Nach einer Hetzkampagne gegen die palästinasolidarische Bewegung in Frankfurt am Main schlug die Stadtpolitik zu und ließ Anfang September das Internationalistische Zentrum (IZ) räumen. UZ sprach mit Timo, Sprecher des IZ, über die politische Arbeit des Zentrums und die Hintergründe der Räumung.
UZ: Ihr soziales Zentrum wurde von der Polizei geräumt. Haben Sie das kommen sehen?
Timo: Wir haben uns nie Illusionen gemacht – Besetzungen stehen immer unter der Gefahr, von den Repressionsbehörden geräumt zu werden. Besonders als palästinasolidarischer Ort war uns natürlich klar, dass die Stadt uns zu großen Teilen sehr ablehnend gegenübersteht. Für uns war die Räumung deswegen immer ein Szenario, auf das wir uns vorbereitet haben.
UZ: Was haben Sie im IZ angeboten?
Timo: Das IZ war sowohl ein Ort nachbarschaftlichen Zusammenkommens als auch politischer Organisierung und Bildung. Auf politischer Ebene haben wir zahlreiche Vorträge, Diskussionen und Filmvorführungen veranstaltet, die sich mit unterschiedlichen internationalistischen und lokalen Kämpfen auseinandergesetzt haben. Einen besonderen Fokus haben wir natürlich auf den andauernden Genozid in Palästina gelegt – so war auch die letzte Veranstaltung im IZ ein Bannermalen für die Großdemo in Frankfurt. Zeitgleich wurde uns der Räumungsbescheid verkündet.
Politische Bildung muss natürlich auch in politische Organisierung übergehen, damit sie wirkungsvoll ist. Unser Anspruch ans IZ war es von Beginn an, für jene einen Raum zu schaffen, denen aufgrund mehrfacher Marginalisierung oder ihrer Palästinasolidarität in der deutschen „Linken“ Zugänge erschwert oder Räume verwehrt werden. Wir haben einen Ort des solidarischen, konsumfreien Zusammenkommens geschaffen mit dem Ziel, uns als Internationalist*innen in Frankfurt noch besser zu organisieren. Und die kurzen sieben Wochen haben gezeigt, dass wir im IZ genau dieses Ziel teilweise schon erreichen konnten.
Darüber hinaus war die Nachbarschaftsarbeit eines unserer zentralen Anliegen. Wir wollten nicht noch ein linkes Zentrum haben, das isoliert von den Nachbarinnen und Nachbarn zu einem neuen Szenetreffpunkt wird. Das Gallus ist ein historisches Arbeiterviertel, ein migrantisches Viertel. Unser Anspruch als radikale Linke muss es sein, hier präsent zu sein und etwas anzubieten. Wir haben von Anfang an viel Kontakt zu unseren Nachbarinnen und Nachbarn gesucht, weil wir Teil des Ortes werden wollten. Und das hat auch sehr gut funktioniert! Wir haben fast durchweg gute Rückmeldungen bekommen und mit vielen Nachbarinnen und Nachbarn freundschaftliche Beziehungen aufgebaut. Wir haben ausgearbeitete Pläne, um Beratungsangebote, Nachmittagsbetreuung und ähnliches zu schaffen. Wir hatten außerdem offene Treffen, um mit den Anwohnerinnen und Anwohnern darüber zu sprechen, wie wir das IZ gemeinschaftlich gestalten können. Zur Umsetzung unserer Pläne kam es dann leider nicht, weil die Stadt sich für die Räumung entschied – obwohl uns kurz vorher seitens der Stadt noch gesagt wurde, wie gut unser Konzept doch sei. Nun steht die Ladenfläche in der Lahnstraße 1 wieder leer.
UZ: Wie ging die Räumung vonstatten?
Timo: Polizeiliche Räumungen sind immer eine Schau purer staatlicher Gewalt, so war es auch in diesem Fall. Im IZ befanden sich zum Zeitpunkt der Räumung keine Personen, weshalb die Repressionsbehörden mit 20 Mannschaftswagen einen menschenleeren Raum auseinandernahmen. Wie üblich, rückte die Polizei bei Sonnenaufgang an, sperrte den Verkehr großflächlig ab, schlug eine Scheibe ein und flexte dann unseren Raum auf. Wir hatten bereits die ganze Woche, die wir räumungsbedroht waren, eine Mahnwache vorm IZ angemeldet, wo wir zusammenkamen, aßen und Programm veranstalteten. Wir hatten also eine Art „Open Air IZ“. Dabei sind wir auch am Morgen der Räumung geblieben und haben der Polizei bei ihrer lächerlichen Arbeit zugeschaut. Wir hatten also eine super Zeit – auch wenn es uns natürlich unglaublich schmerzt, dass uns der Raum genommen wurde. Wie erwartet wurde der Raum von den Behörden einfach wieder zugemacht, der Leerstand „erfolgreich“ wieder eingeführt.
