Friedensbewegte Studierende und Universitätsangestellte ­trafen sich zum Zivilklausel-Kongress

„Eine Schranke gegen die Kriegsrhetorik“

Am letzten Oktoberwochenende kam in Kassel ein breites Bündnis zusammen, um Widerstand gegen die Militarisierung der Universitäten und verstärkte Angriffe auf die Zivilklauseln zu organisieren. UZ sprach mit Chris Hüppmeier vom „Arbeitskreis Zivilklausel“ über den Kongress, Kontroversen und den Kampf gegen die „mentale Zeitenwende“.

UZ: Erst „Zeitenwende“ und jetzt Staatsräson – wir werden täglich mit Schlagworten bombardiert, die die Gesellschaft auf die Militarisierung einschwören und friedenspolitische Debatten unterdrücken sollen. Wie ist es in dieser Situation um die politische Kultur an den Universitäten bestellt?

Chris Hüppmeier: Mit der Eskalation des Ukraine-Kriegs und dann mit der ausgerufenen sogenannten „Zeitenwende“ sahen bestimmte wissenschaftspolitische Akteure den Zeitpunkt gekommen, eine mentale „Zeitenwende“ in den Universitäten anzutreiben. Dafür werden Begriffe wie „strategische Sicherheit“ gestreut und Feindbilder gegen Russland und China aufgebaut. Auch die ständig wiederholte Behauptung, dass Deutschland „wieder mehr Verantwortung in der Welt“ übernehmen müsse, spielt dabei eine Rolle. Gerade Letzteres zeigt, dass es hier um die ökonomischen und geopolitischen Interessen einer imperialistischen Agenda der BRD geht, die erklärtermaßen wieder am Tisch der Weltmächte sitzen will.

Bei den Angriffen auf die Zivilklausel, die schon früh begonnen haben, versucht man, diese Agenda auszuklammern. Stattdessen wird behauptet, dass die friedensorientierten Klauseln nicht produktiv seien und dadurch auch zivile Forschungsvorhaben verhindert würden. Zudem werden diejenigen verunglimpft, die für die Zivilklauseln eintreten. Man wirft ihnen vor, „naiv“ zu sein oder die Gefahren nicht zu sehen, die angeblich drohen. Der Kontext von Kriegen und ihre Ursachen werden dabei bewusst unterschlagen.

Gerade deshalb ist es für die bellizistischen Akteure ja auch so wichtig, dass die Zivilklausel aus dem Bewusstsein gestrichen wird. Die Zivilklausel setzt in ihrem Wesen und ihrer Geschichte nämlich genau dort an. Die Wissenschaftsfreiheit, zu der diese Klauseln gehören, ist grundgesetzlich verbrieft und eine Konsequenz aus Nazismus, Holocaust und totalem Krieg, mitgetragen durch die willfährige Eingliederung der Wissenschaften in den deutschen Faschismus. Die Zivilklausel reflektiert aber auch einen zweiten ganz aktuellen Punkt: die internationale Wissenschaftskooperation als gelebte Völkerverständigung und Ausdruck eines fortschrittlichen Internationalismus. Das passt nicht in das Zeitenwendeprogramm und schon gar nicht in das Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Kriegstüchtigkeit, wie es sich der Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) ja zuletzt zur Aufgabe gemacht hat.

UZ: Vor zwei Wochen kam der Zivilklausel-Kongress in Kassel zusammen. Wer hat daran teilgenommen und welche Eindrücke konntest du aus der Debatte mitnehmen?

Chris Hüppmeier: Der Kongress wurde von der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK), der Bertha-von-Suttner-Stiftung und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) finanziert. Organisiert und durchgeführt wurde er jedoch vor allem von kritischen Studierenden. Vor Ort war ein breites Bündnis aus Studierendenverbänden und Fachschaftsaktiven, aber auch Lehrende und Forschende waren dabei. Der Ausgangspunkt war das gemeinsame Bewusstsein, dass man sich gegen diesen Militarismus in Stellung bringen muss. Ausschlaggebend waren für viele die lokalen Gegebenheiten an den Uni-Standorten, weil dort der Kampf um die Zivilklausel konkret geführt wird. Aber auch die immer weiter zugespitzte Kriegsrhetorik brachte Leute zum Kongress.

