Für kubanische Ohren klingt es fast zu schön, um wahr zu werden. Nach jahrelangen Engpässen bei der Energieversorgung erwartet die Regierung bereits für kommendes Jahr das Ende aller Tages-Blackouts. Dutzende Solarparks, die derzeit zwischen Havanna und Santiago entstehen, sollen das ermöglichen. Während Washington die sozialistische Inselrepublik mit ständig verschärften Sanktionen in die Knie zwingen will, liefert China Technologie und Know-how für einen umfassenden Umbau des kubanischen Energiesystems. Ziel ist es, die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien von derzeit 5 bis 2030 auf rund 29 Prozent zu steigern. „Die Sonne kann niemand blockieren“, so das optimistische Motto.
Die US-Zeitschrift „The Nation“ berichtete Ende Mai, dass Hafenarbeiter in Santiago de Cuba kürzlich die Löschung von Reis unterbrachen, um ein Schiff aus China mit einer anderen Fracht zu entladen. Die Antwort auf die Frage, was trotz knapper Nahrungsmittel wichtiger sein könne als Reis, lautete: Solarmodule. Millionen davon. Peking hat sich verpflichtet, Kuba mit Material, Technik und Finanzierung beim Bau von Solaranlagen zu unterstützen. Ende März gingen die ersten acht Photovoltaik-Parks ans Netz. Seitdem kommen jeden Monat vier bis fünf hinzu. Verträge zwischen beiden Ländern sehen vor, bereits Ende 2025 rund 1.200 Megawatt Solarstrom zu erzeugen – etwa die Hälfte des derzeitigen Spitzenbedarfs. Bis Ende 2028 sollen 92 Photovoltaik-Parks mit einer Gesamtleistung von 2.012 Megawatt fertig gestellt werden. Acht Millionen Solarpanels werden dafür verbaut. Langfristig strebt Kuba eine nahezu vollständige Versorgung durch erneuerbare Energien an. Die stellvertretende Ministerin für Außenhandel und ausländische Investitionen, Déborah Rivas Saavedra, würdigte die Zusammenarbeit zwischen den Kommunistischen Parteien und Regierungen beider Länder, die es ermöglicht habe, diese Projekte zügig anzugehen.
8.000 Container mit Material und Zubehör haben bereits kubanischen Boden erreicht oder befinden sich auf dem Weg dorthin, teilte Ovel Concepción Díaz, der Direktor für erneuerbare Energien im Energieministerium, unlängst mit. „Etwa 2,2 Millionen Paneele, tausende Tonnen Stahl, Millionen Schrauben, tausende Kilometer Kabel müssen in Rekordzeit verlegt werden“, so Energieminister Vicente de la O’Levy über die Dimension des Mammutprojekts. Zur Strategie gehören neben den großen Anlagen auch kleinere Einheiten. China spendet 22 weitere Parks mit insgesamt 120 Megawatt. Zudem sind neue Windkraftwerke und tausende solarbetriebene Wasserpumpen geplant. Ein Gesetz verpflichtet große – staatliche wie private – Energieverbraucher, mindestens die Hälfte ihres Tagesverbrauchs selbst aus erneuerbaren Quellen zu decken. Auch der Ausbau der Elektromobilität und die Errichtung von Ladestationen mit eigener Solarerzeugung sind geplant. „Das ist kein Pilotprojekt, sondern ein nationaler Kraftakt“, betont Ovel Concepción Díaz. Deshalb habe der Staat alle Prozesse dafür priorisiert – vom Entladen der Schiffe bis zur Logistik auf dem Baugelände.
