Auszüge aus Reden auf der Friedensmanifestation am 3. Oktober in Stuttgart

Für Esther und Peter

In Stuttgart versammelten sich am 3. Oktober rund 15.000 Friedensdemonstranten auf dem Schlossplatz. Es sprachen neben weiteren Sevim Dagdelen für das BSW, die Theologin Margot Käßmann, die Gewerkschafterin Ulrike Eifler und Vincent Leuze für die ver.di-Jugend. Ronja Fröhlich, Mitglied des Bundesvorstandes der SDAJ, sprach für das Bündnis „Nein zur Wehrpflicht“. Für die VVN-BdA begrüßte Anthony Cipriano die Gäste. Eine große Rolle spielte die Solidarität mit Palästina mit den Reden von Rihm Hamdan für „Palästina spricht“ und Wieland Hoban für die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“. Wir veröffentlichen im Folgenden Auszüge einzelner Beiträge. Alle Reden aus Stuttgart können hier nachgelesen werden.

„Unsere Organisation, die VVN-BdA, wurde gegründet von einer Generation, die ganz genau wusste, was Krieg bedeutet. Für Esther Bejarano und Peter Gingold war es 1945 unvorstellbar, dass wir erneut konfrontiert sein würden mit Nazismus, Rassismus, Nationalismus und Militarismus. Die Lage, in der wir uns heute befinden, war für sie in ihrem damaligen Optimismus unvorstellbar.

Unsere Kameradinnen und Kameraden, die den Faschismus selbst miterleben mussten, kämpften ihr Leben lang mit ihrer ganzen Kraft für Frieden und Völkerverständigung, natürlich auch als in der frühen Bundesrepublik die Remilitarisierung vorangetrieben wurde, die Wehrpflicht wieder eingeführt wurde, alte Nazigeneräle neue Uniformen bekamen und Führungspositionen in der NATO einnehmen konnten – und selbstverständlich kämpften sie auch gegen Waffenlieferungen in alle Welt und gegen die unzähligen NATO-Angriffskriege, an denen Deutschland als Teil dieses Mord-und-Totschlag-Bündnisses beteiligt war, das ist doch überhaupt keine Frage!

Und ich denke, eines lässt sich sicher sagen: Wenn sie heute miterleben müssten, wie wieder die Wehrpflicht eingeführt werden soll, wie Deutschland als führender Teil der NATO weiterhin Kriege in aller Welt eskaliert, wie Deutschland weiterhin mit Waffen an Israel und die Ukraine zum Blutvergießen beiträgt, wie die Umstellung zur Kriegswirtschaft Massenverarmung auf der einen Seite und Rekordgewinne auf der anderen verursacht, wie wieder alte Feindbilder aus dem kalten Krieg und der Nazizeit hochstilisiert werden und sich nun sogar Gerichte mit der Frage befassen müssen, ob sich dieses Land der Beihilfe an einem Völkermord schuldig macht, dann würden sie selbstverständlich weiter mit all ihrer Kraft gegen diese Politik ankämpfen, wie sie es auch schon ihr ganzes Leben immer getan haben – und da ist es doch unsere nicht zu verhandelnde Pflicht als Antifaschistinnen und Antifaschisten, genau dasselbe zu tun!

Lasst uns den Auftrag von Esther und Peter annehmen – und das bedeutet heute: Nein zur Wehrpflicht! Nein zu den US-Mittelstreckenraketen! Nein zur Aufrüstung! Und ein klares Ja zu Völkerverständigung und Diplomatie!

Das sind wir ihnen schuldig.“

Anthony Cipriano ist Geschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) in Baden-Württemberg


„80 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs bewahrheitet sich, was die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann gesagt hat: „Die Geschichte lehrt andauernd, doch sie findet keine Schüler.“ Und so erleben wir seit dreieinhalb Jahren fassungslos eine schleichende Militarisierung unserer Gesellschaft.

Bundeskanzler Merz erklärt uns, wir befänden uns nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden. Außenminister Wadephul sagt: „Russland wird immer Deutschlands Feind bleiben.“ Verteidigungsminister Pistorius will, dass wir „kriegstüchtig“ werden und avanciert damit zum beliebtesten Politiker des Landes. Roderich Kiesewetter will nun gar den Spannungsfall ausrufen. So wird Kriegsangst geschürt und Vorkriegsstimmung erzeugt.

