Sammelband mit zehn Beiträgen zur Geschichte und Situation der Uiguren in China

Argumente gegen die Xinjiang-Kampagne des Westens

Tobias Leger

Im Oktober und November finden zwei Lesereisen der UZ nach China statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden die Gelegenheit haben, sich in der Provinz Xinjiang ein eigenes Bild von der Lebenssituation der Uiguren zu machen. Die Suche nach geeigneter Literatur zur Vorbereitung auf diese Reise war nicht einfach. Vielfach entstand der Eindruck, die Texte seien ohne nachvollziehbaren Quellennachweis voneinander abgeschrieben worden und dienten vorrangig dem Zweck, eine vorgefertigte politische Meinung zu transportieren. Band 59 der Berliner China-Studien unterscheidet sich durch seinen wissenschaftlichen Anspruch und das Bemühen mehrerer Autorinnen und Autoren dieses umfangreichen Buchs, einen Blick hinter die Kulissen zu wagen.

„Obwohl es heute in Xinjiang keinerlei Anzeichen für das gibt, was in den Medien als Vernichtungskampf gegen die Uiguren verbreitet wird, geistert dieser Vorwurf immer noch (…) in der einflussreichen Presse herum.“ So das Fazit von Norman Paech in seinem Beitrag zum Sammelband über Xinjiang.

Das Besondere an dem Buch, das zehn Artikel rund um Xinjiang aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven enthält, ist, dass sich ein Teil der Autorinnen und Autoren 2023 ein eigenes Bild von der Lage vor Ort gemacht hat. Auf dieser Grundlage und mit einer breiten Quellenlage kommen sie durchweg zu anderen Schlüssen als die hierzulande vorherrschende Meinung und die Vorverurteilung Chinas. So werden die chinesischen Anti-Terror-Maßnahmen eingeordnet, ohne einen kritischen Blick zu verlieren. Diese Maßnahmen können als „Übergangsphase“ angesehen werden, die Gruppe konnte zwar noch viele Kontrollstationen sehen, diese seien aber „ganz eindeutig in den besuchten Regionen seit längerer Zeit nicht mehr benutzt worden“, berichtet einer der Autoren. Den Kampf gegen den Terror scheint China erfolgreich bestritten zu haben.

Besonders hervorzuheben aus dem Buch ist der bereits zitierte Artikel des Völkerrechtlers Norman Paech „Die Menschenrechte der Uiguren“. Hier beschäftigt sich der Autor mit den (westlichen) Vorwürfen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Völkermord an den Uiguren durch die Volksrepublik China. Nach einer eindrücklichen Zurückweisung der Vorwürfe ordnet Paech auch ihren Ursprung ein: Die Xinjiang-Kampagne des Westens gegen China sei nicht „mit der Sorge um das Wohlergehen des uigurischen Volkes“ zu erklären, sondern „sie ist offensichtlich ein wohlkalkuliertes Element in der immer schärfer werdenden geopolitischen Auseinandersetzung zwischen den USA und der Volksrepublik.“ In seinen Schlussworten warnt er davor, dass „sich der Schwerpunkt der antichinesischen Kampagne auf den politischen Status Taiwans verschiebt“.

Weiter ist der Artikel von Hauke Neddermann zu erwähnen, der sich kritisch mit der Berichterstattung in den deutschen Medien zum Thema Xinjiang auseinandersetzt. Er beschreibt eine „destruktive Dynamik“, das „negative China-Bild ist hier maximal vereinseitigt“. Ausgeglichene Stimmen kämen kaum bis gar nicht zu Wort und würden dann schnell in Misskredit gebracht. Anschaulich zeigt Neddermann, wie schnell die Zahl der Artikel zu Xinjiang in kürzester Zeit zugenommen hat und zieht Vergleiche zu einer ähnlichen Kampagne zuvor, die Tibet als Anlass genommen hatte.

Weitere Artikel beschäftigen sich mit der Geschichte Xinjiangs, den Ursachen der Maßnahmen, die in Xinjiang ergriffen wurden und der geopolitischen Bedeutung der Region, insbesondere im Kontext der „Neuen Seidenstraße“. Das Buch wirft einen Blick auf den Aufbau des chinesischen Rechtsstaats und auf die Verschiebung des China-Bildes in Deutschland. Abgerundet wird es durch zwei englischsprachige Artikel, die sich mit dem Begriff des Genozid beschäftigen und damit, dass die Debatte auch für das uigurische Volk kontraproduktiv ist.

Mit diesem Band solle der Blick auf Xinjiang aus wissenschaftlicher Sicht geweitet werden, so der Verlag in seiner Buchbeschreibung. Das ist den Autorinnen und Autoren mit diesem lesenswerten Band gelungen.

Georg Gesk, Monika ­Schädler, ­Norman Paech und andere (­Herausgeber)
Xinjiang – eine Region im Spannungsfeld von Geschichte und Moderne, Beiträge zu einer Debatte
Lit Verlag, 520 Seiten, 54,90 Euro
Erhältlich im UZ-Shop

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"Argumente gegen die Xinjiang-Kampagne des Westens", UZ vom 5. September 2025



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