Auch in der Wirtschaftsplanung ändert sich der Fokus. Neue Hotelprojekte, bisher Priorität der Devisenpolitik, werden auf Eis gelegt. Die staatlichen Investitionen im Energiesektor steigen in diesem Jahr auf 27,2 Prozent und überholen erstmals den Tourismus mit 14,1 Prozent. Anfang 2024 war noch gut ein Viertel der Gesamtinvestitionen in diesen Bereich geflossen. Ein logischer Schritt nach Einbrüchen durch die Pandemie und neuen US-Sanktionen, die auf den Reisesektor zielen. Die Besucherzahlen gingen im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent zurück und erreichten nur noch die Hälfte des Niveaus von 2019. Während die Einnahmen drastisch sinken, explodieren die Ausgaben für Treibstoff und Ersatzteile der Kraftwerke. „Die unmenschliche Wirtschaftsblockade der US-Regierung und ihrer westlichen Verbündeten erschwert die Lieferung per Luft und See extrem – und treibt die Kosten in die Höhe“, unterstreicht die chinesische „Global Times“ den Handlungsbedarf. Landesweite Stromausfälle verschärften in den vergangenen Monaten den Druck. Präsident Miguel Díaz-Canel stellt den Umbau der Energieversorgung bei Besuchen in Städten und Dörfern als Erfolg versprechende Alternative dar. „Wir befinden uns in einer komplexen Krise, aber es gibt Licht am Ende des Tunnels“, sagt er den von häufigen Stromabschaltungen genervten Bürgern.
Grund für Blackouts sind nicht der Mangel an Treibstoffen und Ersatzteilen aufgrund der US-Sanktionen, sondern auch die veralteten Kraftwerke und Netze. Obwohl die kubanische Regierung zu Recht auf die US-Blockade als eine der Hauptursachen für die Energiekrise hinweist, räumt sie auch eigene Versäumnisse bei der Modernisierung und Wartung der Anlagen ein. Ohne diese wird das Land aber auch künftig nicht auskommen, denn wegen fehlender Speicherkapazitäten wird der Solarstrom zumindest vorerst nur am Tag zur Verfügung stehen. Deshalb will Moskau – ein weiterer verlässlicher Partner – Kuba dabei helfen, die sowjetischen Kraftwerke zu modernisieren und instand zu halten. Ende vergangenen Jahres gewährte die Russische Föderation einen 60-Millionen-Dollar-Kredit zur Beschaffung von 80.000 Tonnen Treibstoff – sowie eine Spende von zwei Millionen US-Dollar in Form von Ersatzteilen und Komponenten für das Stromnetz.
Hauptgarant der Energiewende ist jedoch die Volksrepublik. China spiele eine „Schlüsselrolle im weltweiten Übergang zu einer CO₂-armen Zukunft“, kommentierte die „Global Times“ stolz. Bei einem Besuch in Havanna betonte Qiu Xiaoqi, Pekings Sonderbeauftragter für lateinamerikanische Angelegenheiten, am Mittwoch vergangener Woche, sein Land werde „die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Kubas weiterhin unterstützen“. Die Hilfe ist Teil einer Win-win-Strategie. Im April unterzeichneten beide Länder eine Absichtserklärung, um die Zusammenarbeit in den Bereichen Geologie und Bergbau zu verstärken. China, einer der Hauptimporteure von kubanischem Nickel, könnte dem Vernehmen nach eine Beteiligung an den Minen auf der Insel zugestanden werden. Neben Lithium zählt das Metall zu den wichtigsten Rohstoffen für die Batterieherstellung. Ein Geschäft zum beiderseitigen Vorteil. Als Ergebnis kommt Kubas Solarumbau voran, trotz ständig verschärfter US-Sanktionen. „Trumps Regierung macht keinen Hehl daraus, dass sie Kubas Regierung stürzen und Chinas Einfluss zurückdrängen will“, konstatierte „The Nation“. Die New-Yorker Zeitschrift kommt jedoch zu dem Schluss, dass es Washington „schwerfallen dürfte, Kubas Energiewende zu stoppen – eine Wende, die Hoffnung auf wirtschaftliche Erholung und mehr Unabhängigkeit bringt“.