Man kann es ja einmal probieren. Das dürften sich interessierte Kreise in der CDU gedacht haben, als sie den früheren Kriegsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) aus der Mottenkiste holten, um die fast eingeschlafene „Brandmauer“-Diskussion zu beleben. Die Auseinandersetzung mit der AfD bedürfe der „inhaltlichen Konfrontation“, so Guttenberg im „Stern“. Davor dürfe man keine Angst haben, viele AfD-Funktionäre seien sowieso „intellektuelle Flachwurzler“.
Guttenberg wurzelt tiefer. Im Jahr 2011 hatte er sein Ministeramt im Zuge einer Plagiatsaffäre verloren. Danach legte er eine bunte Karriere hin. So arbeitete er ehrenamtlich als „Distinguished Statesman“ („angesehener Staatsmann“) für einen transatlantischen Thinktank in Washington und moderierte beim Sender „RTL Plus“ die Unterhaltungsdokumentation „KT Guttenberg – Auf den Spuren der Macht: Der Fall Putin“. Seit dem Jahr 2023 produziert er einen Podcast zusammen mit Gregor Gysi („Die Linke“).
Neben Guttenberg forderte auch der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber eine Abkehr von der „Stigmatisierung“ der AfD. Ein anderer Umgang sei „staatspolitisch notwendig“. Dieser müsse allerdings von einer Vereinbarung aller Parteien getragen werden, damit „nicht bei jedem Beschluss, der mit Stimmen der AfD zustande kommt, die Nazikeule geschwungen wird“. Die CDU-Linie als Anker einer Allparteienkoalition?
Kaum waren diese Aussagen in der Welt, war die Aufregung groß. SPD-Chef Lars Klingbeil setzte sofort zum Sprung über das Stöckchen an und empörte sich über die vermeintlich wackelnde „Brandmauer“. Er erwarte „von allen in der Union, die Verantwortung tragen, dass sie sehr deutlich machen: Mit der AfD gibt es keinerlei Form der Zusammenarbeit, weder im Bund noch in den Ländern“, so Klingbeil im Zentralorgan der intellektuellen Tiefwurzler, der „Bild am Sonntag“. Weitere Funktionäre von SPD, Grünen und „Linken“ stimmten ein.
Die Union hatte die Debatte bekommen, die sie wollte. Die zahlreichen Aufrufe an die CDU, die „Brandmauer“ nicht zu gefährden, üben einen fast schon ritualisierten Druck auf die SPD-Mitglieder aus – und damit auch auf Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Sie sollen alle Tiefschläge der schwarz-roten Kriegs- und Kahlschlagspolitik akzeptieren, um eine AfD-Regierung zu verhindern.
Das kommt gerade recht. Denn die Bundesregierung steuert auf ein haushaltspolitisches Desaster zu. Aufgrund der Milliardenkredite für die Militarisierung steigen die Zinsen. Im Jahr 2027 droht zudem eine Lücke von mehr als 30 Milliarden Euro im Bundeshaushalt. Ab dem Jahr 2028 soll die Rückzahlung des „Sondervermögen Bundeswehr“ beginnen, ebenso die Tilgung der in der Corona-Zeit aufgenommenen „Notlagenkredite“. Man darf ausnahmsweise dem früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) glauben, der gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ ausführte: „Wenn im nächsten halben Jahr keine wirtschaftliche Besserung eintreten solle (…) Dann muss es zwingend so harte Einschnitte bei den Sozialsystemen geben, dass demokratische Verwerfungen zu befürchten wären.“
Auf die „wirtschaftliche Besserung“ braucht man nicht zu warten. Die wünscht sich Koch nur herbei, um schon vor dem unvermeidbaren Kahlschlag für eine noch wirtschaftsfreundlichere Politik zu sorgen. Die Uhr tickt und in den kommenden Jahren wird sich die Frage einer CDU-AfD-Zusammenarbeit konkreter stellen. Dann kann die SPD entscheiden, ob sie den in der öffentlichen Debatte völlig entleerten Begriff des „Antifaschismus“ vor sich herträgt, um die Reste des Sozialstaats zu zerschlagen, oder ob sie das der AfD überlässt. Dank der Fokussierung auf die „Brandmauer“ wird die politische Alternative aus dem Spiel genommen: Die Abkehr von und die massenhafte Mobilisierung gegen die Kriegspolitik, die den Kahlschlag nötig macht.
Bis es so weit ist, erfüllt die Diskussion ihren Zweck. Kein Wunder also, dass Guttenberg direkt zurückruderte. Die „Brandmauer“ habe er nicht aufweichen wollen, sagte er der „Deutschen Presse-Agentur“. Und auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) stellte am Montag in einer Pressekonferenz klar: Die CDU wolle sich „sehr klar und sehr deutlich“ abgrenzen, vor allem durch eine erfolgreiche Regierungsarbeit. Das sei aber „nicht nur eine Aufgabe der Union“, sondern auch der SPD.
Schon zuvor hatte Merz deutlich gemacht, worauf es ihm ankommt. Die AfD stehe gegen die EU, gegen die Währungsunion, gegen die NATO und gegen die Wehrpflicht. Beim letzten Punkt hatte die AfD-Bundestagsfraktion vor Kurzem tatsächlich eine Vorlage geliefert, die der Kanzler nun aufgreifen konnte. Eigentlich wollte die AfD nach der Sommerpause einen Antrag zur Reaktivierung der Wehrpflicht einbringen. Die Ostverbände hielten mit einer Resolution „Keine Wehrpflicht für fremde Kriege“ dagegen – mit Erfolg. Nach einem Streit in der Fraktion ist der Antrag vorerst vom Tisch. Parteichefin Alice Weidel sagte in der vergangenen Woche, dass man das Thema erst wieder aufgreifen wolle, wenn die AfD an einer Regierung beteiligt sei.
Für die kommenden Landtagswahlen erklärte Merz die AfD sogar zum „wahrscheinlichen Hauptgegner“. Und warnte: „Wenn wir jemanden als Hauptgegner bezeichnen, dann bekämpfen wir ihn wirklich.“ Das habe schon bei den Grünen gut geklappt. Auf die spitzfindige Frage eines Journalisten, warum er denn vom „wahrscheinlichen“ Hauptgegner spreche, konkretisierte Merz die Kriterien. Ob die AfD der Hauptgegner bleibe, hänge davon ab, wie sich die Meinungsumfragen entwickeln.