Die Weichen stehen auf Sozialabbau. Um „Wachstumskräfte zu revitalisieren und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, braucht es entschlossene Reformen im Geiste der Sozialen Marktwirtschaft“, verkündete Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche in der vergangenen Woche. Darunter versteht die Ministerin, dass „angesichts der höheren Lebenserwartung länger gearbeitet werden muss und es weniger Anreize, früher in die Rente zu gehen, braucht“. Sie habe deshalb vier „exzellente und anerkannte Wissenschaftler“ für ihren Beraterkreis zu „Fragen der Marktwirtschaft und Ordnungspolitik“ gewinnen können, so die CDU-Politikerin.
Neben Veronika Grimm, „Wirtschaftsweise“ und Professorin an der Technischen Universität Nürnberg, gehören Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie, Stefan Kolev, wissenschaftlicher Leiter des Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin, und Volker Wieland, IMFS-Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt, dem Gremium an.
Grimm hat sich – so ist zu vermuten – durch ihre vehementen Forderungen nach Kürzungen bei der Renten-, Pflege- und Krankenversicherung für den Posten im Beraterkreis der Ministerin qualifiziert. Auch die drei anderen Ökonomen stehen für eine angebotsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik, die „mehr Freiraum für private Initiative und Innovationen schafft“. Das unionsnahe Ludwig-Erhard-Forum für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin unter der Leitung von Kolev hat es sich nach eigenen Angaben zur Aufgabe gemacht, „all denjenigen eine Plattform zu bieten, die die ordoliberale Tradition der sozialen Marktwirtschaft ernst nehmen“. Wieland und Haucap wiederum sitzen gemeinsam im konservativen Ökonomen-Club „Kronberger Kreis“, dessen Devise „Mehr Mut zum Markt“ lautet.
Vor diesem Hintergrund ist die zentrale Botschaft des ersten Impulspapiers des Quartetts von vergangener Woche wenig überraschend: „Ohne eine entschlossene Reformagenda droht die Rentenversicherung zu einer zunehmenden Belastung des Bundeshaushalts zu werden – und zur tickenden Zeitbombe für die Generationengerechtigkeit.“
Um das Rentenniveau bei 48 Prozent zu stabilisieren, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, müssten mehr als 90 Milliarden Euro zusätzlich aus dem Bundeshaushalt kommen, so die Autoren. Daher sei eine Reihe von Maßnahmen nötig, um den Kostendruck aus dem Rentensystem zu nehmen. So soll das Renteneintrittsalter automatisch und zeitnah an die längere Lebenserwartung gekoppelt werden. „Eine weitere Anhebung des Rentenalters müsste jetzt auf den Weg gebracht werden.“ Wenn die Politik damit bis zur nächsten Legislaturperiode warte, bleibe kaum Zeit für eine faire und rechtzeitige Umsetzung, so die neoliberale Argumentation.
Die Ökonomen fordern weitere „gezielte Anpassungen“, um die Zuschüsse zur Rente einzudämmen. So soll auf die von der Koalition geplante Ausweitung der Mütterrente verzichtet werden. Dies würde die Rentenversicherung „strukturell entlasten“. Zudem schlagen sie die Abschaffung der Rente ab 63 vor. Stattdessen sollten Frühverrentungen „künftig über klar definierte Härtefallregelungen ermöglicht werden, die gezielter auf tatsächliche Bedarfe eingehen“.
Das neoliberale Wunschkonzert sieht darüber hinaus eine Anpassung der Bestandsrenten an die Preisentwicklung statt an die Löhne vor. Außerdem bringen die Ökonomen private Altersvorsorgekonten für alle Erwerbstätigen ins Spiel, „in die verpflichtend eingezahlt werden soll – ergänzt durch staatlich zertifizierte, breit gestreute Benchmark-Fonds“.
So sollen die Sozialbeiträge zur Freude der Unternehmerverbände unter 40 Prozent gedrückt werden. Der arbeitenden Klasse bleibt hingegen nur der schwache Trost: Als Margaret Thatcher in den 1980er Jahren Britannien zum neoliberalen Experimentierfeld machte, genügte als Begründung ein simpler Verweis auf die angebliche Alternativlosigkeit ihrer zerstörerischen Politik: „There is no alternative“, hieß es damals. Heute versucht man, dem „Herbst der Reformen“ einen wissenschaftlichen Anstrich zu verpassen, um ihn zu legitimieren.



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