Militarisierung im Äußeren greift auch ins Innere

Der verfluchte Drang zum Krieg

Kolumne

„Kriegstüchtig werden!“ – Die ärgsten Schreihälse aus Politik, Rüstungsindustrie und ihrem medialen Echo würden am Tage X in keinem Schützengraben liegen, das Elendsgemisch von Pulver- und Leichengestank nicht einatmen, ihre Söhne ins neutrale Ausland geschickt und vorsorglich damit begonnen haben, ihre Exkulpationsstrategien zu entwerfen. Was sind das für Leute, für die Kriegstüchtigkeit heißt, nach einer verbesserten „materiellen und kulturellen Tötungstechnologie“ zu suchen, fragte jüngst in der „Berliner Zeitung“ der renommierte deutsche Soziologe Hartmut Rosa, und mutmaßte einen Generationsumbruch. Für die ältere Generation, noch geprägt von den grauenhaften Kriegserfahrungen ihrer Eltern oder Großeltern, sei das „Nie wieder“ noch eine „sehr starke Denk- und Seinsform“ gewesen. Nun stehe eine neue Generation in Verantwortungspositionen, der Krieg als aseptische Bildschirmerscheinung begegnet. Nun: Vermutlich war die Vorgeneration doch nicht so einmütig Richard von Weizsäckers Einsicht von faschistischer Kriegsschuld und alliierter Befreiungstat gefolgt. Wie sonst hätten sich in der bundesdeutschen Gesellschaft Verhältnisse stauen können, die der heranwachsenden bürgerlichen Polit-Elite jene Kälte anerzog, mit der sie heute bereit ist, aus dem „Nie wieder“ ein „Wieder“ zu formen? Mahnende Stimmen, es gibt sie noch, müssen sich durch bellizistisches Sperrfeuer wagen, sollen ungehört bleiben, werden niedergeschrien. Das politische Klima klirrt vom Kettengesang militärischer Vokabeln: Deutsche Führungsrolle, stärkste Armee Europas, im Ernstfall russische Soldaten töten, Aufbau neuer Waffenschmieden, gemeinsamer Atomwaffenschirm, „Patriot“-Lieferung auf Kosten der Europäer, der Jugend Wehrbegeisterung anerziehen, kriegstaugliche Infrastruktur schaffen, Lazarette bedenken und geeignete Bunkeranlagen … Eine Litanei, die sich in den Alltag frisst und das Denken auf friedensfernem Niveau arretieren soll. Russophobe Angstmache, im Rassismus wurzelnd, bezweckt die Abgabe der Vernunft an der Garderobe verlogener vaterländischer Aufopferung.

Der Verrohung des Denkens entspricht die Verrohung der Sprache. Israel übernehme die „Drecksarbeit“ für uns, wenn es den Iran bombardiert – Hartmut Rosa nennt die Einlassung von Kanzler Merz „Nazijargon“. Da das Denken dahinter nur heißen kann, der Krieg sei eben als Normalität zu akzeptieren und Völkerrecht je nach Interessenlage Ansichtssache, sind wir wohl am Tiefpunkt aller Auffassungen von Frieden und Völkerverständigung angelangt, die seit dem Zweiten Weltkrieg in deutscher Sprache zu vernehmen waren. Und nur einen Schritt entfernt vom Weltkrieg.

Nach den Folgen gefragt, wenn 5 Prozent des BIP künftig in die Aufrüstung fließen, sieht der Soziologe sehr wohl, dass damit die Hälfte des gegenwärtigen Staatshaushalts gebunden ist und Mittel für Bildung, Soziales oder Klimaschutz fehlen werden. Aber er weitet den Blick und fragt schärfer: „Wieviel geben wir fürs Töten aus?“ Um zugleich Prämissen für Alternativen zum Krieg und ein anderes außenpolitisches Denken auszuleuchten: Entwicklung einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa und die Einsicht, dass diese nur mit und nicht gegen Russland zu erreichen ist; Verhinderung eines nuklearen Infernos; wirksame Abrüstungsverträge und eine Stärkung der UNO; endlich wieder Verhandlungsbereitschaft statt Aufrüstungseifer.

Militarisierung im Äußeren drängt mit Macht auch ins Innere. Aggressivität nach draußen braucht Akzeptanz oder wenigstens Gleichgültigkeit im Lande. Das zu erreichen ist demagogische Kärrnerarbeit. Außerdem, sagt Hartmut Rosa, ließe sich „das Denken, der Feind sei das Böse und müsse potenziell vernichtet werden, (…) ganz schnell auch auf den innenpolitischen Feind übertragen“. Ich las seine Warnungen als ein an die Gesellschaft gerichtetes Stoppsignal und als Weckruf an die Friedensbewegung, die in neuer Breite und mit solcher Klarheit erstarken muss.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Der verfluchte Drang zum Krieg", UZ vom 1. August 2025



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit