Kritische Anmerkungen zur Rede Günter Pohls auf der 10. PV-Tagung

Eine fragwürdige Russlandanalyse

Von Willi Gerns

Der internationale Sekretär der DKP Günter Pohl hat auf der 10. Parteivorstandstagung am 9. September in Essen ein umfassendes Referat zu internationalen Fragen gehalten. Eine seiner Thesen, die DKP bewerte die Russische Föderation nicht als imperialistische Macht, stieß, wie in der UZ vom 15.9. berichtet, auf der PV-Tagung auf Widerspruch. Der vorliegende Beitrag von Willi Gerns befasst sich mit dieser These. Pohls Referat wurde gekürzt in der UZ vom 22.9. abgedruckt.

Über die Russland betreffenden Ausführungen Günter Pohls auf der 10. PV-Tagung bin ich enttäuscht. Mir fehlt die gründliche marxistisch-leninistische Einschätzung der ökonomischen und politischen Machtverhältnisse in der Russischen Föderation (RF) als Grundlage für ihre Bewertung in der internationalen Arena. Was Günter dazu liefert, kann nicht befriedigen.

Ausgangspunkt für seine entsprechenden Ausführungen ist die Frage: „Russischer Imperialismus?“ Eine legitime Fragestellung. Richtig ist auch, dass er als Maßstab zu deren Beantwortung die bekannten politökonomischen Kriterien des Imperialismus nennt, die Lenin in seinem Werk „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ herausarbeitet.

Danach erwartet man natürlich, dass er mit deren Hilfe nun den heutigen russischen Kapitalismus untersucht. Das geschieht leider nicht. Vielmehr beschränkt er sich zunächst auf die jedem Marxisten bekannte Tatsache, dass „Kapitalismus und Imperialismus nicht a priori gleichgesetzt werden können“, und die Feststellung: „Von erstrangigem Interesse und Bedeutung für uns ist, was eine politökonomische Einordnung der Russischen Föderation ergibt.“

Statt einer politökonomischen Analyse fährt er jedoch fort: „Gewiss ist die Tatsache, Nachfolgestaat des ersten und mächtigsten sozialistischen Staats zu sein, eine wesentliche Besonderheit der RF.“ Das hat allerdings mit der angekündigten politökonomischen Einordnung nichts zu tun. Es handelt sich eher um einen Aspekt des Völkerrechts, also eine juristische Frage.

Politökonomisch betrachtet, stehen sich die Sowjetunion und die heutige Russische Föderation wie Feuer und Wasser gegenüber. Das eine war bei allen Problemen und Deformationen eine frühsozialistische Gesellschaft, die auf Gemeineigentum beruhte, das andere ist eine Gesellschaftsordnung die darauf gründet, dass im Zuge einer antisozialistischen Konterrevolution das Gemeineigentum liquidiert wurde und an seine Stelle das raubkapitalistische Eigentum der Oligarchen sowie staatskapitalistisches Eigentum getreten ist. Der Umfang des letzteren wird allerdings auch heute noch immer weitergehender durch Privatisierungskampagnen zugunsten in- und ausländischen Privateigentums geschmälert.

Letztlich kommt Günter dann doch zu politökonomischen Aspekten, indem er betont, dass das heutige Russland selbstverständlich ein kapitalistisches Land ist. Dem wird kein Marxist widersprechen. Problematisch wird es jedoch erneut, wenn mit Blick auf die Frage: „Russischer Imperialismus?“ zwei der Leninschen Imperialismuskriterien herausgegriffen werden und dazu folgendermaßen argumentiert wird: „Die ökonomischen (Aspekte) besagen, dass es in der Russischen Föderation derzeit keine Monopole gibt, die nach außen drängen müssten, denn sie verfügt einerseits über eigene Rohstoffe praktisch jeder Art in ausreichender Menge, und andererseits ist das zentrale Exportprodukt Erdöl/Erdgas weltweit dauergefragt und in einem Kartell reglementiert. Sodass eine aggressive Absatzmarkterschließung unnötig ist.“

Diese Argumentation ist äußerst fragwürdig. Große produktions- und marktbeherrschende Unternehmen und Unternehmensverbünde mit verzweigten Netzen von Tochterunternehmen im In- und Ausland, also Monopole, im Besitz von Oligarchen, in staatskapitalistischer oder gemischter Form gibt es sowohl mit Sitz in der Russischen Föderation als auch im Ausland, wie die Fakten eindeutig belegen. Und diese besagen zugleich, dass sie auch nach außen, in Produktions-und Finanzanlagen im Ausland und auf ausländische Märkte drängen. Dies in andere Nachfolgestaaten der UdSSR, aber mehr und mehr auch ins westliche Ausland.