Chris Hüppmeier

In Kassel hat sich dann gezeigt, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was es mit dieser „Zeitenwende“ auf sich hat. Die Corona-Politik hat viel angerichtet mit der studentischen Selbstverwaltung. Deshalb konnte dieses Treffen auch nur ein Auftakt sein. Es ging darum, sich erst einmal wieder zu finden. Das zentrale Moment war also, ins Gespräch zu kommen und miteinander zu diskutieren.

Inhaltliches Ziel war es, die Zivilklausel als das zu begreifen, was sie ihrem Wesen nach ist: eine Perspektive für eine andere, fortschrittliche Uni, Wissenschaft, Bildung, aber auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung, und das weltweit. Ich finde, das ist uns im intensiven Austausch auch sehr, sehr gut gelungen. Es gab einen Vortrag vom bekannten Friedensforscher Werner Ruf, der das auch noch einmal auf den Punkt gebracht hat. Die Universitäten, die wir uns wünschen, stellen den Gegensatz zu allem dar, was die Kriegsredner aus der Bundesregierung und aus den wissenschaftspolitischen Eliten uns weismachen wollen.

UZ: Auch diejenigen, die momentan gegen die Zivilklausel Stellung beziehen, schreiben sich ja auf die Fahne, für Frieden und eine friedliche Forschung einstehen zu wollen. Was meinen die damit?

Chris Hüppmeier: Für die Zeitenwendeakteure ist Frieden gleich Krieg. Deshalb versuchen sie uns beispielsweise auf die „Verteidigung der Freiheit“ einzuschwören. Freiheit ist ein Begriff, der zwar viele Emotionen auslöst, aber erst einmal nicht viel aussagt. Im Kapitalismus ist damit ganz klar die Freiheit des Marktes und der Konkurrenz, die Freiheit der Profite gemeint. Dass diese Freiheiten für die Mehrheit der Bevölkerung weltweit keinen Fortschritt bringen, sondern sogar eher Unfreiheit bedeuten, wird verschwiegen.

Vielmehr wird versucht, ein Gesellschafts- und Menschenbild durchzusetzen, das Krieg als notwendiges Mittel darstellt. Dazu passt, dass hier immer nur von „Verteidigung“ gesprochen wird. Diese Rhetorik ist ja nicht neu. Auch der deutsche Faschismus hat bekanntermaßen nur „zurückgeschossen“ und damit den Zweiten Weltkrieg begonnen. Die Zivilklausel trägt dieses historische Bewusstsein in sich. Deshalb ist sie eine Schranke gegen die Kriegsrhetorik.

UZ: Wenn man sich gegen solche Verfälschungen wehren möchte, gerade in so einem breiten Bündnis, dann braucht man doch eine gemeinsame Idee und Analyse zur Rolle der Bundeswehr und des deutschen Imperialismus. Wie hast du die Diskussionen da wahrgenommen?

Chris Hüppmeier: Das sind Kontroversen, die geführt werden und die auch noch weitergeführt werden müssen. Das ist im Rahmen eines einzigen Kongresses nicht zu leisten. Aber der Wille, einen gemeinsamen Standpunkt zu entwickeln, ist da. Das war der Konsens an diesem Wochenende. Wir haben regelmäßige Treffen verabredet, um die Diskussion weiterzuführen und die Ergebnisse mit unseren konkreten Auseinandersetzungen an den Universitäten zusammenzubringen.

Wir wollen außerdem Teil von studentischen und Bildungskämpfen sein, die gerade ja auch geführt werden, zum Beispiel von ver.di oder von der GEW. In die Kämpfe gegen den Sozialabbau und die Kürzungen in der Bildung wollen wir die Perspektive einbringen, dass der Sozialabbau vor allem eine Folge des Kriegshaushaltes ist.

UZ: Wie geht es jetzt weiter?

Chris Hüppmeier: Neben den regelmäßigen Treffen planen wir einen weiteren Kongress im kommenden Frühjahr. Bis dahin wollen wir uns einmischen und die Zivilklauselbewegung wieder zum aktiven Teil der Friedensbewegung machen. Wir mobilisieren zur bundesweiten Friedensdemo am 25. November in Berlin, an der wir auch mit einem Zivilklausel-Block teilnehmen wollen. Auch beim Kasseler Friedensratschlag Anfang Dezember werden wir vertreten sein.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"„Eine Schranke gegen die Kriegsrhetorik“", UZ vom 10. November 2023



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