DHKP-C Verfahren: Türkischer Staat im Fokus

Gegen wen?

Der fünfte Prozesstag im aktuellen Düsseldorfer DHKP-C-Verfahren endete mit der Räumung des Gerichtssaals des Oberlandesgerichts am Kapellweg. Zuvor hatte die Aktivistin Eda Deniz Haydarog˘lu eine kurze politische Erklärung abgegeben, in der sie das Verfahren als politisch motivierten Prozess bezeichnete und die Vorverurteilung der drei Angeklagten Özgül Emre, Serkan Küpeli und Ihsan Cibelik kritisierte. Der Vorsitzende Richter Bachler forderte daraufhin Polizeieinheiten an und erklärte den Prozesstag für beendet. Haydarog˘lu befand sich zu diesem Zeitpunkt seit 117 Tagen aus Protest gegen die Kriminalisierung im Hungerstreik. Im Gespräch mit UZ erklärte die Hungerstreikende, dass es ihr den Umständen entsprechend gut gehe, auch wenn sie zunehmend unter Schwindelanfällen und Konzentrationsschwächen leide. Sie wolle ihren Hungerstreik fortführen, bis die Untersuchungshaft gegen die Journalistin, den Studenten und den Grup-Yorum Musiker aufgehoben werde oder es zumindest eine breite Solidarität mit den Angeklagten gebe.

Den drei Aktivistinnen und Aktivisten wird vorgeworfen, das sogenannte Auslandskomitee der linken Organisation gebildet zu haben. Die DHKP-C ist in der BRD seit 1998 verboten und auf der rechtlich umstrittenen EU-Terrorliste aufgeführt. Durch eine Verfolgungsermächtigung des Bundesjustizministeriums können vermeintliche Mitglieder als Zugehörige einer „ausländischen terroristischen Vereinigung“ nach Paragraf 129b des Strafgesetzbuches kriminalisiert werden.

Am Tag zuvor konnte erstmals ohne Trennscheibe zwischen den Angeklagten und ihren jeweils zwei Verteidigerinnen und Verteidigern verhandelt werden. Dies hatten sie bereits zu Beginn des Prozesses am 14. Juni gefordert und die Trennscheibe als Stigmatisierung und Vorverurteilung bezeichnet. Richter und Bundesanwaltschaft hatten Befürchtungen geäußert, dass ohne Trennscheibe die Gefahr bestehe, dass „geheime Nachrichten“ oder „Kassiber“ ausgetauscht würden, wodurch die Verteidigung sich ebenfalls Verdächtigungen ausgesetzt sah.
Ein Dreh- und Angelpunkt ist in diesem wie auch vorangegangenen 129b-Prozessen gegen Exil-Linke aus der Türkei und Kurdistan die Bewertung des türkischen Regimes. Die Bundesanwaltschaft verzichtet offensichtlich bewusst auf eine Klassifizierung des politischen Systems und der Regierung und spricht allerhöchstens vage von der Lage der Menschenrechte. Rechtsanwalt Roland Meister legte in seinem Antrag umfangreich dar, dass der „türkische faschistische Staat“ aufgrund der massiven Repression gegen jede linke Opposition und die Angriffskriege gegen die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete in Syrien (Rojava) und im Nordirak kein Schutzobjekt juristischer Organe in der BRD sein könne. Es handele sich daher um einen Befreiungskampf, auf den der Paragraf 129b nicht anwendbar sei.

Das Verteidigerteam beantragte die Einstellung, zumindest aber die Aussetzung des Verfahrens, bis die Verfassungsmäßigkeit des Gesinnungsparagrafen 129b überprüft worden sei. Bei Letzterem sei die Untersuchungshaft aufzuheben. Ein weiterer Antrag richtet sich gegen das Selbstleseverfahren, nach dem die Angeklagten die Prozessunterlagen mit Hilfe ihrer Dolmetscher selbst in den Zellen lesen müssen. Dies erschwere die Verteidigung ungemein, für acht Seiten der mehrere hundert Seiten umfassenden Dokumente würden rund zwei Stunden gebraucht.

Ein weiterer Grund, die Verhandlung auszusetzen, ergibt sich für die Verteidigung aus dem Umstand, dass Prozessunterlagen eines Informanten des Verfassungsschutzes der Verteidigung durch die Bundesanwaltschaft weiterhin nicht zugänglich gemacht werden. Der Informant Murat Asik hatte sich in einer Erklärung auf der Social-Media Plattform „Twitter“ dafür entschuldigt, an der Kriminalisierung der drei Angeklagten mitgewirkt zu haben. Er sei durch den Inlandsgeheimdienst massiv unter Druck gesetzt und mit der Abschiebung bedroht worden. Über die Anträge wurde aufgrund der vorzeitigen Beendigung durch Richter Bachler nicht entschieden. Der Prozess wird am 2. August fortgesetzt.

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"Gegen wen?", UZ vom 21. Juli 2023



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