Sabotageversuche der EU, mehrerer EU-Mitgliedstaaten und der Ukraine begleiten die heutigen Moskauer Gedenkfeierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Sieges über NS-Deutschland. Mehrere Dutzend Staaten nehmen an den Veranstaltungen in der russischen Hauptstadt teil, darunter BRICS-Staaten wie China, Brasilien, Südafrika und Indonesien, aber auch das EU-Mitglied Slowakei sowie der EU-Beitrittskandidat Serbien. Die Teilnahme der beiden letzteren hatte die EU zu unterbinden versucht, nicht zuletzt mit der Drohung, ein Staat, der Repräsentanten nach Moskau entsende, dürfe der EU nicht beitreten. Darüber hinaus hatten die baltischen Staaten ihren Luftraum für Durchflüge nach Russland kurzfristig gesperrt. Das betraf etwa den Ministerpräsidenten der Slowakei und den Präsidenten Brasiliens. Die Ukraine hatte zuletzt mit Drohnenangriffen den Flugverkehr in Moskau lahmzulegen versucht, um damit eine Anreise der Gedenkgäste zu verhindern. Nahmen in der Roten Armee auch ukrainische Soldaten an der Befreiung Europas teil, so stellt sich der heutige ukrainische Staat explizit nicht in ihre Tradition, sondern in diejenige des NS-Kollaborateurs Stepan Bandera, der am 9. Mai 1945 eine Niederlage erlitt.
Gedenkfeiern in Moskau
Die russischen Gedenkfeierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Sieges über NS-Deutschland werden am heutigen Freitag in Moskau im Beisein führender Repräsentanten von nahezu 30 Ländern begangen. Aus China angereist ist Präsident Xi Jinping. Eine Ehrenformation der chinesischen Streitkräfte soll an der Gedenkparade mitwirken. Seinen Besuch kurzfristig abgesagt hat – wegen der militärisch eskalierenden Spannungen zwischen Indien und Pakistan – Indiens Premierminister Narendra Modi. Erwartet werden Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva sowie seine Amtskollegen Abdel Fattah al Sisi aus Ägypten und Taye Atske Selassie aus Äthiopien – alle drei Staaten gehören zum BRICS-Bündnis –, zudem hochrangige Delegationen der BRICS-Staaten Südafrika, Iran und Indonesien. Aus Europa haben lediglich der Ministerpräsident der Slowakei, Robert Fico, und Serbiens Präsident Aleksandar Vučić zugesagt. Angekündigt ist zudem Burkina Fasos Staatschef Ibrahim Traoré, der für diejenigen afrikanischen Staaten steht, die sich in Zusammenarbeit mit Moskau der westlichen Dominanz zu entziehen suchen. Auf der Gästeliste stehen weitere Staats- und Regierungschefs sowie hochrangige Delegationen aus Lateinamerika, aus Afrika und aus Zentralasien.
Diktate der EU
Die EU, mehrere EU-Mitgliedstaaten und die Ukraine haben alles daran gesetzt, zumindest die Teilnahme einiger Staats- und Regierungschefs zu verhindern. So hatte etwa am 14. April die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas nach einem Treffen der EU-Außenminister erklärt, auf der Zusammenkunft sei klargestellt worden, dass eine Teilnahme an den Gedenkfeiern in Moskau „auf der europäischen Seite nicht auf die leichte Schulter genommen“ werde. Das richtete sich gegen die Teilnahme nicht bloß des slowakischen Ministerpräsidenten Fico, sondern auch des serbischen Präsidenten Vučić: „Wir wollen nicht“, präzisierte Kallas, „dass irgendein Beitrittskandidat an diesen Veranstaltungen am 9. Mai in Moskau teilnimmt.“ Ein leitender Mitarbeiter des estnischen Außenministeriums wurde zudem mit der Äußerung zitiert, „sie“ – gemeint waren Beitrittskandidaten, etwa Serbien – müssten „verstehen“, dass „die Konsequenz“ einer Reise zu den Gedenkfeiern in Moskau sei, „dass sie nicht in die Europäische Union aufgenommen werden“. Kallas’ „Drohungen“ seien „respektlos“, ließ sich Fico am 15. April zitieren. Er erinnerte die EU-Außenbeauftragte daran, dass er „der legitime Ministerpräsident der Slowakei“ sei, „eines souveränen Staates“: „Niemand kann diktieren, wohin ich gehen kann oder nicht.“ Er werde in Moskau der sowjetischen Soldaten gedenken, „die für die Befreiung der Slowakei gestorben sind“.
