Ulrich Eckles Geschichte beginnt so wenig im Oktober 2023 wie der sogenannte „Palästina-Konflikt“ selbst. Der langjährige UNO- und EU-Beamte, geboren 1949, engagiert sich bereits seit Ende der 1960er Jahre für die Rechte der Palästinenser. Doch um die jüngste Eskalation im baden-württembergischen Langenau zu verstehen, reicht es aus, zum 15. Oktober 2023 zurückzugehen. Damals meinte Pfarrer Ralf Sedlak, sich während eines sonntäglichen Gottesdienstes in der örtlichen Martinskirche zu den Ereignissen am 7. Oktober äußern zu müssen. Dabei wiederholte er unter anderem die von israelischer Seite verbreiteten, zu dem Zeitpunkt längst widerlegten Horror-Märchen über massenhaft von Palästinensern ermordete Säuglinge. Eckle, trotz seines Austritts im Jahr 1969 ein unregelmäßiger Kirchgänger, wollte diese Propaganda nicht unwidersprochen stehen lassen und protestierte von der Bank aus lautstark. Daraufhin wurde er des Gotteshauses verwiesen.
Ein halbes Jahr und über 30.000 ermordete Palästinenser später wussten selbst die Letzten in Deutschland, dass diese Meldungen nichts als Lügen waren. Wie die meisten deutschen Medien, Politiker und Institutionen sah aber auch die Evangelische Kirche davon ab, die von ihren Vertretern verbreiteten Fake News offiziell zurückzunehmen. Daher beschloss Eckle, eine Mahnwache vor der Martinskirche abzuhalten. Die erste fand während des Ostergottesdienstes statt. Seither fand sich der 75-Jährige bis Anfang Juli dieses Jahres jeden Sonntag vor dem Gebäude ein, um den Pfarrer und die Gemeinde nach dem Gottesdienst mit seinem stillen Protest zu konfrontieren. Anfangs war er dabei allein, später erhielt er Unterstützung von weiteren Personen.
Schnell war Eckle mit der lokalen Staatsgewalt konfrontiert. „Die Beamten traten von Anfang an aggressiv auf“, berichtet er gegenüber UZ. Einer hätte sogar einmal gedroht, seinen Hund zu erschießen. Ein anderer habe ihm vorgeworfen, „Judenhass“ zu verbreiten. Um den lästigen Protest zu unterbinden, hätte die Polizei zu verschiedenen Mitteln gegriffen. Von Drohungen über unsinnige Auflagen, Platzverweise und der Beschlagnahme von Bannern bis hin zu Anzeigen.

Mediale Hetze mit Folgen
Noch vor Beginn dieser Mahnwachen, nämlich Anfang März 2024, wurde das 16.000 Einwohner zählende Langenau von einem „Skandal“ erschüttert: Am Briefkasten des Pfarrers klebte ein Sticker, auf dem eine Israel-Fahne und die Wörter „Zionist“ und „Fascist“ zu lesen waren. Die staatlich finanzierte zionistische Amadeu Antonio Stiftung berichtete unter dem merkwürdigen Titel „Antisemitische Hetze gegen evangelischen Pfarrer“ über den „Fall“ und zog, ohne irgendwelche Indizien, eine Verbindung zwischen Eckles Protest am 15. Oktober in der Kirche und dem Aufkleber. Das ganze ordnete sie als „Bedrohung und Beleidigung“ sowie als „Sachbeschädigung und Schändung“ ein.
Diese Erzählung wurde von anderen, zunächst lokalen, dann bundesweiten Medien aufgegriffen und weitergestrickt. Im Oktober 2024 nahm die Hetze richtig Fahrt auf. Unter anderem brachten SWR und „Deutschlandfunk“ zwei sich fast aufs Wort gleichende Beiträge mit nahezu identischen Titeln: „Psychoterror gegen Pfarrer: Anti-Israel-Proteste vor Langenauer Kirche“ („Deutschlandfunk“) und „Anti-Israel-Proteste vor Kirche in Langenau: Psychoterror gegen Pfarrer“ (SWR). Auch Kirchgänger würden eingeschüchtert, so die Berichterstatter. Als im Dezember unter anderem antisemitische Schmierereien an der Kirche auftauchten, stellten verschiedene Medien auch hier eine Verbindung zu den Palästina-Mahnwachen her.
