Eine Erinnerung aus Anlass des 100. Geburtstages des bedeutenden Literaturkritikers

Günther Cwojdrak – ein Freund des Friedens

Paul Sielaff

Als „freundlich, verbindlich und unnachgiebig, das als richtig Erkannte auch richtig verfechtend“, so kenne man den Schriftsteller, Kritiker und Essayisten Günther Cwojdrak. Das schrieb Erwin Kohn zum 60. Geburtstag im Jahr 1983 über den Jubilar im „Neuen Deutschland“. Der 100. Geburtstag am 4. Dezember soll Anlass sein, erneut an den mittlerweile vergessenen Kieler Jung’ zu erinnern, der in der Deutschen Demokratischen Republik vor allem als bedeutender Literaturkritiker bekannt war.

Geboren 1923 musste er natürlich in den Weltkrieg ziehen. Nach der Grundausbildung im Frühjahr 1942 gelangte er schließlich 1943 nach Munsterlager in der Lüneburger Heide. Auf eigene Faust war er von dort in seine Heimatstadt Kiel gefahren, auf der Rückfahrt festgenommen worden und in Untersuchungshaft gekommen. Seither schrieb er seine Kriegserlebnisse auf. Sein Humor ging ihm selbst während der Haft nicht verloren, und so berichtet er: „Habe große Lust, über Wohnkultur zu schreiben.“ So beginnt er die Beschreibung seiner engen, unwirtlichen Gefängniszelle, die er schließlich verlassen darf, um am Krieg in Italien gegen die Engländer teilnehmen zu müssen.

Faschismus und Krieg lehnte Cwojdrak von jeher ab, und er ergriff eine sich bietende Möglichkeit, in englische Gefangenschaft zu geraten. Diese Zeit nutzte er, um sich mit deutscher und Weltliteratur vertraut zu machen. „Seit Sommer habe ich in Ascot bei London in einem Lager für antifaschistische Kriegsgefangene gelebt und regelmäßig mitgearbeitet am Rundfunkprogramm dieser Kriegsgefangenen für die BBC in London“, schreibt er in seinen Erinnerungen.

Nach einer Zeit in Hamburg siedelte Cwojdrak 1947 nach Berlin in die damalige Sowjetische Besatzungszone über. Der Weltkrieg, die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und die damit verbundene „literarische Aufrüstung“ waren fortan wichtige Themen, denen sich der gebürtige Schleswig-Holsteiner widmete.

„Etwa drei bis vier Jahre nach dem totalen Zusammenbruch des Hitlerreiches begannen die früheren Wehrwirtschaftsführer, die ehemaligen Hitlerbankiers und Hitlergenerale, die Lebensraumapostel, Rassetheoretiker und Schrifttumspfleger sich wieder vorsichtig zu regen“, stellt Cwojdrak fest. Und „viele Autoren, die heute in Westdeutschland militaristische Literatur produzieren, sind alte Routiniers; sie sind diesem ertragreichen Geschäft bereits in der Weimarer Republik und im ‚Dritten Reich‘ nachgegangen.“ So bewertet er: „Menschen, Übermenschen sind in dieser Literatur die deutschen Soldaten; Edelmenschen sind die Junker von den Ordensburgen des SS. Keine Menschen, nicht einmal Untermenschen, sondern nur tierhafte Wesen sind die Sowjetsoldaten.“

„Eine Prise Polemik“ überschreibt Cwojdrak seine „Sieben Essays zur westdeutschen Literatur“, die Jahre später 1965 erschienen. Er widmet sich darin unter anderem der „zweiten Literatur“ in der Bundesrepublik. Vordergründig scheine die Gegenwartsliteratur durch „Autoren wie Böll, Koeppen, Nossack, Andersch, Walser, Richter, Weyrauch“ repräsentiert zu werden. Sie werde aber von der Masse der Menschen oft gar nicht wahrgenommen. Anders die „zweite Literatur“: Sie forme das Bewusstsein, das Geschichtsbild und die Zukunftsperspektive von Millionen Menschen in Westdeutschland. „In dieser Literatur wendet man sich wieder … den ‚ewigen Werten‘ des ‚christlichen Abendlandes‘ zu, man handelt zwar nicht christlich, führt aber das Christentum, das ganze Vokabular von Erlösung, Gnade, Gott und Güte häufig im Mund. Es ist eine Literatur, in der sich der Faschismus, neu lackiert, dem Bonner Klerikalstaat und dem Wirtschaftswunder angepasst hat.“

Heutigen jungen UZ-Lesern mag der Roman „So weit die Füße tragen“ aus den 1950er Jahren, der dann auch verfilmt wurde, unbekannt sein. In dem Buch schildere der Autor Bauer, so schreibt Cwojdrak, wie ein verurteilter deutscher Kriegsverbrecher sich in drei Jahren vom Ostkap quer durch Sibirien in den Iran durchschlägt und letztlich nach Westdeutschland heimkehrt. Dessen Name ist Clemens Forell. „Er erweist sich Zoll für Zoll als ein echter deutscher Übermensch . . . in jeder Lage bleibt er überlegen, mit Hochmut und Herrenstolz blickt er auf die Menschen herab, die ihm während seiner Flucht begegnen.“ Diesem Forell unterwerfe sich alles, betont Cwojdrak, „die sibirische Natur, die sowjetischen Menschen, nichts ist seiner Kraft, Intelligenz und Stärke gewachsen.“ Der Fernsehfilm war in Westdeutschland ein großer Erfolg. Das westdeutsche Fernsehen habe „viele begeisterte Zuschriften und Wiederholungswünsche“ erhalten, dass „dieser sibirische Siegeszug des Oberleutnants Forell tatsächlich noch ein zweites Mal über die bundesdeutschen Bildschirme flimmerte“.

„Der Spaß an Polemik, am geistvollen Spiel mit Worten und Pointen ließ den Autor auch eine reiche Ernte an Aphorismen einbringen“, heißt es in der eingangs erwähnten Würdigung im „Neuen Deutschland“. Hierzu eine Zufallsauswahl: „Die Trivialliteratur gleicht einer Traumlotterie, in der es scheinbar nur Hauptgewinne gibt; sie soll ihre Leser dafür entschädigen, dass sie im Leben zumeist nur Nieten gezogen haben.“ Oder: „‚Jetzt wollen wir einmal deutsch miteinander reden‘: Wieso eigentlich ist das zu einer Ankündigung rücksichtsloser Grobheit geworden?“

Günther Cwojdrak starb am 23. Dezember 1991 mit 68 Jahren in Berlin. In einer Trauerrede heißt es: „Vernunft und Gelassenheit hat er verbreiten wollen.“ Es ist ihm gelungen – man muss aber sein Werk bewahren.

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