Betr.: Ein widersprüchliches ‚Schuldbekenntnis‘ Gorbatschows, UZ vom 6.5.2016, S. 6

Gorbatschows Verantwortung

Von Hermann Jacobs, Berlin

Er „übernehme die Verantwortung für die Auflösung der Sowjetunion“, obwohl er sie nicht gewollt habe, sagt Gorbatschow – jetzt. Aber was heißt das – heute? Mehr als ein geschichtliches Urteil über seine Politik kommt ja nicht heraus. Die Sowjetunion war ein Vielvölkerstaat. Sie war ein erstes Land des Sozialismus, aber sie war zugleich ein erstes Land des sozialistischen Internationalismus. Es reicht nicht aus hier zu sagen, sie habe eben das zaristische Russland staatlich übernommen. Feudalreiche entstehen auf vielerlei Art. Sie sind aber noch keine ökonomischen wie politischen Einheiten. Das Besondere an der Sowjetunion war, dass sie eine politische Einheit verkörperte, einen einheitlichen politischen Willen, der dieses Land zusammenhielt – was über das alte Russland hinausging. Dieser Wille wurde durch die Kommunistische Partei der Sowjetunion wahrgenommen, d. h. eine Partei war diese Klammer, die das Land zusammenhielt. Als Gorbatschow diese Klammer aufgab – und bewusst -, war im Grunde das Schicksal dieses Landes als einheitlicher Staat besiegelt. Die Rolle der kommunistischen Partei dezimiert zu haben, in dieser Verantwortung steht er; alles andere ist nur Folge. Die jetzigen Politiker Russlands, Gorbatschow inklusive, mögen dies bedauern – und wieder eine Einheit neu anstreben. Das ginge entweder ökonomisch – dazu ist der direkt russische Teil nicht stark genug, es ist ein langer Weg, oder – man muss erneut eine politische Kraft bilden, die diesen Gang beschleunigt. Also wieder eine „KPdSU“? Dann wäre das die Lehre aus „Gorbatschow“.

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"Gorbatschows Verantwortung", UZ vom 20. Mai 2016



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