Zu „Den Hauptfeind im Blick halten“ und „Nichts gelernt“, UZ vom 9. und 16. Juni

Differenziert

Harff-Dieter Salm, Bad Camberg

Sohn und Sander suchen beide nach Eindeutigkeit, wo es nur differenziertes, mehrspuriges Agieren geben kann. Manfred Sohn stellt den „Ruf nach ‚antifaschistischen‘ (ironisiert!) Bündnissen gegen die AfD“ in eine Reihe mit der Demagogie der Fischer/Scharping/Schröder im Krieg gegen Jugoslawien. Nicht völlig zu Unrecht, denn zweifellos wird mit positiv besetzten Begrifflichkeiten Unterstützung für die Politik der Herrschenden eingeworben. Wer aber in antifaschistischen Bündnissen aktiv ist und sich in einem kommunistischen Leitartikel als Nebelwerfer abgewatscht sieht, kann dazu bestenfalls den Kopf schütteln.

Uli Sander unterscheidet scharfsinnig zwischen dem Kapital und seiner Ampel, um auf die folgenschweren Fehler kommunistischer Bündnispolitik in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren zu verweisen. Wie aber die Herrschenden angreifen, ohne deren Politik in Gestalt ihrer Exekutive aufs Korn zu nehmen?

Wieder zu Manfred Sohn: Wenn 20 Prozent der Beherrschten für den „Knüppel im Schrank der Herrschenden“ kein Weckruf sind, was ist dann ein Weckruf? Die Aufgeweckten müssen irgendwann erkennen, dass diese Regierung Kernpunkte des AfD-Programms umsetzt, wie es Bernhard Trautvetter belegt. Herrschende Medien plus Regierung plus rechte „Opposition“ bilden die „Nebelwand“ des kapitalistischen Systems.

„Dein Anführer ist ein Verräter, und du bist ein Idiot, ihm zu glauben, aber ich möchte gern mit dir gegen den Faschismus kämpfen“, so hat Robert Steigerwald einmal die letzten Einheitsfrontbemühungen der KPD vor 1933 auf den Punkt gebracht. Das war zu spät und es konnte nicht viele überzeugen.

Die diffuse Lage erfordert vielfältige Bündnisse. Es ist zu erwarten (und zu befürchten), dass vielfaches politisches Tüddeln den Knoten nicht lösen wird und sich alles weiter zuspitzt. Wenn die dann nötigen breitesten Bündnisse schon im Vorfeld durch engstirnige Ab- und Ausgrenzungen obstruiert sein werden, dann wird man auch uns Kommunisten wieder fragen, wie groß unser Anteil daran war.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Differenziert", UZ vom 30. Juni 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Baum.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]

    Das könnte Sie auch interessieren

    Unsere Zeit