Bundeswehr schickt Schiff mit über 200 Soldaten zur Embargokontrolle ins Mittelmeer

„Desaster“ in Libyen, „erfolglos“ in Mali

Helge Holzbauer

Das Marineschiff „Berlin“ ist auf großer Fahrt zur Embargokontrolle ins Mittelmeer. Der rund 170 Meter lange Einsatzgruppenversorger ist das größte Schiff der deutschen Kriegsmarine. Mit über 200 Soldaten an Bord soll es vier Monate im Einsatz sein. Missionsziel ist die Überwachung des UN-Waffenembargos gegen Libyen und die Verhinderung von Ölschmuggel. Im Rahmen der EU-Operation „Irini“ sollen Frachtschiffe kontrolliert werden, die unterwegs nach Libyen sind.

Dass die „Berlin“ am vergangenen Freitag in Wilhelmshaven ohne große Abschiedszeremonie aufgebrochen ist, ist der Corona-Pandemie geschuldet – die Soldaten mussten sich bereits zwei Wochen vorher von ihren Familien und Freunden verabschieden und waren erst einmal einzeln in einem Hotel einquartiert worden. Doch das „Leinen los“ in aller Stille passt auch zum bisher wenig erfolgreichen Mandat. Von der EU ausgegebene Ziele der Mission „Irini“ sind die „Stabilisierung“ des nordafrikanischen Bürgerkriegslandes Libyen sowie die Unterstützung des UN-geführten politischen Friedensprozesses. Weder das eine noch das andere wurde erreicht.

Zuletzt hatte die Bundeswehr sich von August bis Dezember vergangenen Jahres mit der Fregatte „Hamburg“ am EU-Einsatz beteiligt. Für Aufsehen sorgte seinerzeit die Nicht-Durchsuchung eines türkischen Containerschiffs. Die Überprüfung des mutmaßlichen Waffenschmugglers musste im November nach einem Veto-Anruf der türkischen Regierung kurzerhand abgebrochen werden. Just am Tag vor Auslaufen der „Berlin“ waren nun weitere Fälle bekannt geworden, bei denen das NATO-Mitglied Türkei Marinesoldaten aus der EU im Februar erneut per Veto an Kontrollen gehindert hatte. Der Einsatz der „Berlin“ ergebe „angesichts dieser Blamage überhaupt keinen Sinn und sollte gestoppt werden“, erklärte dazu in der vergangenen Woche die Vizevorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Heike Hänsel. Lange schon fordere ihre Partei die Einstellung der Rüstungsexporte an die Libyen-Kriegsbrandstifter Türkei, Ägypten oder Katar. „Dies wäre effektiver und würde mehr zur Stabilisierung in Libyen beitragen als alle Militäreinsätze zusammen“, so Hänsel.

Ein ähnlich schlechtes Zeugnis kommt nun ausgerechnet auch vom Berliner Thinktank „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP), der in einer aktuellen Studie die Militäreinsätze von Deutschland und Frankreich in Libyen und Mali einem Controlling unterzieht. Die Bilanz sei „enttäuschend“, schreibt Autor Wolfram Lacher. „Während deutsches Engagement weitgehend ineffektiv geblieben ist, hat Frankreichs Politik oftmals nachweislich zur weiteren Destabilisierung beigetragen.“ Die Militärpräsenz sei ein „Desaster“ in Libyen und „erfolglos“ in Mali. Katastrophaler kann eine Zensur kaum sein.

Die SWP wird aus dem Haushalt des Bundeskanzleramts finanziert – und dort dürfte man über das ernüchternde faktenbasierte Urteil auf 42 Seiten alles andere als erfreut sein. Frankreich hat mit der Militärintervention in Libyen 2011 nicht nur die staatliche Ordnung in dem nordafrikanischen Land zerstört, sondern islamistischen Terrorgruppen in Mali und den Nachbarländern der Sahel-Region erst Oberwasser beschert. Die „Erfolglosigkeit deutscher und französischer Politik“ vor Ort heute könne nicht allein dadurch erklärt werden, „dass in beiden Krisenstaaten hochkomplexe Konflikte ausgetragen werden, in denen externe Akteure nur begrenzten Einfluss ausüben können“. Eine genauere Betrachtung zeige vielmehr, „dass einzelne Aspekte französischer Politik in beiden Ländern zur weiteren Destabilisierung beigetragen haben, teils sogar erheblich. Das gilt besonders für die französische Unterstützung für den Warlord Khalifa Haftar in Libyen und die Zusammenarbeit der französischen Armee mit Milizen in Mali. In beiden Fällen handelte es sich weniger um strategisch durchdachte Realpolitik als um fehlgeleitete Ansätze, deren negative Folgen abzusehen waren.“

Bei den deutschen Militäreinsätzen lasse sich „kein solch offensichtlich kontraproduktives Vorgehen feststellen“, so Studienautor Lacher weiter, doch sollte dies „kein Grund für Selbstzufriedenheit“ sein. „Die deutschen Versuche, die Konflikte in Mali und Libyen im europäischen oder multilateralen Rahmen zu bearbeiten, können kaum überzeugen. Zumindest ist nicht erkennbar, ob sie stabilisierend wirken oder nicht. Zudem gibt es auf deutscher Seite keinerlei Bestreben, Frankreich von destabilisierend wirkendem Vorgehen abzubringen.“ Und weiter: „Die deutsche und die französische Politik in Libyen und Mali offenbaren eine Problematik, die über die beiden Krisenstaaten hinaus relevant ist. In Libyen hat die französische Politik ihren Anteil daran, dass der Konflikt zum Wegzeichen des Zerfalls der regelbasierten internationalen Ordnung geworden ist. Deutschland hat wenig unternommen, um dem entgegenzuwirken.“ Mali wiederum drohe zum Negativbeispiel dafür zu werden, dass auch massives internationales Engagement in Form von UN- und EU-Missionen kaum Stabilisierungserfolge bringt. Höchste Zeit also, die Militärinterventionen der EU-Mächte im Norden Afrikas zu beenden und die Soldaten der „Berlin“ nicht erst in vier Monaten wieder zu ihren Freunden und Familien zurück zu lassen.

 

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"„Desaster“ in Libyen, „erfolglos“ in Mali", UZ vom 12. März 2021



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