Diese Hetze wirkte: Ab Mitte Oktober kam es bei Eckle zu nicht weniger als fünf Einbrüchen. Dabei wurde Eigentum geklaut und gezielt zerstört. Vor allem wurden zahlreiche pro-palästinensische Banner zerschnitten. Dem Betroffenen zufolge entstand so ein Schaden in Höhe von etwa 20.000 Euro. Nach dem zweiten Einbruch installierte er eine Kamera, so dass die Polizei den mutmaßlichen Täter schnell identifizieren konnte. Allerdings stellte sie das Verfahren gegen den Mann ein, weil „kein öffentliches Interesse“ an einer Strafverfolgung bestehe. Eckle will zwar zivilrechtliche Mittel einlegen, betont aber auch: „Wichtiger ist mir die strafrechtliche Verfolgung. Es kann nicht sein, dass die Behörden bei so etwas einfach die Hände in den Schoß legen.“
Körperliche Angriffe
Es blieb nicht bei Sachbeschädigung. Wie der Aktivist berichtet, hatte der mutmaßliche Täter ihn und einen Mitdemonstranten bereits zuvor während einer Mahnwache versucht, mit dem Auto anzufahren. Nur weil sie rechtzeitig ausgewichen seien, seien sie nicht verletzt worden. Die anwesenden Polizisten hätten das Geschehen allerdings heruntergespielt. „Mag sein, dass sie es falsch gesehen haben. Sie haben jedenfalls gesagt, er habe sich nur verfahren.“ Daher wurden auch diese Ermittlungen eingestellt.

Anfang Juli 2025 ging die Sache weniger glimpflich aus: Am ersten Sonntag des Monats war ausnahmsweise keine Polizei zugegen. Diese Gelegenheit womöglich ausnutzend, griff ein Mann Eckle und zwei seiner Mitstreiter an. Dem einen, der die Aktion mit dem Handy filmte, schlug er zunächst ins Gesicht und anschließend das Mobiltelefon aus der Hand. Danach ging er auf Eckle los, schlug diesen zu Boden und trat danach auf ihn ein. Wie sich hinterher herausstellte, ist der Angreifer Kampfsporttrainer. Eckle berichtet, dass er während des Angriffs zwischenzeitlich besinnungslos war. Er wies offene Verletzungen am Kopf und am Bein auf, wurde eine Woche krankgeschrieben und leidet seither unter Schwindel, Kopfschmerzen und Konzentrationsproblemen.
Konsequenzen
Rechte und zionistische Medien griffen den Vorfall auf, um Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben: „Die Angriffe werden immer widerlicher! Seit fast zwei Jahren terrorisieren Israel- und Deutschland-Hasser die Einwohner von Langenau“, schrieb etwa „Bild“. Die sich als links verstehende und für ihre als „Religionskritik“ getarnte Islamfeindlichkeit bekannte zionistische „Jungle World“ interviewte eine Sprecherin der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Der „Spiegel“ warf Nebelkerzen, indem er einfach von „Handgreiflichkeiten zwischen Pro-Palästina-Demonstrierenden und Gottesdienstbesuchern“ schrieb. Springers „Welt TV“ stellte die Vorgänge dagegen unzweideutig und vollkommen auf den Kopf und schwadronierte: „Pro-Palästina-Mob greift Langenauer Kirche und Pfarrer an“.
Die Bürgermeisterin von Langenau, Daria Henning (CDU), reagierte ähnlich. Statt den gewalttätigen Übergriff auf einen engagierten Pensionär zu verurteilen, zog sie eigenmächtig eine Bannzone um die Kirche, um politischen Protest dort künftig zu untersagen. Weil sie dabei allerdings den Gemeinderat umging, erntete sie jetzt von dieser Seite Kritik. Für Eckle allerdings braucht es ein solches Pauschalverbot nicht, denn auch er hat seine Konsequenzen gezogen: Er wird nach dem Angriff auf Bitten seiner Familie, Freunde und Genossen bis auf Weiteres keine Mahnwache mehr abhalten. Man könnte also meinen, die Hetze und die Gewalt hätten ihr Ziel erreicht. Aber so ist es nicht: Stattdessen fanden seither zwei Palästina-Demos in Langenau statt. Diese sind nicht nur lauter, sondern bieten auch mehr Schutz.