In Bolivien erlitt die Linke eine historische Schlappe

Durchmarsch der Konservativen

Bei den Präsidentschaftswahlen in Bolivien hat die Linke nach zwanzig Jahren erstmals wieder die Führung des Landes abgeben müssen. Die vorläufigen, jedoch zuverlässigen Ergebnisse zeigen für drei rechtsgerichtete Kandidaten die größten Stimmenanteile. In die Stichwahl am 19. Oktober kommen demnach Rodrigo Paz von der Christdemokratischen Partei mit 32 Prozent der gültigen Stimmen und Jorge Quiroga von der „Alianza Libre“ (Freies Bündnis) mit 26,7 Prozent; auf Platz drei lag Samuel Doria von der „Alianza Unidad“ (Bündnis Einheit), der bereits zum vierten Mal erfolglos kandidierte, mit 20 Prozent. Die beiden Kandidaten, die aus der regierenden „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) kommen, fuhren schlechte bis mäßige Ergebnisse ein: Eduardo del Castillo hatte als offizieller Vertreter der MAS nur 3,2 Prozent, und der von der Partei abtrünnige Andrónico Rodríguez (Alianza Popular – Volksallianz) schaffte aus dem Stand immerhin 8,4 Prozent. Insgesamt kandidierten acht Männer für das höchste Amt des südamerikanischen Landes. Außerdem wurden 26 Plätze im Senat und 130 Abgeordnetenmandate vergeben. Der scheidende Präsident Luis Arce (MAS), der auf eine Wiederwahlmöglichkeit verzichtet hatte, wird sein Amt verfassungsgemäß am 8. November an den Stichwahlsieger übergeben.

Mit der historischen Niederlage der Linken traf ein, was nach einem jahrelangen Machtkampf zwischen Staatspräsident Luis Arce und seinem Vorgänger Evo Morales, der 2005 als erster Indigener in der Geschichte des Landes die Wahlen gewonnen und danach verteidigt hatte, zu erwarten war. Evo Morales stand mit der MAS für eine bemerkenswerte neue Verfassung sowie einige staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, aber ihm war juristisch die Möglichkeit einer neuerlichen Kandidatur genommen worden. Er unterstützte nach diversen internen Querelen Rodríguez, seinen Nachfolger als Präsident der Kokabauern, nicht und rief zum Wahlboykott auf. In der Tat gab es eine hohe Wahlenthaltung. Die Beteiligung lag nur bei 67,7 Prozent – äußerst niedrig angesichts einer in Bolivien geltenden Wahlpflicht. Zudem gab es unter denen, die an der Wahl teilnahmen, weil sie einer Strafe entgehen wollten, zusätzlich 1,3 Millionen leere Stimmzettel. Berechtigt zur Wahl waren 7,66 Millionen Menschen, von denen sich fast 2,5 Millionen auf die eine oder die andere Weise enthielten.

Das drückt klar aus, dass sich das gespaltene linke Lager am Ende dreiteilte: In Unterstützer von Rodríguez oder Del Castillo, in Nichtwähler und in Stimmvieh für rechts der MAS oder der AP stehende Kandidaten. Dass es zum Überlaufen zu konservativen Parteien kam, ist vorwiegend, aber nicht nur im Missmut über den internen Streit begründet. Denn zuletzt hatte Bolivien mit einem eklatanten Treibstoffmangel, Devisenknappheit und hoher Inflation zu kämpfen. Auch die Arbeitslosigkeit war in den letzten Jahren angestiegen.

Natürlich hat die Rechte mit Hilfe der Unternehmerschaft getan, was in ihrer Macht stand, um diese Situation zu befeuern. Aber ohne die Spaltung zwischen Arce und Morales wäre es zu einem solchen Ergebnis nicht gekommen. Die eigentliche Überraschung ist daher nicht, dass die Konservativen fast vier von fünf abgegebenen, gültigen Stimmen errangen, sondern wer von ihnen die erste Runde gewann: Der 57-jährige Senator Rodrigo Paz kam laut keiner Vorwahlbefragung in die Stichwahl, hat nun aber gute Chancen, Präsident zu werden. Sein Vater Jaime Paz war für die sozialdemokratische „Bewegung der Revolutionären Linken“ (MIR) 1989 bis 1993 bolivianischer Präsident; er wurde in den 80er Jahren von der Militärdiktatur verfolgt und war einziger Überlebender eines Anschlags auf sein Flugzeug. Rodrigo Paz gibt sich moderner als seine Kontrahenten. Er dürfte eine die MAS abstrafende Wählerschaft als das geringste Übel überzeugt haben.

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