Das Bundeskabinett hat sich auf die „Neue Grundsicherung“ geeinigt. Bald sollen auch die Mietzahlungen von Bürgergeldbeziehern sanktioniert werden dürfen. An den Profiten der Wohnungskonzerne wird hingegen nicht gerührt. Im UZ-Interview erklärt Siw Mammitzsch, Geschäftsführerin der Mietergemeinschaft Essen, wie an den Mietzahlungen der Ärmsten verdient wird und was passieren muss, um hohe Wohnkosten zu begrenzen.
UZ: Vonovia rechnet in diesem Jahr mit milliardenschweren Gewinnen. Zugleich ist bei dem Konzern der Anteil der Wohnungen besonders hoch, die an Menschen vermietet werden, die Transferleistungen beziehen. Wie geht das zusammen, dass die Konzerne, die an die Ärmsten in unserer Gesellschaft vermieten, zugleich enorme Gewinne einfahren?
Siw Mammitzsch: Vonovia ist der größte Wohnungskonzern in Deutschland und arbeitet sehr strategisch. Eine maximale Miethöhe ist immer deren Ziel, um möglichst hohe Einnahmen zu erzielen. Gesetzeslücken wie etwa das Fehlen einer Mietpreisbremse werden gnadenlos ausgenutzt. Werden Wohnungen neu vermietet, liegen die Mieten oft 20 Prozent über dem Mietspiegel. Bei Mieterhöhungen nach Mietspiegel werden teilweise Ausstattungsmerkmale genannt, die gar nicht erhöhend wirken können.
Das Gleiche passiert bei den Nebenkostenabrechnungen. Aus den Geschäftsberichten von Vonovia geht hervor, dass selbst in diesem Bereich Gewinne gemacht werden. Und das ist rechtlich eigentlich nicht möglich, weil nur das umgelegt werden darf, was tatsächlich an Kosten entstanden ist. Aber die Konzernstruktur von Vonovia ist unglaublich komplex. Es gibt weit über 100 Tochterunternehmen, die Dienstleistungen für den Mutterkonzern erbringen, unter anderem Winterdienst, Hausreinigung oder Gartenpflege. Diese konzerninternen Abrechnungen sind derart intransparent, dass sie für die Mieter letztlich nicht nachvollziehbar sind.
Bei Leistungsempfängern kommt hinzu, dass sich die Mieten an den erstattungsfähigen Kosten der Unterkunft orientieren. Da ist klar, welche maximalen Miethöhen in den jeweiligen Kommunen möglich sind. Gerade da, wo das Angebot an bezahlbaren Wohnungen extrem niedrig ist, sind die Betroffenen gezwungen, Wohnraum anzumieten, der nach den Bestimmungen der Kosten der Unterkunft eigentlich nicht anmietbar ist. Den Teil der Mieten, der von den Kommunen nicht übernommen wird, zahlen diese Menschen aus dem Geld für ihren monatlichen Lebensunterhalt.
UZ: Mit welchen Problemen bist du bei deiner konkreten Arbeit bei der Mietergemeinschaft konfrontiert?
Siw Mammitzsch: Alle zwei Jahre muss der Mietspiegel angepasst werden und alle vier Jahre wird ein sogenannter qualifizierter Mietspiegel erstellt. Dabei fließen die veränderten Mieten der letzten sechs Jahre ein. Mietspiegel erhöhen sich im Grunde permanent selbst, weil eben nur die veränderten – also in der Regel gestiegenen – Mieten berücksichtigt werden.
Immer wenn ein neuer Mietspiegel erstellt worden ist, werden uns besonders viele Mieterhöhungsverlangen zur Prüfung vorgelegt. Da ist Vonovia nicht alleine, auch andere Konzerne und selbst die kommunalen Wohnungsunternehmen wollen den Spielraum nutzen, der sich für mögliche Mieterhöhungen ergibt. Erhöht sich der Mietspiegel, erhöhen sich im Nachgang auch die Kosten der Unterkunft. Systematisch gibt es dann Anpassungen bei den Leistungsbeziehenden.
