst gefunden

Von Olaf Matthes

zu sich selbst gefunden - Zu sich selbst gefunden - - Kultur

Lucas Zeise

Finanzkapital

PapyRossa Basiswissen

135 S., 9,90 Euro

Zu bestellen unter

neue-impulse-verlag.de

Der Kapitalismus hat wieder zu sich selbst gefunden. Lucas Zeise, Finanzjournalist und früherer Chefredakteur dieser Zeitung, erklärt in einem schmalen Band, was das bedeutet. Sein in der Reihe „PapyRossa Basiswissen“ neu erschienenes Buch „Finanzkapital“ liefert damit eine nützliche Einführung in die marxistische Theorie vom Kapitalismus unserer Zeit – oder aber das Material, um genauer zu verstehen, was Lenin in seiner Imperialismusschrift beschreibt. Die Eigenschaften des Monopolkapitalismus sind „bedauerlicherweise in den Grundzügen so, wie Lenin und Hilferding sie beschrieben haben. Ein Zweck dieses Buches ist es, die in die Jetztzeit reichenden ökonomischen Grundzüge nachzuzeichnen“.

Zeise setzt an mit der Art und Weise, wie neues Geld heute entsteht. Über diese Form der Geldschöpfung lesen wir weder bei Lenin noch in der von Lenin als Grundlage verwendeten Schrift „Das Finanzkapital“ von Rudolf Hilferding – weil dieser Mechanismus der Geldschöpfung zu ihrer Zeit noch nicht herangereift war. „Im zeitgenössischen Kapitalismus verwalten die Geschäftsbanken nicht nur das Geld. Sie produzieren es auch“ – sie vergeben Kredite, die unmittelbar als Forderungen auf ihren und Guthaben auf dem Konto des Kreditnehmers erscheinen. Sie sind damit Geld – Buch- oder Giralgeld. Die Zentralbanken ermöglichen diese private Geldschöpfung der Banken, indem sie diesen wiederum die nötigen Kredite einräumen.

Lenin beschreibt, wie die Banken mit dem Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus „aus bescheidenen (Zahlungs-)Vermittlern zu allmächtigen Monopolinhabern“ anwachsen. Es entsteht, was Hilferding Finanzkapital nennt: „Kapital in der Verfügung der Banken und in der Verwendung der Industriellen.“

Zeise stellt dar, in welcher Form sich diese damals neue Rolle der Banken heute verwirklicht, auf welche Weise sie die Bewegungen des Kapitals entscheiden – schon allein deshalb, weil sie dem Industriekapital die nötigen Kredite zur Verfügung stellen. Der so entstandene Kapitalmarkt sei in der Gesamtbetrachtung der kapitalistischen Produktion zentral – „hier ist die herrschende Klasse unter sich und hier findet der Ausgleich der Profitraten statt, der dem Wertgesetz zum Durchbruch verhilft und zugleich über die Investitionen des Gesamtkapitals und damit die ökonomische Entwicklungsrichtung der vom Kapital beherrschten Gesellschaft entscheidet“. Verständlich zu machen, wie dieser Kapitalmarkt funktioniert, welche Rolle die Notenbanken für die Macht des Kapitals und die Währungen für die imperialistische Konkurrenz spielen, in welchem Verhältnis Hedge- und andere Fonds zu anderen Teilen des Kapitals stehen – das gehört zu den besonderen Stärken des Bandes. Leser dieser Zeitung und der „jungen Welt“, die Zeises Beiträge dort kennen, überrascht das nicht – einzelne seiner Kolumnen waren nützlich genug, um sie gleich vollständig in das Buch zu übernehmen.

Im Vorbeigehen streift er dabei die Kontroversen, die linke Theoretiker über die Funktionsweise des heutigen Kapitalismus austragen: Leben wir unter einem „finanzmarktdominierten Kapitalismus“? Kann die nächste Krise vermieden werden, wenn das Heuschrecken-Casino reguliert wird? Sicher nehme die Bedeutung spekulativer Finanzgeschäfte zu – allerdings zeigt Zeise an der historischen Entwicklung in den verschiedenen imperialistischen Zentren, dass diese Dynamik aus der Kapitalverwertung selbst entsteht. „Die Monopole üben ihre Herrschaft damals und heute über die Kontrolle des Kapitalmarkts aus.“ An der historischen Schilderung zeigt Zeise, dass die („mangels eines besseren Ausdrucks“) „Periode des Klassenkompromisses“ vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die 1970er Jahre, die von keynesianischer Politik und gemäßigter Ausbeutung geprägt war, in der Entwicklung des Kapitalismus eine „Ausnahmeperiode“ war – und keine Regel, zu der zurückzukehren linker Politik eine Perspektive bieten könnte.

Zeises Band soll helfen, den Anschein zu überwinden, der nach der Konterrevolution aufkam: dass die marxistische „Analyse des Kapitalismus alt und überholt“ aussah. Frank Deppe und andere führen in derselben Reihe „Basiswissen“ in den Begriff des „Imperialismus“ ein – mit ähnlichen Positionen, wie sie Lenin bei Karl Kautsky bekämpft hat: Imperialismus sei keine Epoche „oder gar das höchste Stadium“ des Kapitalismus, sondern eine bestimmte Form der Politik, aus Kautskys „Ultraimperialismus“ wird bei ihnen ein „asymmetrischer Ultraimperialismus“ unter Dominanz der USA. Zeise dazu: „Das scheint mir eine ausgesprochen defensive Lösung des Problems zu sein.“ Die offensive Lösung, die er dagegen setzt: Er beschreibt konkret, dass neue Krisen und die Gefahr eines Weltkrieges aus der kapitalistischen Akkumulation entstehen, aus den „Wundern der Spekulation“, die der Kapitalmarkt hervorbringt.

