Marx-Engels-Stiftung diskutiert über den VII. Weltkongress und verschiedene Deutungen

Die Grundlagen herausarbeiten

Vom 29. bis 31. August führt die Marx-Engels-Stiftung (MES) eine Konferenz zur Bedeutung des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale durch. UZ sprach mit Jürgen Lloyd von der MES, der die Konferenz vorbereitet.

UZ: Warum sollte man sich 90 Jahre nach dem VII. Weltkongress noch mit seinen Inhalten beschäftigen?

Jürgen Lloyd: Vor 90 Jahren musste sich die Kommunistische Weltbewegung mit der Erfahrung auseinandersetzen, dass sie den Übergang zur faschistischen Herrschaftsform in Deutschland nicht verhindern konnte. In einem Land mit starker Arbeiterbewegung hatte sie es nicht geschafft, den Angriff, mit dem die Monopolbourgeoisie die Durchsetzung ihres Klasseninteresses anstrebte, rechtzeitig zurückzudrängen. Das auszuwerten und für die Zukunft Lehren zu ziehen war die Aufgabe des Kongresses.

Wenn es so wäre, dass wir heute nicht mehr mit solchen Angriffen zu kämpfen hätten, dann wäre es vielleicht zu verzeihen, uns nicht mit dem Kongress auseinanderzusetzen. Leider ist das aber nicht der Fall. Im Gegenteil: Die Angriffe nehmen an Brisanz zu. Die Reaktion galoppiert und die kommunistische und die antifaschistische Bewegung zeigen sich ideologisch und organisatorisch nicht angemessen aufgestellt. Der objektive Bedarf an Beschäftigung mit den Inhalten des Kongresses ist viel größer, als wir es mit unserem Seminar befriedigen können.

UZ: Entgegen früheren Zeiten werden inzwischen auch in der kommunistischen Bewegung die Erkenntnisse der Kommunistischen Internationale in Frage gestellt. Was sind die Streitpunkte?

Jürgen Lloyd: Auch früher waren die Erkenntnisse umstritten. Schon auf dem Kongress selber und auf der folgenden „Brüsseler“ Konferenz der KPD wurde heftig gestritten. Dass sich heute viele bei uns und in unserem Umfeld positiv auf den VII. Weltkongress beziehen, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dessen Inhalte – oftmals nur zu einzelnen Zitaten verkürzt rezipiert – unterschiedlich und zum Teil gegensätzlich ausgedeutet werden. Das zeigte sich unter anderem im April 2024 bei einer Veranstaltung der MES zu „Faschismusgefahr und AfD“. Die vier Referenten und viele Diskussionsbeiträge verwiesen auf den VII. Weltkongress. Dass sie daraus aber ausgesprochen unterschiedliche Konsequenzen zogen, machte es naheliegend, sich nochmal mit den Fragen des Kongresses zu beschäftigen.

Offensichtlich gibt es Unterschiede zum Beispiel beim Verständnis davon, wie und wozu Kommunisten Bündnisse eingehen können und sollen. Erhalten Bündnisse nur daher ihren Sinn – und ihre Berechtigung –, weil wir alleine zu schwach sind? Oder sind Bündnisse Ausdruck davon, dass wir in der Gesellschaft Fronten ausmachen, die durch objektive Inte­ressen bestimmt werden – bei denen die Gemeinsamkeit von Inte­ressen die Bündnispartner definiert und der Inte­ressengegensatz die äußere Grenze des Bündnisses und damit den Inhalt dessen ausmacht, wogegen man dann im Bündnis gemeinsam ankämpft?

Wie sehen wir die Rolle der anderen bürgerlichen Parteien, wie die Rolle der sozialdemokratischen Parteien? Vertreten sie andere Inte­ressen als die Faschisten oder betreiben sie lediglich eine andere Form, in der dieselben Inte­ressen durchgesetzt werden? Und was folgern wir aus der Antwort auf diese letzte Frage für unsere Strategie? Verwandt damit ist die Frage nach unserer Haltung zur bürgerlichen Demokratie. Ist sie wirksame Tarnung, hinter der sich die Klassenherrschaft des Monopolkapitals verstecken kann? Verteidigen wir sie deswegen, weil sie immer noch besser ist als die offene faschistische Diktatur – und etwa nur aus diesem Grund? Ändert sich unsere Haltung zur bürgerlichen Demokratie im Verlauf der historischen Entwicklung und, wenn ja, aus welchem Grund?