Sowohl bei Selbstzahlenden als auch bei Menschen im Leistungsbezug sehen wir einen hohen Beratungsbedarf und es treten zum Teil ganz andere, zusätzliche Probleme auf. Dabei spielen oft kleinere, finanzmarktgesteuerte Wohnungsunternehmen eine Rolle, die sich, sagen wir, etwas abseits der Gesetzgebung bewegen. Gerade bei uns in Essen sind solche Fonds leider sehr verbreitet. Da passiert es, dass ein neuer Eigentümer nach einer Sanierung neue Mietverträge vorlegt. Und viele Menschen wissen nicht, dass kein neuer Mietvertrag unterzeichnet werden muss, nur weil der Eigentümer wechselt. Die alten Verträge behalten ihre Gültigkeit. Bei der Unterzeichnung des neuen Mietvertrags wird oftmals eine neue Miethöhe festgelegt, die im normalen Prozess auch unter Berücksichtigung der Modernisierung nicht möglich wäre. In den Jobcentern fehlt es häufig an Expertise und es wird lediglich anhand der vorgelegten Unterlagen entschieden. Deshalb werden Mieten übernommen, die unserer Meinung nach nicht zulässig sind. Auch bei den betroffenen Mietern ist das Widerstandspotential in diesen Fällen nicht sehr hoch, weil sie Angst haben, bei Ärger mit dem Vermieter ihre Wohnung zu verlieren.
UZ: Gerade die Jobcenter und die Kommunen als Kostenträger müssten doch ein Interesse daran haben, die Mieten gering zu halten …

Siw Mammitzsch: Die Kommunen versuchen, die Mieten für Leistungsbezieher nach Möglichkeit gering zu halten oder zumindest den Anstieg zu begrenzen. So gesehen sind sie selbstverständlich Bündnispartner für Mieterinnen und Mieter. Auf der anderen Seite gibt es aber Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit, weil wir die Arbeit der Jobcenter manchmal öffentlich kritisieren. Und das sehen sie natürlich nicht so gerne. Wir versuchen immer wieder zu vermitteln, dass wir als Mietervereine auch als direkte Ansprechpartner für die Jobcenter zur Verfügung stehen. Das setzt aber voraus, dass im Einzelfall erkannt wird, wenn etwas nicht in Ordnung ist. In den Jobcentern herrscht Personalnot und in der Masse der zu erledigenden Anträge werden komplexe, mit dem Mietrecht zusammenhängende Fragen nicht immer rechtzeitig erkannt – um es vorsichtig auszudrücken.
UZ: Wenn auf der Bundesebene von Bürgergeld, Grundsicherung und den steigenden Kosten der Unterkunft gesprochen wird, dann wird die Schuld meist bei den Betroffenen gesucht. Anstatt die Mieten zu begrenzen, werden Sanktionen verschärft. Was hat das für Auswirkungen?
Siw Mammitzsch: Für die Kommunen sind die Kosten im sozialen Bereich gestiegen und die Wohnkosten gehören dazu. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat gerade erst eine neue Studie herausgegeben, die den Zusammenhang zwischen Wohnkosten und Armut benennt. Wenn man nicht nur auf die Einkommensseite schaut, sondern auch die Wohnkosten in die Analyse einbezieht, dann ist der Anteil derjenigen, die in Armut leben, noch sehr viel höher als in den offiziellen Statistiken. Die steigenden Wohnkosten verschärfen Armut und soziale Ungleichheit enorm.
Das ist auch bei der Bundesregierung angekommen. Aber anstatt zu helfen, versucht sie einfach, die Kosten zu drücken. Und das geht zu 100 Prozent zu Lasten der Betroffenen, die ja gar keine Wahlmöglichkeit haben, weil sie mit einem völlig losgelösten Wohnungsmarkt konfrontiert sind, der sich nur noch an Kapitaleinkünften orientiert. Es gibt kaum mehr bezahlbare Wohnungen. Das hat nicht nur, aber stark damit zu tun, dass es keinen sozial gebundenen Wohnraum mehr gibt. In den letzten Jahren sind Sozialwohnungen in Massen aus der Bindung gefallen und nennenswerten geförderten Neubau gibt es nicht. Es ist ein riesiges Problem, dass die öffentliche Hand in der Vergangenheit so viele Wohnungen verkauft hat. Der ganze Wohnungsmarkt ist kapitalgetrieben, staatlicherseits gibt es kaum noch Einflussmöglichkeiten. Die müsste man sich gezielt zurückholen.
UZ: Das macht der Staat aber nicht.
Siw Mammitzsch: Nein, stattdessen werden Sanktionen für diejenigen verhängt, die sich nicht ausreichend wohlverhalten. Die nun im Kabinett beschlossenen verschärften Kürzungen betreffen nicht nur den monatlichen Lebensunterhalt, sondern auch die Kosten der Unterkunft. Für die Betroffenen ist das der direkte Weg in die Wohnungslosigkeit, weil ihnen auf diese Weise Mietschulden aufgeladen werden. Und alle Mietschulden, die über eine Monatsmiete hinausgehen, sind kündigungsfähig.