Dagegen sagen wir als Friedensbewegung in der Tradition Wolfgang Borcherts: Nein! Wir brauchen nicht Abschreckung, sondern Entspannungspolitik. Wir brauchen keine Hochrüstung mit hunderten Milliarden Euro für Waffen und gleichzeitiger Kürzung der Sozialleistungen. Stattdessen brauchen wir Abrüstung, Verhandlungen, Diplomatie. Nicht Kriegstüchtigkeit ist unser Ziel. Friedensfähig müssen wir werden!“

Dr. Margot Käßmann ist ehemalige EKD-Ratsvorsitzende und Landesbischöfin von Hannover und aktiv bei der DFG-VK


„Vor fünf Tagen trafen sich Donald Trump und Benjamin Netanjahu, um über die Zukunft der Palästinenserinnen und Palästinenser zu entscheiden, in einem weiteren sogenannten „Friedensplan“. Netanjahu, ein wegen Völkermords gesuchter Kriegsverbrecher, erhielt erneut die Weltbühne, um über das Schicksal seiner Opfer zu bestimmen. (…) Trumps „genialer“ Weg, den Krieg zu beenden, ist die Wiedereinsetzung eines Mandats über das palästinensische Volk durch ein ausländisches Gremium, geleitet von einem weiteren Kriegsverbrecher, Tony Blair, um Gaza zu regieren.

Der Plan will Gaza entmilitarisieren und mit Hilfe und Investitionen locken – eine bekannte US-Formel, die wirtschaftliche Entwicklung als Ersatz für politische Rechte anbietet. Das ist ein kolonialer Bauplan: Gazas Zukunft als isolierte Einheit neu zu entwerfen, ohne sein Volk zu befragen, nachdem in nur zwei Jahren mehr als 65.000 Palästinenser getötet wurden. Dieser Plan zeigt, wie kapitalistische weiße Männer denken: Zugang zu Nahrung, Wasser, Medizin und Sicherheit sind keine Rechte, sondern Verhandlungsmasse. Das ist nicht nur psychopathisch, es ist die schamloseste Form des Machtmissbrauchs.

411213 Screenshot 2025 10 07 at 14 55 22 Starkes Signal - Für Esther und Peter - 3. Oktober 2025, Anthony Cipriano, Margot Käßmann, Rihm Hamdan, Stuttgart - Blog, Hintergrund
Und immer wieder: Freiheit für Gaza! (Foto: Johannes Hör)

Seien wir klar: Trumps Plan ist nichts anderes als ein weiterer Versuch, den Gazastreifen nach einem kolonialen, investitionsorientierten und sicherheitsbasierten Konzept umzugestalten, dessen einziges Ziel es ist, das zionistische Gebilde aus seiner Isolation zu retten.

Sie nennen es Investition, wir nennen es Kolonialismus. Sie nennen es Sicherheit, wir nennen es Belagerung.
Der Krieg gegen Gaza, geführt mit genozidalen Mitteln, wird jetzt als „Diplomatie“ neu verpackt. Den Palästinenserinnen und Palästinensern werden obszöne Optionen gegeben: „Wollt ihr ausgelöscht werden? Oder wollt ihr auf eure kollektiven nationalen Rechte verzichten?“ Unsere Antwort: Nein zu beidem.

Zeitgleich mit Trumps neuem Spiel erhoben sich weltweit freie Stimmen, die die Szene in ihrer wahren Form sahen: eine Besatzung und ein Volk, das sich dagegen wehrt, was ehrliche, ethische und gerechte Ansätze erfordert. Wenige Tage zuvor, als Netanjahu mit seinen üblichen Requisiten vor einer fast leeren UN-Generalversammlung gestikulierte, demonstrierten Hunderttausende weltweit, italienische Gewerkschaften riefen zum Generalstreik auf, die Gaza-Sumud-Flotilla setzte ihre Mission zur Durchbrechung der Belagerung fort und unzählige Akte zivilen Widerstands erschütterten die Welt für Gaza.

Wir sagen es laut und klar: Es ist nicht Sache von Blair, Trump oder Netanjahu, über unsere Zukunft zu entscheiden. Dieses Recht gehört dem palästinensischen Volk. Selbstbestimmung ist nicht nur ein Recht nach der UN-Charta, sie ist der fundamentale Wunsch aller Völker, ihre eigene Zukunft zu gestalten. Wir ertragen Jahrzehnte der Besatzung und Apartheid und jetzt den Genozid. Aber wir haben niemals auf unser Recht auf Selbstbestimmung verzichtet und wir werden es niemals tun. Wir wählen den Widerstand.“

Rihm Hamdan, „­Palästina spricht“

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"Für Esther und Peter", UZ vom 10. Oktober 2025



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