Der Kapitalismus hat wieder zu sich selbst gefunden. Lucas Zeise, Finanzjournalist und früherer Chefredakteur dieser Zeitung, erklärt in einem schmalen Band, was das bedeutet. Sein in der Reihe „PapyRossa Basiswissen“ neu erschienenes Buch „Finanzkapital“ liefert damit eine nützliche Einführung in die marxistische Theorie vom Kapitalismus unserer Zeit – oder aber das Material, um genauer zu verstehen, was Lenin in seiner Imperialismusschrift beschreibt. Die Eigenschaften des Monopolkapitalismus sind „bedauerlicherweise in den Grundzügen so, wie Lenin und Hilferding sie beschrieben haben. Ein Zweck dieses Buches ist es, die in die Jetztzeit reichenden ökonomischen Grundzüge nachzuzeichnen“.

Zeise setzt an mit der Art und Weise, wie neues Geld heute entsteht. Über diese Form der Geldschöpfung lesen wir weder bei Lenin noch in der von Lenin als Grundlage verwendeten Schrift „Das Finanzkapital“ von Rudolf Hilferding – weil dieser Mechanismus der Geldschöpfung zu ihrer Zeit noch nicht herangereift war. „Im zeitgenössischen Kapitalismus verwalten die Geschäftsbanken nicht nur das Geld. Sie produzieren es auch“ – sie vergeben Kredite, die unmittelbar als Forderungen auf ihren und Guthaben auf dem Konto des Kreditnehmers erscheinen. Sie sind damit Geld – Buch- oder Giralgeld. Die Zentralbanken ermöglichen diese private Geldschöpfung der Banken, indem sie diesen wiederum die nötigen Kredite einräumen.

Lenin beschreibt, wie die Banken mit dem Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus „aus bescheidenen (Zahlungs-)Vermittlern zu allmächtigen Monopolinhabern“ anwachsen. Es entsteht, was Hilferding Finanzkapital nennt: „Kapital in der Verfügung der Banken und in der Verwendung der Industriellen.“

Zeise stellt dar, in welcher Form sich diese damals neue Rolle der Banken heute verwirklicht, auf welche Weise sie die Bewegungen des Kapitals entscheiden – schon allein deshalb, weil sie dem Industriekapital die nötigen Kredite zur Verfügung stellen. Der so entstandene Kapitalmarkt sei in der Gesamtbetrachtung der kapitalistischen Produktion zentral – „hier ist die herrschende Klasse unter sich und hier findet der Ausgleich der Profitraten statt, der dem Wertgesetz zum Durchbruch verhilft und zugleich über die Investitionen des Gesamtkapitals und damit die ökonomische Entwicklungsrichtung der vom Kapital beherrschten Gesellschaft entscheidet“. Verständlich zu machen, wie dieser Kapitalmarkt funktioniert, welche Rolle die Notenbanken für die Macht des Kapitals und die Währungen für die imperialistische Konkurrenz spielen, in welchem Verhältnis Hedge- und andere Fonds zu anderen Teilen des Kapitals stehen – das gehört zu den besonderen Stärken des Bandes. Leser dieser Zeitung und der „jungen Welt“, die Zeises Beiträge dort kennen, überrascht das nicht – einzelne seiner Kolumnen waren nützlich genug, um sie gleich vollständig in das Buch zu übernehmen.

Im Vorbeigehen streift er dabei die Kontroversen, die linke Theoretiker über die Funktionsweise des heutigen Kapitalismus austragen: Leben wir unter einem „finanzmarktdominierten Kapitalismus“? Kann die nächste Krise vermieden werden, wenn das Heuschrecken-Casino reguliert wird? Sicher nehme die Bedeutung spekulativer Finanzgeschäfte zu – allerdings zeigt Zeise an der historischen Entwicklung in den verschiedenen imperialistischen Zentren, dass diese Dynamik aus der Kapitalverwertung selbst entsteht. „Die Monopole üben ihre Herrschaft damals und heute über die Kontrolle des Kapitalmarkts aus.“ An der historischen Schilderung zeigt Zeise, dass die („mangels eines besseren Ausdrucks“) „Periode des Klassenkompromisses“ vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die 1970er Jahre, die von keynesianischer Politik und gemäßigter Ausbeutung geprägt war, in der Entwicklung des Kapitalismus eine „Ausnahmeperiode“ war – und keine Regel, zu der zurückzukehren linker Politik eine Perspektive bieten könnte.

Zeises Band soll helfen, den Anschein zu überwinden, der nach der Konterrevolution aufkam: dass die marxistische „Analyse des Kapitalismus alt und überholt“ aussah. Frank Deppe und andere führen in derselben Reihe „Basiswissen“ in den Begriff des „Imperialismus“ ein – mit ähnlichen Positionen, wie sie Lenin bei Karl Kautsky bekämpft hat: Imperialismus sei keine Epoche „oder gar das höchste Stadium“ des Kapitalismus, sondern eine bestimmte Form der Politik, aus Kautskys „Ultraimperialismus“ wird bei ihnen ein „asymmetrischer Ultraimperialismus“ unter Dominanz der USA. Zeise dazu: „Das scheint mir eine ausgesprochen defensive Lösung des Problems zu sein.“ Die offensive Lösung, die er dagegen setzt: Er beschreibt konkret, dass neue Krisen und die Gefahr eines Weltkrieges aus der kapitalistischen Akkumulation entstehen, aus den „Wundern der Spekulation“, die der Kapitalmarkt hervorbringt.

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"Zu sich selbst gefunden", UZ vom 5. April 2019



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