Der Druck wird also einzig und allein auf die Betroffenen abgewälzt. Und die sind oft nicht selbst schuld an verpassten Terminen und unbeantworteten Briefen. Auch das kann mit der Wohnsituation zusammenhängen. Wir kennen ganz viele Häuser, in denen permanent die Haustüren offenstehen. Nicht, weil die Bewohner so nachlässig wären, sondern weil in diesen sogenannten Schrottimmobilien gar keine Schlösser mehr vorhanden sind. Wo keine abschließbaren Briefkästen existieren, geht auch schon mal Post verloren. Aber auch wenn die Briefe ankommen, ist es häufig zu spät für eine fristgemäße Reaktion. Manchmal dauern die Postläufe vier oder fünf Tage. Und auch die Empfänger von Kosten der Unterkunft dürfen mal ein paar Tage zu Bekannten fahren. Wer dann nicht rechtzeitig auf das Schreiben des Jobcenters reagiert, sitzt schon in der Falle. In den meisten Fällen geht es gar nicht darum, dass jemand mutwillig die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter verweigert.
UZ: Auch die Behauptung, dass so die Sozialausgaben für die Kommunen gesenkt werden können, scheint weit hergeholt. Steigen durch dieses Sparprogramm nicht gerade die kommunalen Ausgaben für Wohnungslosenhilfe, Familienhilfe und alles, was damit zusammenhängt?
Siw Mammitzsch: Das ist zu befürchten. Sämtliche großen Sozialverbände haben sich gegen das Gesetz zur „Neuen Grundsicherung“ ausgesprochen. Wir befürchten, dass die Zahl der Zwangsräumungen exorbitant steigen wird. Dann sind die Kommunen in der Pflicht, Obdachlosigkeit zu verhindern. Das heißt, sie müssten eigentlich Angebote machen und wieder mehr Gebäude als Obdachlosenunterkünfte bereitstellen – und zwar in einer Anzahl, die sich die Kommunen noch nicht träumen lassen. Die Folgekosten für die Kommunen werden wahrscheinlich höher sein, als wenn die Kosten der Unterkunft weiterhin übernommen würden.
UZ: Wo müsste man eigentlich ansetzen, um Verbesserungen zu erreichen?
Siw Mammitzsch: Wohnen gehört zur Daseinsvorsorge und nicht auf den Kapitalmarkt. Und damit gehört es eben in die Verantwortung der öffentlichen Hand, bezahlbare Wohnungen bereitzustellen. Diese Einsicht gibt es mancherorts, selbst in der bürgerlichen Berichterstattung. Wir sehen die Auseinandersetzungen in Berlin. Die Stadt Dresden hat kürzlich erst Wohnungen zurückgekauft, die sich in einem miserablen Zustand befinden. Obwohl die erst noch saniert werden müssen, werden mittelfristig sinkende Wohnkosten erwartet. Die öffentliche Hand kann Wohnungen zu geringeren Kosten bereitstellen, weil es keine Aktionäre gibt, die den Gewinn abschöpfen. Das Geld kann stattdessen in zukunftsfähigen Umbau und Sanierungen investiert werden.
Das ist die eine Seite. Aber es gibt noch einen zweiten Bereich, den ich auch nicht ganz unwesentlich finde. Und das ist der Bereich der Löhne. Denn wenn die Löhne regelmäßig hoch genug steigen, wäre es theoretisch kein Problem, steigende Mieten mitzufinanzieren. Aber genau da geht die Schere derzeit auseinander. Die Mieten sind in den letzten Jahren deutlich schneller gestiegen als die Einkommen. Hier sind die Gewerkschaften in der Pflicht, die steigenden Wohnkosten im Blick zu haben, wenn Arbeitskämpfe geführt und Tarifverträge ausgehandelt werden.
Außerdem muss gelten: Einmal Bindung, immer Bindung. Wenn die öffentliche Hand schon den Neubau von Wohnungen mitfinanziert, dann dürfen diese Wohnungen nie wieder aus der Mietpreisbindung herausfallen. Sonst ist die massive staatliche Förderung nichts anderes als eine massive Umverteilung öffentlicher Gelder in Richtung der Kapitalmärkte. Das ist zurzeit so, das kritisieren wir. Das muss sofort aufhören.
Das Gespräch führte Vincent Cziesla