Das sind Fragen, die von der Kommunistischen Internationale vor 90 Jahren diskutiert werden mussten. Heute werden sie auch diskutiert – und sie müssen auch weiter diskutiert werden, weil wir konkrete Antworten auf eine sich weiter entwickelnde Wirklichkeit brauchen. Zu meinen, mit dem Zitieren von einzelnen Aussagen des VII. Weltkongresses wären diese Antworten schon gegeben, wäre schrecklicher Schematismus. Zu meinen, wir könnten aus dem Kongress vor 90 Jahren nichts lernen, würde aber verkennen, dass die Grundstruktur monopolkapitalistischer Klassenherrschaft damals und heute dieselbe ist und dass die Genossinnen und Genossen damals sich ebenso, wie es heute unsere Aufgabe ist, mit den konkreten Bedingungen auseinandergesetzt haben, unter denen diese Klassenherrschaft funktioniert.

UZ: Wie spiegelt sich diese Diskussion auf eurer Konferenz wider?

Jürgen Lloyd: Hans Christoph Stoodt und ich haben nach der erwähnten MES-Veranstaltung die Überlegung aufgegriffen, sich mit dem VII. Weltkongress zu befassen, und waren uns einig, bereits die Vorbereitung dieser Veranstaltung zu nutzen, um unterschiedliche Positionen zur gemeinsamen Arbeit am Thema zusammenzubringen. Das ist erfreulich gut gelungen. Neben mir waren Vertreter aus DKP, KO und KP, der Generalsekretär der FIR, Ulrich Schneider, und ein Vertreter der SDAJ beteiligt. Es war deutlich, dass wir uns nicht einzelne Aussagen um die Ohren hauen, sondern uns den Inhalten der Konferenz nähern wollen, indem wir uns erarbeiten, wie die Themen und Streitpunkte historisch entstanden sind und sich entwickelt haben. Aus diesem Ansatz ist dann auch die gemeinsame Konzeption unseres Seminars entstanden. Die Diskussion würde abgehoben von der politischen Praxis zu einem reinen Theoriestreit verdreht. Es geht aber darum, die Diskussion als Widerspiegelung der realen Kämpfe zu verstehen und als deren theoretische Durchdringung zu betreiben.

UZ: Welchen Erkenntnisgewinn erwartet ihr für den antifaschistischen Kampf?

Jürgen Lloyd: Wir erwarten nicht, die Differenzen einfach ausräumen zu können. Wenn es uns aber gelingt, die Grundlagen der marxistischen Argumentation herauszuarbeiten, auf die sich die weitere Debatte beziehen könnte, wäre viel erreicht. Meines Erachtens sind wichtige Erkenntnisse bereits in den letzten 90 Jahren erarbeitet worden. Historiker in der DDR, die sich auf den KI-Kongress stützten, oder Reinhard Opitz in der BRD haben Hilfreiches geleistet. Aber diese Erkenntnisse können nur wirksam werden, wenn sie von marxistischen Organisationen konsequent für ihre Praxis herangezogen werden. Es geht also nicht nur um theoretische Probleme, sondern es mangelt an einer Praxis, die den Wert dieser Erkenntnisse erfahrbar werden lässt.

Die Fragen stellte Björn Blach

Der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1935
Konferenz von Freitag, 29. August 2025 (Beginn 18.00 Uhr) bis Sonntag, 31. August 2025 (Ende 13.00 Uhr) in der Karl-Liebknecht-Schule, Leverkusen. Es referieren Jürgen Lloyd (MES), Conny Renkl (DKP), Max Rodermund (KO) und Hans Christoph Stoodt (KP). Anmeldungen an: marx-engels-stiftung@t-online.de. Teilnahmebeitrag einschließlich Unterkunft und Verpflegung: 90 Euro, ermäßigt 30 Euro.
www.marx-engels-stiftung.de

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"Die Grundlagen herausarbeiten", UZ vom 15. August 2025



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