Fotografien von Horst Sturm – Ein Bildband zur Ausstellung „Menschen, ich hatte euch lieb“

Das Einfache, das schwer zu machen ist

Die Ausstellung in der junge Welt-Ladengalerie ist noch bis zum 16. Juni geöffnet. Torstraße 6, 10119 Berlin (Nähe Rosa-Luxemburg-Platz). Öffnungszeiten: Montag-Donnerstag 11-18 Uhr, Freitag 10-14 Uhr

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Das Einfache.

Fotografien von Horst Sturm

112 Seiten, Klappenbroschur, 83 s/w Fotos auf 130g Bilderdruckpapier

Verlag Wiljo Heinen, 14,50 Euro

Progressive Literatur

„Es gibt in der Geschichte der Malerei und der Fotografie Werke, die derart im Gedächtnis bleiben, dass ihre Urheber dahinter zurücktreten – bis dahin, dass sie unbekannt bleiben. Mir war der Name Horst Sturm nicht geläufig, als ich längst Fotografien von ihm kannte, die so berühmt wurden wie Aufnahmen seiner großen Vorbilder Cartier-Bresson oder Robert Capa. Ich denke an das Bild mit Helene Weigel und Bertolt Brecht auf dem Wagen des Berliner Ensembles zum 1. Mai 1954 (S. 37), an die Aufnahme mit Thomas Mann und Johannes R. Becher 1955 in Weimar (S. 38), das Bild von der Rückführung der Sixtinischen Madonna nach Dresden (S. 22), von Che Guevara bei seinem Besuch in der DDR im Oktober 1960 (S. 58), vom 80. Geburtstag Arnold Zweigs am 10. November 1967 (S. 39), Willi Stoph beim Empfang Willy Brandts in Erfurt am 19. März 1970, das Bild einer jungen Frau, die sich den Mund mit einem Stoffstreifen, auf dem Berufsverbot, steht, zugebunden hat – eine Demonstration in Düsseldorf 1975 (S. 85). Diese Bilder sind Teil des kollektiven Gedächtnisses vor allem von Menschen, die in der DDR gelebt haben, einige sind weit darüber hinaus Dokumente von entscheidenden Stationen der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Er selbst sprach davon, manche seiner Bilder zeigten „Eckpunkte der Geschichte“. Ihnen zur Seite stehen Bilder Horst Sturms, die aus verschiedenen Gründen nicht so bekannt wurden wie die genannten, aber noch heute den Betrachter packen: Sein Bild von der Frauenkirche in Dresden 1950 – welch‘ eindrückliche Mahnung gegen Krieg im Vergleich mit dem, was sich heute an dieser Stelle abspielt. Oder das Foto von der Verhaftung Robert Havemanns in Westberlin, als er dort für den Stockholmer Appell zur Ächtung der Atomwaffen warb (S. 43). Die Aufnahme brachte dem Fotografen ebenfalls eine Festnahme ein und seine Schilderung, wie er das Bild rettete, weil er noch in der grünen Minna den Film in seine Brotbüchse praktizierte und so vor der Konfiskation rettete, finde ich immer noch symbolisch für Vieles im Werk Horst Sturms. …

Viele seiner Fotografien waren auch im Westen nicht zu unterdrücken, die meisten aber wurden unterdrückt. Beseitigt werden konnten sie nicht und sie sind, wie gesagt im kollektiven Gedächtnis von Zeitungslesern der DDR erhalten. Insofern teilte er das Schicksal dieses ostdeutschen Staates. Westwärts versuchte man hartnäckig, ihn zu ignorieren, so ganz war das aber nicht möglich, wie – bleiben wir bei einem Bild von Horst Sturm – die Aufnahme von der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1975 in Helsinki belegt, auf der Erich Honecker zwischen Gerald Ford und Helmut Schmidt zu sehen ist – auch so ein „Eckpunkt der Geschichte“-Bild (S. 83). …

Oktober 1967, Ruine der Dresdener Frauenkirche, als Mahnmal sinnloser Zerstörung durch Kriege in der DDR so belassen

Oktober 1967, Ruine der Dresdener Frauenkirche, als Mahnmal sinnloser Zerstörung durch Kriege in der DDR so belassen

( Horst Sturm)

Aber die Übereinstimmung in der Wahrnehmung ging noch weiter, genauer, sie hatte einen klaren Hintergrund. Um zu illustrieren, was ich meine, zitiere ich aus einem späten Gespräch mit Horst Sturm, in dem er sagte: „Die heutige Welt, in der wir uns bewegen mit Fernsehen und Werbung, vermittelt andere Bilder. Was da alles rumgehampelt wird, da schalte ich ab … Es gibt nur noch ganz wenige Sendungen und Sender, wo ich mir was anhöre und ansehe. Ich brauche das alles nicht. Wenn ich das abschalte, empfinde ich, die Ruhe ist viel angenehmer. Und wenn ich heute höre, wenn ein Kommentator im Zusammenhang mit Afghanistan sagt: unsere deutschen Soldaten müssen jetzt auch auf die Schlachtfelder.

Also wenn ich nur das Wort Schlachtfeld höre, wird mir als jemand, der den Krieg kennengelernt hat, ausgesprochen schlecht. Das ist doch eigentlich ein Schlachthaus, wo man Tiere abschlachtet. Dass Menschen auf ein Schlachtfeld gehen sollen, begreife ich in der heutigen Zeit nicht mehr.“

Kein Rumhampeln, keine Schlachtfelder mehr. Das eine, das Ab- und Weglenken vom andern, war nicht seine Sache. Ruhige Besinnung und einfache Menschlichkeit, das hatte wenig Chancen in großen Teilen der Welt schon damals. Heute noch weniger. Horst Sturms Bilder sind Erinnerungen aus vergangenen Zeiten, als dem Krieg noch ganze Staatenbünde entgegenstanden.

Die Haltung allerdings, aus der heraus er seine Fotografien gestaltet hat, ist aktueller denn je. Daher großer Dank an alle, die die Idee zu dieser Ausstellung hatten und sie ermöglichten, was nicht einfach war, und vor allem an Horst Sturms Schülerin Gabriele Senft“.

Mit diesen Sätzen eröffnete der Chefredakteur der Tageszeitung junge Welt, Arnold Schölzel, die Ausstellung mit Fotografien von Horst Sturm in der junge Welt-Ladengalerie.

Horst Sturms Bilder befinden sich mittlerweile größtenteils im Bundesarchiv. Gabriele Senft hat dort eine bemerkenswerte Ausstellung mit über 80 Bildern zusammengetellt. Der Katalog mit einem Vorwort von Arnold Schölzel und Gabriele Senfts eigenen Erinnerungen ist von Wiljo Heinen toll gestaltet und wird die Ausstellung lange überdauern.

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"Das Einfache, das schwer zu machen ist", UZ vom 3. Juni 2016



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