UZ: Was ist die staatliche Begründung für die Räumung?
Timo: Der Frankfurter SPD-Oberbürgermeister Mike Josef hat sich als noch rückgratloser entpuppt, als wir es erwartet hatten. Zu Beginn der Besetzung sprach uns die Bau- und Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) eine Duldung von vier Wochen aus, alles weitere würde danach besprochen werden. In der Zwischenzeit haben jedoch zionistische Lobbyorganisationen, FDP und CDU sowie die Jüdische Gemeinde Frankfurt massiv Stimmung gegen uns gemacht und uns als Antisemitinnen und Antisemiten diffamiert. Dazu kam der CDU-Stadtverordnete Albrecht Kochsiek eines Tages mit drei gewaltbereiten Zionisten, einer im IDF-Shirt, vorbei, um uns einzuschüchtern. Kurz danach haben Unbekannte einen Brandanschlag auf das IZ verübt und rechtsextreme zionistische Sticker und Zettel im Viertel hinterlassen. Dass die Anwohnerinnen und Anwohner in den Wohnungen über dem IZ umkommen könnten, wurde in Kauf genommen. Die gleichen Zettel sind nun fast täglich auch rund um das „Haus der Stille“ am Uni-Campus Westend zu finden.
Die Entscheidung, uns räumen zu lassen, ist zum einen auf diese Hetzkampagne gegen uns zurückzuführen und auf die offensichtlich antipalästinensische Haltung der Frankfurter Stadtpolitik. Schließlich hatte Mike Josef auch mit einer lächerlich schlechten Begründung versucht, die United4Gaza Demo zu verbieten; ein Verbot, für das sich die Grünen-Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg aussprach.
Zum anderen geht es um die autoritäre Tendenz in der Stadtpolitik insgesamt. Unter dem Vorwand, gezielter gegen den grotesken Leerstand in Frankfurt vorgehen zu wollen, wird rechte Rhetorik kopiert und verstärkte polizeiliche Gewalt als Sozialpolitik verkauft. Das ist im Frankfurter Bahnhofsviertel schon lange der Fall und verstärkt sich nun im Wahlkampf. Es ist Heuchelei. Als ob der erste Schritt, um Leerstand zu beenden, ist, einen extrem gut genutzten Raum polizeilich zu schließen.
In der Summe begründet die Stadt die Räumung also als Maßnahme gegen Antisemitismus und Leerstand.
UZ: Wer hat sich gegen die Räumung positioniert?
Timo: Wir haben unfassbar viel Solidarität erfahren! Die Woche über, die wir räumungsbedroht waren, haben zahlreiche Gruppen, Genossinnen und Nachbarn geholfen, die Mahnwache am Leben zu halten, und das, obwohl in dieser Zeit in Frankfurt viel los war: Es fand die Großdemo für Palästina statt und auch die Frankfurt Palestine Cinema Days haben ein wahnsinnig spannendes Programm abgeliefert. Darüber hinaus gab es Solidarität von zahlreichen Frankfurterinnen und Frankfurtern – von Universitätsangestellten bis zu Medico International. Das hat gezeigt, wie sich die politischen Eliten in ihrem genozidalen Wahn zunehmend isolieren und immer weiter an Rückhalt verlieren.
UZ: Wie geht es jetzt weiter, was sind die nächsten Schritte?
Timo: Es geht nicht um uns, sondern es geht um Palästina, es geht um Deutschlands Mittäterschaft, es geht um einen Klassenkampf von oben, der öffentliche Räume zunehmend der Logik der Profitmaximierung unterwirft. Unser Kampf für selbstorganisierte, palästinasolidarische Räume geht deswegen weiter. Es ist uns wichtig, jetzt nicht aufzuhören, sondern all das, was wir im IZ aufgebaut haben, in unsere weitere politische Arbeit zu investieren. Wir können eines versprechen – es wird nicht still um uns!
Das Gespräch führte Henning von Stoltzenberg