Sabotageversuche
Der ukrainische Präsident Wladimir Selenski hatte seinerseits zunächst versucht, mit der Warnung vor Gewalt von einer Teilnahme am Weltkriegsgedenken in Moskau abzuschrecken. In Sachen „Sicherheit“ werde Kiew den anreisenden Staats- und Regierungschefs „keinerlei Garantie geben“, hatte Selenski am 3. Mai erklärt. Russland könne „Provokationen“ starten: „Brandstiftung, Bomben und so weiter, nur um uns zu beschuldigen“. Bombenanschläge innerhalb Russlands haben mehrfach ukrainische Geheimdienststellen organisiert. Vor diesem Hintergrund wurde Selenskis Äußerung – ganz wie seine Weigerung, sich dem dreitägigen russischen Waffenstillstand um den 9. Mai herum anzuschließen – von manchen als konkrete Drohung verstanden. Kiew hat zudem versucht, mit gezielten Drohnenangriffen in den Tagen vor den heutigen Gedenkfeiern den Flugverkehr in Moskau so weit wie möglich zum Erliegen zu bringen und damit die Anreise der Gedenkgäste zu verhindern. Um Letzteres haben sich auch die baltischen Staaten bemüht, indem sie ihren Luftraum für Durchflüge nach Russland geschlossen haben. Dies traf nicht nur Fico und Vučić, deren Anreise spürbar behindert wurde, sondern auch die Präsidenten Brasiliens und Kubas, die gleichfalls ihre Flugpläne ändern mussten. Dass dies dem Ansehen der baltischen Staaten und der EU in Lateinamerika zuträglich war, mag man bezweifeln.
Ablenkungsmanöver
Die ukrainische Regierung hat zudem versucht, mit der Durchführung hochrangiger Treffen in der Ukraine am heutigen Freitag die globale Öffentlichkeit von dem Moskauer Gedenken abzulenken. Ausdrücklich mit diesem Ziel lud Außenminister Andrij Sybiha am 14. April seine Amtskollegen aus der EU zu einer Zusammenkunft in die Ukraine ein. Damit solle man „Einigkeit“ zeigen, forderte Sybiha. Selenski hatte sich ursprünglich bemüht, zumindest einige EU-Staats- und Regierungschefs zu einem gleichzeitigen Treffen am heutigen Freitag in Kiew zu bewegen. Das ist jedoch nach derzeitigem Stand gescheitert. Über das Treffen der EU-Außenminister, das in Lwiw stattfinden wird, heißt es, es seien nur „wenige konkrete Entscheidungen“ zu erwarten. So hätten die Minister „ihr Scheckbuch“ zuhause gelassen – sie kämen also mehr oder weniger mit leeren Händen. Laut Berichten sollen lediglich Pläne bekanntgegeben werden, ein Sondertribunal zur Verfolgung von Kriegsverbrechen seitens russischer und belorussischer Amtsträger zu errichten. Das solle sich insbesondere auch mit „Aggressionsverbrechen“ befassen. Ungarn und die Slowakei widersetzen sich dem Plan. Er könne allerdings, heißt es, am 14. Mai vom Europarat abgesegnet werden.
Zweierlei Traditionen
Das Bestreben, Moskaus Gedenken an seine zentrale Rolle bei der Befreiung Europas vom NS-Terror zu delegitimieren, geht seit längerem mit Versuchen einher, die Rolle der Ukraine im Zweiten Weltkrieg zu betonen – zum einen im Hinblick auf die furchtbaren Verheerungen, die NS-Deutschland in der Ukrainischen Sowjetrepublik angerichtet hatte, zum anderen mit Blick darauf, dass in der Roten Armee zahlreiche ukrainische Soldaten für die Befreiung kämpften und starben. Beides trifft zu. Beides vereint alle Teile der ehemaligen Sowjetunion. Beides ist nicht geeignet, Moskaus Rolle bei der Befreiung zu schmälern. Unterschlagen wird bei den Versuchen, Russland die Legitimation zum Gedenken am 9. Mai abzusprechen, die Tatsache, dass sich der heutige ukrainische Staat nicht auf die Leistungen der Sowjetunion im Weltkrieg, sondern auf die Traditionen der Organisation Ukrainischer Nationalisten, ihres Führers Stepan Bandera und der Ukrainischen Aufstandsarmee beruft, die sämtlich auf die eine oder andere Weise öffentlich geehrt werden – etwa mit Gedenktagen, mit der Übernahme ihrer Bräuche. Bandera sowie die genannten Organisationen waren NS-Kollaborateure. Sie erlitten am 9. Mai 1945 eine Niederlage.