Betr.: „Wunschtraum von Stabilität“, UZ vom 6.11.2015

Bewaffnete Kräfte in Wahlbüros

Von Karla Leonartz-Aksu

„… die Koza-Ipek-Holding … betreibt Fernsehsender und Tageszeitungen, die der … islamischen Gülen-Bewegung nahe stehen …“ Das ist eine Tatsachenbehauptung, die selbst in der Türkei so nicht gewagt wird, da wird von Vermutungen ausgegangen. Und was soll es uns sagen, wenn im Artikel weiter steht, wie Erdogans Lakaien der Justiz und Polizei diese Medien gewaltsam besetzten? Und am Ende komplett schlossen? Ist es bei Gülen-nahen Medien vielleicht weniger schlimm, wenn der AKP-majorisierte Staatsapparat derart brutal Zensur übt? Diese Medien hatten hartnäckig auf Erdogans Verwicklungen in Korruptions- und Steueraffären hingewiesen, das gefiel „Sultan“ Recep Tayyip Erdogan nicht. Genauso hätte es die Sender Halk-TV (der SPD-ähnlichen CHP) oder andere treffen können, wenn sie solch scharfe Kritik an E. geäußert hätten.

Olaf Matthes: „Zumindest lässt sich der Wahlsieg der AKP nicht durch direkte Fälschungen des Ergebnisses erklären.“ Wirklich nicht? Oder kennt er die Berichte von gekauften und erpressten AKP-Stimmen nur nicht? Oder hat er noch nicht die Erklärung von Thomas Pflüger („Die Linke“) gelesen? An die 50 LinksparteivertreterInnen waren zur Wahlbeobachtung in der Türkei und berichteten u. a. über massives Auftreten bewaffneter Kräfte in Wahlbüros.

Nach der Parlamentswahl 2011 gab es etliche Klagen vor dem Verfassungsgericht in Ankara, die mit umfangreichem Beweismaterial belegten, auf welche Weise auch da bereits kaum verhüllte Wahlfälschung betrieben wurde. Alle diese Klagen wurden dennoch abgewiesen. Das Verfassungsgericht ist AKP-wunschgemäß besetzt, wie könnte es da anders sein?

„Erdogans Variante der Strategie der Spannung“ (O. M.) ist eine bürgerliche, flaumweiche Umschreibung der Brutalität, mit der E. sein Machtstreben durchsetzt. Wobei E. durchaus für „Kapitalinteressen“ steht. Die Spaltpilz-Partei KP (der Türkei) spielt dabei eine unrühmliche Rolle. Statt wie alle anderen „alten“ TKP-GenossInnen der heutigen TKP 1920 an der Seite der HDP gegen E. zu kämpfen, kochte sie ihr eigenes Süppchen mit enormen 0,1 Prozent. Diese Partei ist kein ernstzunehmender Gegner des Kapitals. Weigert sie sich doch vehement, im Bündnis mit den anderen Linkskräften eine gemeinsame Front aufzubauen. Die TKP 1920, ehedem einzig legitime Schwesterpartei der DKP, hat dagegen kommunistische Bündnispolitik verwirklicht. Die HDP mit all ihren einzelnen Organisationen verdient unsere Hochachtung für ihre schwierige Arbeit. Trotz aller Behinderungen wird sie die Zukunft der Türkei mitbestimmen.

Das Beunruhigende ist doch, dass deutsche Medien und Politiker die Wahlen in der Türkei als normal betrachten.

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"Bewaffnete Kräfte in Wahlbüros", UZ vom 20. November 2015



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