Vor 90 Jahren referierte Palmiro Togliatti beim VII. Weltkongress

Globale Herausforderungen im Friedenskampf

Vom 25. Juli bis zum 20. August 1935 tagte in Moskau der VII. Weltkongress der Komintern (KI). Im Rahmen des Kongresses wurde die veränderte Lage nach der Übergabe der Macht an die Faschisten in Italien und Deutschland analysiert. Verschiedene in der kommunistischen Weltbewegung aufgetretene Fehler wurden korrigiert. Mit der Volksfront entwickelte die KI eine der Situation des Klassenkampfs angemessene Taktik auf der Grundlage der Einheitsfrontstrategie. Von „links“ und rechts werden die Ergebnisse des Kongresses immer wieder verkürzt und fehlinterpretiert und dadurch zu Quellen von Dogmatismus und Opportunismus. Für die DKP ordnete der Vorsitzende Patrik Köbele auf dem 26. Parteitag im Juni ein: „Wir halten am VII. Weltkongress fest, wir sehen ihn als wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Theorie und Praxis. Wir sehen in den Dokumenten des VII. Weltkongresses eine große Anwendung des Marxismus auf die Analyse der damaligen Situation und einen wesentlichen Bestandteil der Weiterentwicklung unserer weltanschaulichen Instrumente. Wir verwenden sie nicht als Dogma, aber als schöpferische Quelle für unsere Strategie und Taktik.“ In der beiden vorigen Ausgaben beschäftigten wir uns mit den Referaten von Georgi Dimitroff und Wilhelm Pieck.

Palmiro Togliatti referierte auf dem VII. Weltkongress zu den Aufgaben der Kommunisten angesichts der Vorbereitungen eines neuen imperialistischen Krieges. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Gefahr eines großen Krieges bereits sichtbar verschärft. Deshalb war die Friedensfrage für die Politik der kommunistischen Weltbewegung von zentraler Bedeutung. Togliatti analysierte die Weltlage und die zunehmenden zwischenstaatlichen Konflikte in ihrem Zusammenhang. Ohne die dem Imperialismus innewohnende Tendenz zum Krieg zu verschweigen, benannte er mit dem faschistischen Deutschland, Italien und Japan die gefährlichsten Kriegstreiber.

Wie in der Gegenwart gab es in den 1930er Jahren Monopolkapitalisten, die in Aufrüstung und Krieg eine Lösung für die andauernde Wirtschaftskrise sahen. Togliatti zitierte schwedische Reeder, die schon auf steigende Frachtraten und -preise im Zuge eines Krieges hofften. Dieser Zynismus, so Togliatti, sei „außerordentlich kennzeichnend für den unter der Bourgeoisie durch die Krise geschaffenen Geisteszustand und für den verhängnisvollen Schritt der kapitalistischen Welt zum Krieg“. Infolge der Großen Depression, der massiven Wirtschaftskrise seit Ende der 1920er Jahre, hatten die meisten Staaten den Freihandel eingeschränkt. Die Maßnahmen, die sie sich gegenseitig auferlegten (Zölle, Währungsabwertung, Aufkündigung alter und Erzwingung neuer Handelsverträge), hatten das Ausmaß eines regelrechten Wirtschaftskrieges angenommen.

Hauptaggressoren

Togliatti beschrieb zutreffend den deutschen Faschismus als größte Gefahr für den Frieden. Zwar richteten sich die Naziherrscher vordergründig gegen die Ordnung des Friedensvertrags von Versailles, den auch die Kommunisten wegen seines imperialistischen Charakters abgelehnt hatten. Das wirkliche Ziel seien jedoch, so Togliatti, großflächige Unterwerfungen, wie sie der deutsche Imperialismus schon im Frieden von Brest-Litowsk 1918 kurzfristig erzwungen hatte. „Es ist nicht schwer vorherzusehen, was ein siegreicher Krieg des deutschen Faschismus für Europa bedeuten würde. Ein solcher Krieg wäre das Ende der nationalen Unabhängigkeit der Tschechen, der Litauer, anderer kleiner baltischer Völker, der Polen, Holländer und Belgier. Das verstehen alle Völker Europas.“ Deshalb verteidigten die Kommunisten im Kampf gegen Faschismus und Krieg die bürgerlichen Freiheiten, die Errungenschaften der Arbeiterklasse und gleichzeitig die nationale Selbstbestimmung.

