Um zu erahnen, zu welch heftigen sozialen Verwerfungen die Kombination aus neoliberaler Politik und massiver Aufrüstung führt, lohnt sich ein Blick nach Frankreich. Dort hat Premierminister François Bayrou am 15. Juli seinen Entwurf für den Haushalt 2026 vorgelegt. Seitdem laufen die Gewerkschaften und die Parteien der Opposition Sturm dagegen. 43,8 Milliarden Euro will Bayrou 2026 einsparen – in allen Bereichen des Haushalts, bis auf einen: Der Rüstungsetat soll weiter steigen.
Die Einsparungen gehen, auch das keine Überraschung, ausschließlich auf Kosten der Beschäftigten, der Arbeitslosen, der Sozialhilfeempfänger, der Rentner, der Schüler und Studenten und der Kranken. Die Subventionen für private Unternehmen – 211 Milliarden Euro waren es 2023 –, bleiben unangetastet. Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer schließt Bayrou kategorisch aus. Präsident Emmanuel Macron hatte sie 2017 abgeschafft.
Bayrous Haushaltsentwurf liest sich wie ein feuchter Traum von Ebenezer Scrooge vor dessen Läuterung. Sozialhilfe und Renten will der Premier einfrieren und dadurch 7,1 Milliarden Euro sparen. Die Rechte von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern will er weiter beschneiden. Die maximale Bezugsdauer von Arbeitslosengeld haben Macrons Regierungen seit 2019 schon von 24 auf 15 bis 18 Monate, je nach Konjunktur, zusammengestrichen. Zwei Feiertage will der Premier ganz streichen: Ostermontag und der 8. Mai, der in Frankreich als Tag des Sieges begangen wird.
5 Milliarden will er bei der Gesundheitsversorgung sparen, indem er die Axt an die Medikamentenerstattung für Langzeitkranke ansetzt. Medikamente, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der jeweiligen Langzeiterkrankung stehen, sollen künftig nicht mehr erstattet werden. Die von Krebspatienten in Remission auch nicht mehr. 13 Millionen Franzosen sollen davon betroffen sein. Mediziner kritisieren das als Irrsinn. Barbara Filhol, Generalsekretärin der Gewerkschaft CGT Santé-action sociale, sagt dazu: „Diese Reform ist ein Rückschritt ohne Präzedenz für die Kranken.“ Dadurch gerate die gesamte Bevölkerung in Gefahr. Einer Umfrage der Tageszeitung „ouest france“ zufolge haben 60 Prozent der Franzosen schon einmal oder mehrfach aus finanziellen Gründen auf ärztliche Behandlung verzichtet. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall soll künftig erst ab dem siebten Tag greifen. Zudem will Bayrou stärker gegen angeblich „unberechtigte“ Krankschreibungen vorgehen.
Auch dem Öffentlichen Dienst geht es an den Kragen, obwohl der schon aus dem letzten Loch pfeift. 3.000 Stellen will Bayrou im nächsten Jahr streichen. Betroffen sind alle Ministerien und Ämter – bis auf das „Verteidigungsministerium“. Nur einer von drei Beamten, die in Pension gehen, sollen künftig noch ersetzt werden. Ihre Gehälter werden eingefroren – das dritte Jahr in Folge! Bayrou gratulierte sich bei der Gelegenheit dazu, ihnen eine Kürzung der Bezüge erspart zu haben. Griechische Beamte hätten schließlich eine 15-prozentige Kürzung hinnehmen müssen auf dem Höhepunkt der Finanzkrise.
Bluten müssen auch die Kommunen und Départements – auch sie schon lange unterfinanziert. 5,3 Milliarden Euro will Bayrou ihnen streichen. Die Association des maires de France (AMF, Vereinigung der Bürgermeister Frankreichs) schätzt, dass die angekündigten Maßnahmen eher auf Einsparungen in Höhe von 10 Milliarden Euro hinauslaufen werden. André Laignel, Erster Vizepräsident der AMF und Präsident des Comité des finances locales (CFL, Komitee kommunaler Finanzen), ist entsetzt: „Das wird zwingend zu einem Niedergang lokaler öffentlicher Dienstleistungen und Investitionen führen. Frankreich droht dadurch eine Rezession.“
Die Ausgaben für Aufrüstung und Militarisierung will Emmanuel Macron im Jahr 2026 um 3,5 Milliarden Euro erhöhen, 2027 dann um weitere 3 Milliarden Euro. Insgesamt soll der Kriegsetat von 50,5 Milliarden Euro im laufenden auf 67,4 Milliarden Euro im Jahr 2030 wachsen.
Fabien Roussel, Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei (PCF), erklärte, der Haushaltsentwurf sei kein Budget, sonder eine Konterrevolution, die darauf abziele, „die Säulen unseres sozialen Modells zu zerstören“. Diese Politik finanziere die Profite der Aktionäre der Großkonzerne und nähre den Krieg durch Militarisierung.
Alternativvorschläge unterbreitete die PCF in einer Erklärung vom 23. Juli: „Als Gegenpol zu dieser Machtpolitik schlagen wir vor, Gehälter und Renten zu erhöhen, die Strompreise zu senken, sofort berufliche Gleichberechtigung, Beschäftigung und Ausbildung für alle zu garantieren und zehntausende von Mitarbeitern für unsere Schulen, unsere Krankenhäuser, unsere Züge, unsere Polizeistationen und unsere Gerichte zu rekrutieren, Industrie und Landwirtschaft bedarfsgerecht zu entwickeln, die Herausforderungen in den Bereichen Energie, Klima und Nahrungsmittel anzugehen und uns durch Diplomatie und Respekt für das Völkerrecht für den Frieden in der Ukraine und im Gaza-Streifen einzusetzen!“ Die Partei teile die Einschätzung der Gewerkschaften, der Haushaltsentwurf sei „Brutalität ohne Präzedenz“ gegen die Beschäftigten.
Die Gewerkschaftsverbände Frankreichs kündigten an, gemeinsam Widerstand zu organisieren gegen „dieses Museum der Schrecken“, um „unser soziales Modell und die Würde der Arbeit“ zu verteidigen. Eine gemeinsame Online-Petition wurde innerhalb der ersten zwei Tage von über 200.000 Menschen unterzeichnet. Auf der Seite stopbudgetbayrou.fr (nur auf Französisch) wollen die Gewerkschaften über den Haushaltsentwurf aufklären.
Noch sei nichts entschieden, unterstrich die CGT in einer Pressemitteilung. Jetzt müsse die Mobilisierung vorbereitet werden. Nach den Sommerferien soll der Protest auf die Straße getragen werden.
Diese Einschätzung ist richtig: Die Parteien der Opposition kündigten an, Misstrauensanträge gegen Premierminister Bayrou zu stellen. Richtig ist aber auch, dass Präsident Macron in den letzten Jahren mit allerhand unsozialen Schweinereien durchgekommen ist und nur selten zurückrudern musste. Vor einer Läuterung à la Ebenezer Scrooge werden ihn seine reichen Freunde bewahren.
Der Haushaltsentwurf für 2026 ist nur der Anfang beispiellosen sozialen Kahlschlags. Im laufenden Jahr liegt das französische Haushaltsdefizit bei 5,4 Prozent. Mit seinem Budget will Bayrou das Defizit 2026 auf 4,6 Prozent senken. Sein Ziel für 2029: 2,8 Prozent.