Arm weg, Bein ab, Seele leer – bei den Invictus Games in Düsseldorf schwitzen Kriegsversehrte für die Heimatfront

Demoliert und vorgeführt

Die Militarisierung der Gesellschaft hat viele Gesichter. Eine besonders widerwärtige dieser Fratzen wird ab dem morgigen Samstag – von Boeing präsentiert – in Düsseldorf gezeigt: der euphemistisch Invictus Games (Spiele der Unbezwungenen) genannte internationale Sportwettkampf der Kriegsversehrten.

Bundeswehr und Stadt Düsseldorf freuen sich schon wie Bolle und sind „stolz“, Gastgeber dieser „2014 durch Prinz Harry, The Duke of Sussex, initiierten Invictus Games“ sein zu dürfen. Vor lauter Freude haben sie dann auch vergessen zu verstecken, worum es bei dem Event geht: „Mit den 6. Invictus Games in Düsseldorf ist es unser Ziel, an Seele und Körper verwundeten, verletzten und erkrankten Soldatinnen und Soldaten eine größere Wahrnehmung und Anerkennung in der Gesellschaft zuteil werden zu lassen und ihren Weg in der Rehabilitation zu unterstützen.“ Was ein ganz kleines bisschen nach Fürsorge und Unterstützung klingen soll, bedeutet vor allem eins: die Bevölkerung soll sich doch bitte daran gewöhnen, dass durch Krieg verkrüppelte Menschen wieder dazu gehören zu einem normalen Stadtbild. Wir sollen gefälligst dankbar sein für Helden, die sich für „unsere Freiheit“ Hände, Beine oder Psyche von Granaten und Minen haben zerfetzen lassen, denn wenn die Pläne der Herrschenden aufgehen, wird es davon bald mehr geben.

Kurz vor der Eröffnung der Spiele in Düsseldorf haben die Initiatoren des Ganzen uns zusätzlich mit einer Netflix-Serie beglückt. In der Doku-Reihe „Invictus Games – Im Herzen unbezwingbar“ erklärt der schon erwähnte royale Spross aus England, warum er die Invictus Games erfunden hat. Außerdem trauert er seinem Afghanistan-Einsatz nach, der zu seinem Bedauern nur zehn Wochen lang war. Er feuert die teilnehmenden Veteranen an, doch jetzt bitte die „beste Version“ ihrer selbst zu sein und fast ist man geneigt, ihm zu glauben, dass er sich selber glaubt. Was bedeutet es schon, der psychischen und physischen Gesundheit und einer oder mehrerer Gliedmaßen beraubt zu sein? Mit Sport kommt man raus aus dem Loch, das ist dann auch besser für die Familie!

Trotz der albernen Auftritte von Harry Windsor, der ständig irgendein Lampenfieber vor sich hertragen muss, weil er sich ja eigentlich „aus der Öffentlichkeit“ zurückgezogen hat, geht die Serie von Regisseur Orlando von Einsiedel deutlich geschickter vor als die von der Bundeswehr produzierte YouTube-Serie über die Teilnahme deutscher Soldatinnen und Soldaten an den Invictus Games in Australien (siehe UZ vom 23. November 2018). Und bietet mit fünf mal knapp fünfzig Minuten auch deutlich mehr Raum für Propaganda. In deren Mittelpunkt steht – wie sollte es auch anders ein – die Ukraine.

Porträtiert als eine der Teilnehmenden an den Invictus Games wird eine ukrainische Sanitäterin, die unbemerkt zwei Herzinfarkte erlitten hat und nicht mehr so ganz diensttauglich ist. Sie ist die Einzige, die zusätzlich zu ihrem Namen auch mit „Rufnamen“ vorgestellt wird, eigentlich einem Kampfnamen. Sie habe erst angestellt und dann „als Freiwillige“ „im Osten“ gedient. Denn dort, so macht eine Einblendung in der ersten Folge deutlich, wie der Propagandahase zu laufen hat, „hat die Ukraine seit 2014 ihre östliche Grenze gegen Russland verteidigt“. Alle ukrainischen Teilnehmer der Invictus Games sind Veteranen dieses heldenhaften Kampfes. Wer da nicht an die ermordeten Kinder des Donbass und an Asow-Faschisten denkt, hat die letzten neun Jahre nicht aufgepasst.

Folgerichtig zählt die Serie dann auch nicht nur einen Countdown zu den Spielen im vergangenen Jahr in Den Haag runter, sondern blendet auch völlig willkürlich immer mal wieder ein, jetzt seien es noch „123 Tage bis zur russischen Invasion“. Die Organisatoren der „Invictus Games Foun-dation“ sind sehr besorgt um die ukrainischen Teilnehmer, wenn der Angriff kommt, werden sie vielleicht zurückbeordert. Diese ins Jahr 2021 datierten, ziemlich offensichtlich nachgestellten Szenen sind fast schon zum Schmunzeln. Nebenher wird noch munter ein bisschen Geschichte gefälscht, wenn zum Beispiel im Hintergrund ein ukrainischer Nachrichtensprecher darüber spricht, dass US-Präsident Biden „Putin diplomatische Wege eröffnen wird, die Situation an der Grenze zu entschärfen“.

Was man am Schluss der Serie denkt, weiß ich nicht, bis dahin habe ich es nicht geschafft. Am Schluss der in Deutschland ausgetragenen Invictus Games mit 500 Teilnehmern aus 21 Nationen wird für einige der fade Beigeschmack stehen, dass die Idee der Olympischen Spiele schamlos für Kriegspropaganda missbraucht wurde. Viele werden nicht gemerkt haben, dass die Gesellschaft, in der sie leben, sich schleichend ein Stück weiter militarisiert hat. Die meisten werden jedoch zum Glück noch nicht mal mitbekommen haben, dass die Propagandashow stattgefunden hat.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Demoliert und vorgeführt", UZ vom 8. September 2023



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