Der zweite große Aggressor war – auf der anderen Seite des Globus – Japan. Das Kaiserreich hatte bereits in den Jahrzehnten zuvor Taiwan, Korea und die Mandschurei besetzt und zielte auf die Eroberung weiterer chinesischer Provinzen. Gleichzeitig drohte es offen der So­wjet­union – Japan hatte sich als einziger Nachbar geweigert, einen Nichtangriffsvertrag zu unterzeichnen. Togliatti beschrieb, wie der aggressive japanische Imperialismus zugleich nach innen auf der brutalen Unterdrückung und Ausbeutung der japanischen Arbeiterklasse und Bauern basierte: Der Arbeitstag eines japanischen Arbeiters dauerte zwischen 14 und 18 Stunden, auf dem Land waren zwei Millionen Familien von Hunger betroffen.

331002 Broschuere - Globale Herausforderungen im Friedenskampf - 90. Jahrestag, Antiimperialismus, Friedenskampf, Klassenkampf, Palmiro Togliatti, VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale - Theorie & Geschichte
Broschüre mit Togliattis Referat. M. Ercoli war Togliattis Deckname. (Foto: gemeinfrei)

Togliatti schilderte auch das gefährliche Verhalten des britischen Imperialismus gegenüber Deutschland und Japan. Das „British Empire“ war zu diesem Zeitpunkt noch die (nominell) stärkste imperialistische Macht, aber bereits im Abstieg begriffen. Die reaktionärsten Teile der britischen Bourgeoisie betrieben eine Außenpolitik, die darauf abzielte, den deutschen Faschismus gegen die So­wjet­union in Stellung zu bringen – heute wird dies fälschlich als pazifistische Appeasement-Politik gedeutet. Diese Politik sei aber selbstzerstörerisch, erkannte Togliatti, denn angesichts ihrer grenzenlosen Offensivpläne sei mit Deutschland und Japan dauerhaft keine Verständigung möglich. Andere imperialistische Staaten – die USA, aber vor allem Frankreich – hätten das erkannt und teilten deshalb mit der So­wjet­union temporär das Inte­resse am Frieden und Erhalt des Status quo.

Antiimperialistische Solidarität

Der akuteste militärische Konflikt 1935 war der bevorstehende Überfall Italiens auf Abessinien (Äthiopien). Dieser Krieg, in dem die faschistische Armee massiv Giftgas einsetzen sollte und hunderttausende Abessinier tötete, wurde von den italienischen Kommunisten vehement bekämpft. Togliatti prognostizierte, dass der Angriff auf den letzten eigenständigen Staat Afrikas eine neue Welle antikolonialer Kämpfe auslösen würde. Abessinien sei zweifellos ein rückständiges Land und die Regierung des Kaisers Haile Selassie habe keinerlei fortschrittlichen Charakter, aber das ändere nichts an der Haltung der Kommunisten angesichts des Invasionskrieges: „Das abessinische Volk ist der Verbündete des italienischen Proletariats gegen den Faschismus, und wir versichern von dieser Tribüne aus das abessinische Volk unserer Sympathien und unserer Hilfe und wünschen ihm den Sieg.“ Wo auch immer sich Völker gegen ihre Kolonialherren erhöben, würden Kommunisten auf ihrer Seite für die Befreiung eintreten, so Togliatti.

