Premiere für „Mumien. Kantate für Rockband“ von „Floh de Cologne“ in filmischer Bearbeitung

Flöhe mit Wut im Bauch

Diese Kantate ist Luis Corvalán gewidmet und allen, die mit ihm in den Gefängnissen und Konzentrationslagern Chiles eingekerkert sind, allen, die jetzt dafür bestraft werden, dass sie die Freiheit lieben, dass sie Gerechtigkeit fordern, allen Vergessenen, derer unter der Volksfrontregierung Salvador Allendes gedacht wurde, allen Hoffnungslosen, die in den drei Jahren der Unidad Popular mehr Hoffnung schöpften als in den 150 Jahren davor, allen Unglücklichen, die ein kleines Stückchen vom Glück zu fassen schienen, allen, denen die Momios, die Mumien, nicht einmal eine bescheidene Zukunft gönnen.“

„Wir waren so wütend“, sagt Dieter Klemm von „Floh de Cologne“, wenn man ihn heute nach der Entstehungsgeschichte von „Mumien. Kantate für Rockband“ fragt. Der Krieg gegen Vietnam sei gerade erst vorbei gewesen, das unermessliche Leid, das die USA über die Vietnamesinnen und Vietnamesen gebracht haben, die Massaker und Verbrennungen seien ihnen noch frisch im Gedächtnis gewesen. „Und dann kam Chile. Wir haben ‚Mumien‘ sehr schnell geschrieben.“

Diese Wut spürt man auch beim Hören nach fast 50 Jahren noch, schon bei den ersten Worten der oben zitierten Widmung für Luis Corvalán und all die teils namenlos gebliebenen Chileninnen und Chilenen, die am 11. September 1973 alles verloren haben. Wenigstens Luis Corvalán konnte aus den mörderischen Fängen der Junta gerettet werden. 1976 konnte er Chile ins Exil verlassen, auch Dank einer weltweiten Solidaritätskampagne, an der die Kölner Band „Floh de Cologne“ großen Anteil hatte.

„Mumien“ verharrt aber nicht in Wut und Entsetzen, sondern erzählt – beeindruckend arrangiert – die harten Fakten. In der Kantate wird in 14 Stücken die Geschichte des Putsches dargestellt, vom ersten Geheimtreffen im Jahre 1970 zwischen der Führungsriege des Unternehmens ITT Inc., das den Chileninnen und Chilenen das Kupfer stahl, und der Lateinamerika-Abteilung der CIA, in dem ITT eine Million US-Dollar bot, um die Wahl Salvador Allendes zu verhindern, über den von ITT vorgelegten 18-Punkte-Plan für den Putsch bis zu den blutigen Folterkellern und Konzentrationslagern der Junta.

„Floh de Cologne“ beschreiben die Situation, die die USA und ihre Handlanger in dem Jahr vor dem Putsch in Chile schufen, von dem die Chileninnen und Chilenen aber nicht einknickten: „Die satten Fuhrunternehmer streikten – gegen das hungernde Volk./Die gesunden Ärzte streikten – gegen das kranke Volk./Die Reichen streikten – gegen die Armen, wie immer.“ Das einzige Mittel für die Reaktion, sich den Weg zu ebnen, war blanke Gewalt. „Chile, Oktober 1973:/Während Blut und Tränen im Lande knapp werden,/hat sich die Zufuhr von Hummer in die Reichenviertel normalisiert.“

Die „Flöhe“ entlarven in „Mumien“ die bundesdeutsche Politik und ihre Unterstützung des Putsches, ziehen eine Linie von Goebbels bis Pinochet. Sie zitieren deutsche Firmen wie Hoechst, für die Chile nach dem Putsch „zunehmend interessanter Markt sein“ wird, deutsche Medien wie die „Wirtschaftswoche“ („Die Arbeitslosigkeit hat sich verdoppelt, aber das Vertrauen der internationalen Bankiers ist zurückgewonnen.“) und deutsche Politiker wie den damaligen CDU-Generalsekretär Bruno Heck, denn der „besichtigte wohlgelaunt das Konzentrationslager, sagte ‚Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm‘“.

„Floh de Cologne“ zitiert aber auch (in voller Länge) die letzte Rede Salvador Allendes, teilweise noch von Radio Magallanes übertragen. Und Allende hat es geschafft, in den letzten Minuten seines Lebens noch Hoffnung zu geben: „Ich glaube an Chile und sein Schicksal. Es werden andere Chilenen kommen. In diesen düsteren und bitteren Augenblicken, in denen sich der Verrat durchsetzt, sollen Sie wissen, dass sich früher oder später, sehr bald, erneut die großen Straßen auftun werden, auf denen der würdige Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht.“ Die Flöhe setzen noch eins drauf und zitieren einen Chilenen: „Und selbst wenn er tot ist; für mich lebt er weiter. Ich habe einen kleinen Sohn. Ich werde ihn in diesem Sinne erziehen.“

Zum 50. Jahrestag des Putsches haben sich die beiden Filmemacher Claudia Opitz und Sebastian Köpke an ein Herzensprojekt gemacht. Sie haben „Mumien“ sozusagen „verfilmt“, die gesamte Kantate mit einer Bildcollage unterlegt. Gekonnt unterlegen sie die Analysen von „Floh de Cologne“ mit Überblendungen von Bildern, die Zusammenhänge deutlich machen, zeigen die Hoffnung Chiles nach der Wahl der Unidad Popular, die Gewalt gegen die Hoffnung, das Grauen und das Leid. Aber auch sie fangen, analog zu dem Text der Kantate, die Hoffnung ein, die sich nicht hat von der Junta begraben lassen. Sie haben Bilder von weltweiter Solidarität gefunden, aber auch welche aus Chile selbst, zum Beispiel das eines Kindes, bei dem man sich dann fast sicher ist, es ist der kleine Junge, den sein Vater in unserem Sinne erziehen wird. Dabei herausgekommen ist ein absolut sehenswerter Film, der etwas schafft, was eigentlich gar nicht möglich schien: „Mumien“ noch beeindruckender zu machen. Premiere hat der Film am 11. September im Kino Babylon in Berlin.

„Floh de Cologne“ wären nicht „Floh de Cologne“, wenn sie bei Empörung, Erklärung und Mahnung stehenbleiben würden, Und so endet die „Kantate für Rockband“ mit einer klaren Aufforderung an ihr Publikum: „Genossen, Kollegen,/nicht lange überlegen,/in die Hände gespuckt/und ran!“ Denn dass wir das mit der besseren Gesellschaft nur selber tun können war „Floh de Cologne“ immer bewusst.

Floh de Cologne
Mumien. Kantate für Rockband
Hörbar unter kurzelinks.de/mumien
Premiere der filmischen Bearbeitung von „Mumien“ von Claudia Opitz und Sebastian Köpcke am 11. September im Kino Babylon, Berlin.
Weitere Aufführung: 17. September, Festival des politischen Liedes, Theater Ost, Berlin
Ab dem 11. September wird der Film online zu sehen sein unter ok-projekt.de

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Flöhe mit Wut im Bauch", UZ vom 1. September 2023



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