Nach dem Tod eines Mitarbeiters im Logistikzentrum Erfurt-Stotternheim zeigte sich der Handels- und Technologiekonzern Amazon von seiner menschlichen Seite. Man sei „tief bestürzt“, ließ das Unternehmen einen Sprecher verkünden, bevor die Hauptbotschaft in die Welt getragen wurde: „Wir möchten betonen, dass es sich bei diesem tragischen Vorfall um keinen Arbeitsunfall handelte.“
Der 59-jährige Kollege war am 17. November während seiner Schicht leblos auf der Toilette gefunden worden. Kurz vor seinem Tod hatte er vergeblich versucht, sich krank zu melden, wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Angaben der Gewerkschaft ver.di berichteten. Gegenüber „Thüringen24“ bestätigte Amazon die versuchte Krankmeldung. Der Mitarbeiter habe sich „vor seiner Pause gemeldet und es sei gemeinsam vereinbart worden, dass er erst seine Pause wahrnimmt und danach entscheidet, ob er nach Hause geht“, berichtet das Internetportal. Ein Kollege, der sich nach dem Vorfall zu Wort meldete, stellt die Situation anders dar. Die Krankmeldung sei eindeutig zurückgewiesen und der verstorbene Mitarbeiter erst drei Stunden nach seinem Tod auf der Toilette gefunden worden.
Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Erfurt ein Todesermittlungsverfahren aufgenommen, um die genauen Abläufe zu untersuchen. Für die Gewerkschaft ver.di ist es naheliegend, dass der Tod des Kollegen mit den schlechten Arbeitsbedingungen bei Amazon zusammenhängen könnte. „Wir wissen aber sicher, dass die Arbeitsbedingungen bei Amazon, die uns Beschäftigte schildern, krank machen“, erklärte Matthias Adorf, Gewerkschaftssekretär bei ver.di für den Fachbereich Handel in Thüringen.
Erst kurz vor dem Todesfall hatten ver.di und der DGB eine Aufklärungsaktion vor dem Logistikzentrum durchgeführt und dabei erschütternde Details aus dem Arbeitsalltag der Beschäftigten erfahren. So sei von „hohen Leistungsanforderungen, Urlaubssperren, fehlendem Lohn bei Krankmeldungen, ständigem Druck bei Unterschreitung willkürlicher Normen“ berichtet worden. Bei Amazon in Erfurt seien mehrheitlich Migrantinnen und Migranten beschäftigt, die zum großen Teil aus Staaten wie Syrien, Iran, Afghanistan oder afrikanischen Ländern stammten. „Hier treffen Arbeitshetze und Druck auf die Existenzängste der migrantischen Beschäftigten mit oft unsicheren Aufenthaltstiteln. Die Beschäftigten fürchten, dass mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes auch ihr Aufenthaltstitel auf dem Spiel stehen könnte“, so ver.di. Amazon nutze „diese Situation ohne Skrupel und moralische Bedenken aus“.
Die Berichte bestätigen die Kritik, die Amazon ob der miesen Arbeitsbedingungen schon seit Langem weltweit entgegenschlägt. In der vergangenen Woche, zum sogenannten „Black Friday“, streikten Amazon-Beschäftigte unter dem Motto „Make Amazon Pay“ in mehr als 30 Ländern für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne, aber auch um gegen die Rolle des Handelsriesen beim Abbau von demokratischen Rechten, bei der Unterdrückung der Palästinenser sowie bei der Zerschlagung von Gewerkschaften zu protestieren. In Deutschland hatte ver.di zum Streik an acht Standorten aufgerufen.
Am „Black Friday“ lockt der Handel mit Rabattaktionen. Für den Konzern ist es der umsatzstärkste Tag des Jahres, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet er enorme Mehrbelastungen und Arbeitsverdichtung.
Weder auf der Presseseite von Amazon Deutschland noch auf dem firmeneigenen News-Portal „aboutamazon.de“ war in den vergangenen Tagen etwas von den internationalen Protesten oder vom Tod des Mitarbeiters in Erfurt zu lesen. Stattdessen wurden Rabattaktionen beworben und stolz verkündet, dass Amazon mit der „Platin-Zertifizierung als PRIDE Champion 2026“ ausgezeichnet worden sei. „Vielfalt ist bei Amazon mehr als nur ein Wort – sie ist ein grundlegender Wert, der täglich gelebt wird“, heißt es dazu. Für die vielfältig ausgebeuteten Kollegen in den Logistikzentren und die ebenso vielfältig überlasteten Fahrerinnen und Fahrer dürfte das wie Hohn klingen.



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