Die Fragwürdigkeit der Argumentation Günters mit dem Vorhandensein der Rohstoffe aller Art in Russland und den günstigen Absatzmöglichkeiten für diese wird besonders dadurch deutlich, dass dies ähnlich auch für die USA gilt. Deshalb wird Günter aber genauso wie ich bestimmt nicht daraus schließen, dass die US-Monopole nicht „aggressiv nach außen drängen“. Der Drang danach, sich Rohstoffquellen zu sichern und Absatzmärkte zu erobern, entspringt dem Wesen des kapitalistischen Monopols und der Jagd nach Monopolprofiten.

Die Fakten besagen übrigens auch, das Günters Aussage, von einer erhöhten Bedeutung des Kapitalexports könne in der RF ebenfalls keine Rede sein, nichts mit den Fakten zu tun hat. Das gilt übrigens ebenso für die offenbar in der Diskussion auf der PV-Tagung geäußerte Meinung, die Kapitalflucht der Oligarchen aus Russland habe nichts mit Kapitalexport zu tun. Ein seltsames Argument. Kapitalexport ins Ausland erfolgt wohl so gut wie nie in der Form, dass z. B. in Industrieanlagen geronnenes Kapital im kapitalexportierenden Land abgebaut und im Ausland wieder aufgebaut wird, sondern dadurch, dass durch Raub und die Ausbeutung der Arbeiter und Angestellten im kapitalexportierenden von den Kapitalisten aufgehäuftes Kapital in Geldform im Ausland durch die Beteiligung an vorhandenen kapitalistischen Unternehmen oder beim Aufbau neuer Betriebe bzw. in Finanzspekulationen angelegt wird. Genau das machen die russischen Oligarchen bei der Kapitalflucht und das Putinregime leistet ihnen dabei Schützenhilfe, weil praktisch alle Beschränkungen für die Überführung von Valuta und Direktinvestitionen in die kapitalistische Wirtschaft bzw. in die Offshore-Ökonomie aufgehoben wurden, wie die Kommunistische Partei KPRF nachdrücklich kritisiert.

Leider ist hier nicht der Raum, um das weitgehende Vorhandensein der von Lenin herausgearbeiteten ökonomischen Kriterien des Imperialismus im heutigen Russland an Hand von Quellen nachzuweisen. Das geschieht in einem von mir in dem in Heft 1/2015 der Marxistischen Blätter veröffentlichten Aufsatz „Das Putinsche Russland – Machtverhältnisse und Politik“. Die Quellenangaben reichen leider nur bis 2014. Quellen zur Eigentumsstruktur in der russischen Wirtschaft wurden in einem UZ-Beitrag vom 17. 2. 2017 bis 2015 weitergeführt. Aus gesundheitlichen Gründen kann ich leider die erforderlichen umfangreichen Recherchen nicht fortsetzen, um die Angaben weiterzuführen. Die Tendenzen der in den erwähnten Publikationen dargelegten Entwicklungen dürften sich aber fortgesetzt haben.

Was die Ausführungen Günters zur Politik der RF auf der weltpolitischen Ebene betrifft, so stimme ich ihm weitgehend zu. Das gilt besonders für die objektiv positive Rolle, die Russland zusammen mit China und anderen Staaten im Kampf um eine multipolare Weltordnung und die Grenzsetzung für den Weltherrschaftsanspruch des US-Imperialismus und seiner NATO-Satelliten spielt.

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"Eine fragwürdige Russlandanalyse", UZ vom 6. Oktober 2017



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