„Palantir sieht alles was du tust; es weiß im Voraus, was du planst, und wird es rechtzeitig verhindern“, warnte die britische Zeitung „The Guardian“ am 30. Juli 2017. Auf den Tag acht Jahre später verkündete Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), sein Haus prüfe aktuell den bundesweiten Einsatz der US-Überwachungssoftware „Palantir Gotham“ durch die Polizei. Nicht zufällig hatte sich die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg tags zuvor für die Anschaffung einer 29 Millionen Euro teuren Lizenz entschlossen.
Der Bundesrat hatte bereits Ende März empfohlen, eine bundesweite „Datenanalyseplattform“ einzuführen. Vom deutschen Konkurrenzprodukt zur US-Datenkrake, der Software „Nationale souveräne Analyseplattform“ (NasA), redet inzwischen niemand mehr. Das ist angesichts der Kundenreferenzen und der Marktmacht der 2004 in Anspielung auf die „sehenden Steine“ (Palantir) in Tolkiens „Herr der Ringe“ von Tech-Milliardär Peter Thiel in den USA gegründeten Softwareschmiede auch nicht verwunderlich. Seit 2013 gehören unter anderem die CIA (Central Intelligence Agency), das DHS (Department of Homeland Security), die NSA (National Security Agency), die US-Armee und das FBI (Federal Bureau of Investigation) zur Stammkundschaft. Der Namenszusatz „Gotham“ ist eine bewusst gewählte Reminiszenz an den Superhelden Batman, der in der fiktiven Stadt Gotham das Böse in all seinen Erscheinungsformen bekämpfte. Zudem ist es an den Straßen-Slang „(We) got them“ (Wir erwischen sie) angelehnt.
Mit Überwachung, Kontrolle und Vorhersage zukünftigen Verhaltens lässt sich richtig Geld machen: Der Börsenwert beträgt aktuell 364,06 Milliarden Dollar, die Aktie des Palantir-Konzerns wies zum 1. August gegenüber dem 1. Januar 2023 eine Steigerung von unglaublichen 2.359 Prozent auf. Vor wenigen Wochen wurde ein 10-Milliarden-Dollar-Deal mit der US-Armee abgeschlossen. Eine Übernahme des Programms durch deutsche Behörden zum Preis von etwa 350 Millionen Euro gilt am Firmensitz in Denver/Colorado daher eher als Nebengeschäft.
Seine Feuerprobe – im wahrsten Sinne des Wortes – bestand Gotham im Ukraine-Krieg. Im Juni 2022 hielt Alex Karb, Chef und Mitgründer von Palantir, seinen Antrittsbesuch bei Wladimir Selenski ab. Acht Monate später konnte er positive Bilanz ziehen: „Unser Produkt ist verantwortlich für die meisten Zieltreffer in der Ukraine.“ Satellitenbilder, Geo- und Open-Source-Daten, Drohnenaufnahmen, decodierte Funksprüche, Berichte über Truppenbewegungen werden in Echtzeit erhoben, algorithmisch koordiniert, ausgewertet und zu Zielkoordinaten zusammengeführt. Diese Daten werden digital und bildgebend an die jeweilige Feuereinheit weitergeleitet.
Zu Werbezwecken für diese effektive Methodik des Tötens bedient sich Palantir einer unverhohlen menschenverachtenden Sprache: Die Software sei „ein Waffensystem“, das die „Vernichtungsmaschinerie befeuert“ („Powering the kill-chain“). Klare Ansagen, wie sie im blutigen Geschäft für den Wertewesten üblich sind. Nochmals Vorstand Alex Karp: „Ich habe kein Problem damit, wenn Feinde der USA sterben.“ („New York Times“ vom 17. August 2024) Überhaupt werde er sich „nicht dafür entschuldigen, dass wir unsere Produkte in die Ukraine oder nach Israel oder an viele andere Orte geliefert haben“.
In der Tat meldete die Plattform Bloomberg am 12. Januar 2024 den Besuch einer Palantir-Delegation in Israel: „Palantir und Israel vereinbaren strategische Partnerschaft für Kampftechnologie“. Als Alex Karb in einem Interview mit dem US-Sender CNBC am 13. März 2024 mit dem Leid der Menschen in Gaza konfrontiert wurde, parierte er kaltschnäuzig: „Es geht eher um die Frage: ‚Glauben Sie an den Westen? Glauben Sie, dass der Westen eine überlegene Lebensweise geschaffen hat?’” Diese überlegene Lebensweise eines perfektionierten Überwachungsstaates soll nun, geht es nach der Bundesregierung, flächendeckend in Deutschland eingeführt werden, vorerst bei Bundespolizei und Landespolizeien.
Gothams Fähigkeit, in Sekunden riesige Datenmengen zu analysieren, wozu ein Mensch Wochen oder Monate bräuchte, ist nicht nur auf dem Schlachtfeld funktional, sondern auch im Krieg nach Innen. Das Instrument des „Datamining“ basiert auf der strukturierten Integration und Verarbeitung unterschiedlichster Datenquellen. Ob Melderegister, Kfz-Zulassungsregister einer Stadt, Krankenakten, Log-in-Daten auf Handy und sozialen Plattformen, Auslesung von Kontobewegungen, Bankkarten, Reisedaten, Text- und Sprachnachrichten, Onlinebestellungen und Lieferdienste – Gotham ist so gut wie die Zahl der eingespeisten Quellen hoch ist. Über Schnittstellen saugt es die Daten, stellt Verbindungen her und macht die Ergebnisse optisch und plastisch sichtbar. Dabei dokumentiert es nicht nur das Zielobjekt, sondern sämtliche seiner Kontakte, Verhaltensweisen, Vorlieben, es stellt Verhaltensprognosen auf, es weiß letztlich besser über Zukünftiges Bescheid als der Betroffene selbst. Die Polizeibehörden in Hessen, Hamburg und Bayern hatten die Software schon in Betrieb genommen. Eine Verfassungsbeschwerde gegen „HessenData“ hatte teilweise Erfolg (BVerfG, Urteil vom 16. Februar 2023), das Projekt läuft allerdings eingeschränkt weiter. Gegen die bayerische Version von Gotham namens „VeRA“ (Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform) wurde vergangene Woche ebenfalls Verfassungsbeschwerde erhoben. Die Chancen stehen allerdings schlecht, dass sich Innenminister Dobrindt allein durch das laufende Verfahren von der Änderung des Bundespolizeigesetzes (BPolG) und des Gesetzes über das Bundeskriminalamt (BKAG) abbringen lässt.