Diplomatischer Klassenkampf

Im Jahr zuvor war die So­wjet­union in den Völkerbund eingetreten – ein Staatenbund, der von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs gegründet wurde und häufig etwas schönfärberisch als Vorläufer der UNO bezeichnet wird. Togliatti schätzte ein, dass der Bund von den imperialistischen Staaten gegründet wurde, um ihre Vorherrschaft in der Nachkriegsordnung zu sichern. Die internationale Lage habe sich aber verändert. Die Widersprüche und die Kriegsgefahr hatten sich verschärft, die aggressivsten Länder – Deutschland und Japan – hatten den Völkerbund verlassen. Zwar beweise der Völkerbund immer wieder – auch angesichts des geplanten Überfalls auf Abessinien – seine Ohnmacht bei der dauerhaften Friedenssicherung. Aber er könne dennoch als gewisses Hindernis gegen die Expansionspläne Deutschlands und Japans genutzt werden. „Der Eintritt der So­wjet­union in den Völkerbund hat den Massen gezeigt, dass die Führer der So­wjet­union keine Doktrinäre sind, sondern Marxisten, die das Kräfteverhältnis in der kapitalistischen Welt richtig einschätzen und es verstehen, jegliche, auch die kleinste Möglichkeit auszunutzen, um ihre Tätigkeit, die auf die Verteidigung des Friedens gerichtet ist, im Inte­resse der Revolution zu erweitern.“

Ähnlich bewertete Togliatti den sowjetisch-französischen Beistandspakt vom Mai 1935, dem im selben Monat noch ein ähnlicher Pakt mit der Tschechoslowakei folgte. Das bedeute keineswegs, dass die Kommunisten die bürgerliche französische Regierung und ihre Politik unterstützten. Aber die Geschütze, Panzer und Bombenflugzeuge Nazideutschlands seien eine sehr konkrete Gefahr, der mit konkreten Maßnahmen begegnet werden müsse.

Aufgaben der Kommunisten

Einen großen Teil von Togliattis Referat bildete seine Erörterung der Rolle der Kommunisten im Kampf für den Frieden, ihr Verhältnis zu möglichen Bündnispartnern und eine offene Selbstkritik hinsichtlich vergangener Fehler. Das Ziel sei eine Einheitsfront für den Frieden. Die Kommunisten stünden an der Seite der pazifistischen Massenorganisationen, auch wenn sich deren berechtigter Wunsch nach Frieden noch in der politisch unrichtigen Form äußere. Das Ziel dürfe nicht sein, diese Organisationen in kommunistische umzuwandeln, sondern man müsse den Pazifisten geduldig die eigenen Ansichten darlegen, um sie von ihren Illusionen in die bürgerliche Politik zu befreien. Dasselbe gelte für die Arbeit gegenüber den Frauen und der Jugend, denen Togliatti im Kampf für den Frieden besondere Bedeutung zumaß. „Unsere Genossen verstehen nicht immer, dass wir, um an die Massen der Frauen heranzukommen, die noch nicht unter unserem Einfluss stehen, sowie um zu den pazifistisch gesinnten Massen überhaupt vorzudringen, mit dem Charakter der Organisation, der sie angehören, rechnen müssen. Wir dürfen uns keineswegs die Aufgabe stellen, diese Organisationen zu zerstören, sondern müssen vielmehr die mannigfaltigen Formen der Zusammenarbeit mit ihnen, des Eindringens in sie finden.“

Da die größte Gefahr für den Frieden in den 1930er Jahren der Chauvinismus war, wie ihn der deutsche Faschismus propagierte, nahm der Einsatz für nationale Selbstbestimmung einen wichtigen Platz in Togliattis Referat ein. Er verwies darauf, dass es in Europa kleine Nationen wie Belgien und die Niederlande gebe, die einerseits vom Expansionismus des deutschen Faschismus bedroht seien, aber gleichzeitig ein großes Kolonialreich ausbeuteten. Die Arbeiterklasse sei in Europa die einzige fortschrittliche Kraft, da sie das Prinzip der freien Entscheidung der Völker nicht als ein Privileg einiger europäischer Nationen verstehe. Der Kampf um nationale Unabhängigkeit angesichts der faschistischen Aggression sei nicht zu trennen vom Kampf der Kolonialvölker gegen ihre Unterdrückung – so wie sich ein Krieg nicht von den weiteren Entwicklungen in der Welt isolieren lasse: „Der Frieden ist unteilbar.“ Diese Erkenntnis Togliattis hat bis heute nichts von ihrer Wahrheit eingebüßt.

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"Globale Herausforderungen im Friedenskampf", UZ vom 15. August 2025



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