Künstler als intellektuelle Wegbereiter der Befreiung Italiens

„Flieg, Gedanke …“

Von Gerhard Feldbauer

Mitten in den Kämpfen des Risorgimento, der nationalen Bewegung für die Befreiung Italiens vom weltlichen Joch des Papstes und der Fremdherrschaft der Habsburger und Bourbonen, fand am 9. März 1842 an der Mailänder Scala die Uraufführung von Giuseppe Verdis Oper „Nabucco“ statt. Die Italiener verstanden sofort, dass der Chor der sich nach Freiheit sehnenden Hebräer sich auf das Risorgimento bezog. Die Besucher stimmten inbrünstig in den Freiheitschor ein: „Va‘ pensiero, sull‘ ali dorate“ (Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen). Die Menschen sangen ihn danach begeistert auf den Straßen. Er wurde zur heimlichen Nationalhymne.

„Nabucco“ machte ihn mit einem Schlag zum bedeutendsten Opernmeister Italiens. Mit Werken wie „Die Lombarden“ (1843), „Ernani“ (1844), „Giovanna d‘Arco“ (1845) oder „Die Schlacht von Legnano“ (1849) gestaltete Verdi am Vorabend und während der Revolution von 1848/49 und danach weitere zeitbezogene historische Themen patriotischen Inhalts. Die volkstümlichen Opern „Rigoletto“ (1851), „Der Troubadour“ und „La Traviata“ (beide 1853) begründeten den Weltruhm des Komponisten. Verdi führte die von Gioachino Rossini begonnene romantische Opernschule zur höchsten Vollendung. Mit seinen Werken wandte er sich an die einfachen Menschen, für die, wie er einmal sagte, „Singen ein zweites Atmen“ ist.

In der Gegenwart, wo nicht wenige im Kampf gegen die Reaktion und für den Fortschritt der Menschheit resignieren, wenn sie nicht gar zur Gegenseite überlaufen, ist es angebracht sich des Wirkens solch großer Geister und ihres Beitrages zu erinnern. In Italien gehörte auch der Dramatiker Silvio Pellico dazu. Als einer der führenden intellektuellen Wegbereiter des Risorgimento war er wegen seines Eintretens für die nationale Unabhängigkeit 1820 verhaftet und in Wien zum Tode verurteilt worden. Vom Kaiser zu 20 Jahren Kerker begnadigt, wurde er in das Habsburger-Staatsgefängnis auf dem Spielberg bei Brünn eingeliefert. 1830 wurde er freigelassen. In seinem 1832 erschienenen Buch „Meine Gefängnisse“ nannte er den Spielberg „sein Grab“, was bedeutete, „dass man zur Arbeit verpflichtet ist, eine Kette an den Füßen zu tragen, auf bloßen Brettern schlafen und die ärmlichste Kost essen muss, die sich nur denken lässt“. Pellicos Anklage gegen die Habsburger-Fremdherrschaft wühlte die Gemüter der Italiener zutiefst auf.

Dem Kampf des Volkes widmete auch der Dramatiker, Lyriker und Schriftsteller Alessandro Manzoni sein Schaffen. 1827 erschien sein Hauptwerk, der historische Roman „Die Brautleute“, in dem er mit leidenschaftlicher Anteilnahme die Geschichte eines lombardischen Liebespaares zur Zeit der Spanierherrschaft im 17. Jahrhundert erzählte. Die Parallele zum drückenden Joch Österreichs war für den italienischen Leser augenscheinlich. Nach Ausbruch der Revolution 1848 trat Manzoni dem Triumvirat in Florenz bei und nahm aktiv an den Unabhängigkeitskämpfen teil.

Vom 15. bis 30. September 1841 tagte in Florenz der III. Kongress der Wissenschaftler aus ganz Italien. Bereits der erste Kongress 1839 in Pisa hatte sich, anknüpfend an den Geist der Renaissance und seiner Verkörperung durch Galilei, zur Freiheit des Gedankens und zum Liberalismus bekannt. Die Anwesenheit von 421 Wissenschaftlern aller Zweige aus ganz Italien zeugte von einem Bekenntnis zur nationalen Einheit. Die Ergebnisse der Tagung stellten eine Kampfansage an die Herrschaft der Habsburger und des Papstes dar, welche Demokraten wie Liberale enthusiastisch aufnahmen. Bis zum VII. Kongress 1845 in Neapel stieg die Zahl der Teilnehmer auf 2 427 an.

Im Juli 1851 veröffentlichte der Herzog Carlo Pisacane seine Schrift „Guerre combattuta in Italia nelli Anni 1848/49“, in der er Lehren aus der Niederlage der Revolution zog und die Befreiungskriege als „revolutionäre Ereignisse“ und Ausdruck „eines Klassenkampfes“ einschätzte. Wie Giuseppe Garibaldi, an dessen Seite er 1849 die Römische Republik verteidigte, war er von den Saint-Simonisten beeinflusst und erkannte, dass die künftige italienische Revolution einen sozialistischen Inhalt haben müsse und sich nicht im Parlamentarisch-Institutionellen erschöpfen dürfe. Er forderte, an die Bauern Grund und Boden zu verteilen. 1857 wollte Pisacane in der Bucht von Sapri bei Palermo mit einer Gruppe Patrioten einen Bauernaufstand entfachen. Am 27./28 Juni überwältigten sie im Hafen von Ponza die Mannschaft des Gefängnisses und befreiten 300 politische Gefangene, von denen sich die meisten ihnen anschlossen. Aufrufe an die Bauern, sich gegen die Fremdherrschaft zu erheben, hatten jedoch keinen Erfolg. Am 1./2. Juli wurde die Abteilung Pisacanes vom 7. bourbonischen Jägerbataillon niedergemacht. 111 Revolutionäre wurden getötet, 35 nach der Gefangennahme erschossen. 70 entkamen zunächst, unter ihnen der schwer verwundete Pisacane. Um nicht lebend in die Hände seiner Feinde zu fallen, wählte er den Freitod.

Nach dem Sieg der Bourgeoisie setzte eine ungeheure Verelendung der Arbeiter, Bauern und ärmsten Schichten ein. Fortschrittliche Künstler und Schriftsteller nahmen sich der so Ausgebeuteten an und setzten die revolutionären bürgerlich-demokratischen Traditionen des Risorgimento fort. Zu ihnen gehörte Giovanni Carmelo Verga, der nach zunächst romantisch-leidenschaftlichen Gesellschaftsromanen sich der erschütternden Armut der sizilianischen Landbevölkerung zuwandte und zum Begründer des italienischen Verismus wurde. Mit „Nedda“ (1874) und „Sizilianische Dorfgeschichten“ (1880) stieg er zum Meister veristischer Novellen auf. In „Sizilianische Bauernehre“ (1884), die Pietro Mascagni als Stoff für seine Oper „Cavalleria rusticana“ nahm, schilderte er eindrucksvoll das Volksleben Siziliens. Seine bedeutendsten Romane wurden „Malavoglia“ (1881) und „Don Gesualdo“ (1889), in denen er mitfühlend die Leiden der Unterdrückten gestaltete, deren Denken von Resignation beherrscht wurde. Auch wenn Verga nicht die gesellschaftlichen Wurzeln von Ausbeutung und Unterdrückung und den Kampf dagegen aufzeigte, gebührt ihm das Verdienst, als erster die Bauern und Tagelöhner, Hirten und Fischer in die italienische Literatur eingeführt zu haben.

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"„Flieg, Gedanke …“", UZ vom 10. März 2017



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