Zum Urteil gegen Mietenvolksbegehren

Angst vor dem Deckel

Wo er recht hat, hat er recht: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), der oberste Hüter unseres Grundgesetzes, sagte es in seiner Festansprache auf dem Deutschen Städtetag im Juni 2019 frei heraus: Wohnen ist eine „Existenzfrage, für jeden Einzelnen und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“. Der Wohnungsmarkt sei schließlich kein Casino.

Der Deutsche Mieterbund thematisierte daraufhin die Notwendigkeit eines Grundrechts auf bezahlbares Wohnen. Die Bundestagsfraktion der Partei „Die Linke“ beantragte die Einfügung eines Artikels 14a – Wohngrundrecht – ins Grundgesetz (GG). Der Antrag ging ohne Diskussion in die Ausschüsse und fortan ward es still um ihn.
Längst läuft die Gegenoffensive der Vermieterverbände und Immobilienlobbyisten auf Hochtouren. Mietendeckel, Mietpreisbremse und Mietstopp hindern nur den freien Markt. Die Preise für Wohnimmobilien lagen im ersten Quartal des Jahres etwa 9 Prozent höher als im Vorjahr. Die teuersten Quadratmetermieten gibt es in München (17,76 Euro), Frankfurt/Main (14,92 Euro) und Stuttgart (14,50 Euro).

Selbst dem bescheidenen Mietendeckel in Berlin, mit dem Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand vom Juni 2019 bis 2022 eingefroren werden sollen, soll der Garaus gemacht werden. Deshalb freuen sich CDU und FDP über das Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichts vom 16. Juli, das die Zulassung eines Volksbegehrens für einen sechsjährigen Mieterhöhungsstopp in 162 bayerischen Kommunen zurückgewiesen hat. Demnach sei Mietrecht „offensichtlich“ allein Bundesrecht. Mit Zuversicht erwarte man nun die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Auch die Anwälte des Berliner Senats hatten angeregt, den vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof schwelenden Streit um den Mietendeckel auszusetzen und das BVerfG anzurufen.

Dabei ist klar: Weder aus Artikel 1 GG (Menschenwürde) noch aus Artikel 14 Absatz 2 GG (Eigentum verpflichtet) werden die Karlsruher Richter den Schluss ziehen, bezahlbares Wohnen sei ein Grundrecht. Das hieße nämlich, den Hasardeuren im Casino die Jetons wegzunehmen. Bereits Friedrich Engels wusste: „In Wirklichkeit hat die Bourgeoisie nur eine Methode, die Wohnungsfrage in ihrer Art zu lösen – das heißt, sie so zu lösen, dass die Lösung die Frage immer wieder von neuem erzeugt.“

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Angst vor dem Deckel", UZ vom 24. Juli 2020



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