Wenn Heiko Maas zur #wirsindmehr-Demo aufruft, stimmt was nicht

Herrschende kapern das Thema Antifaschismus

Christel Buchinger und Thomas Hohnerlein, Medelsheim

Zuerst waren wir nur irritiert, dann erschrocken über den gereizten und moralisierenden Brief mehrerer DKP-Mitglieder zur Bildungszeitung (BiZ). In der BiZ werde der Vorrang des Kampfes gegen das Kapital gegenüber dem Kampf um Demokratie und gegen den Faschismus „gepredigt“. Dabei hat die BiZ die Dialektik von Kampf um Demokratie und Kampf um Sozialismus betont. Der Kampf um Demokratie ist vom Kampf gegen das (Monopol-)Kapital nicht zu trennen; seine genaue Ausprägung ist in jeder historischen Situation zu erkunden, zu durchdenken und zu begreifen. Beispiel: Welche Rolle spielen die Medien? Es ist eine andere Rolle als 1933 und anders als Anfang der Achtziger! Die Think-Tanks? Wie wird rechte Ideologie produziert und camoufliert? Welche Rolle spielen linke Ideologien im Konzept der Herrschenden? Feminismus? Gleichstellung? Ökologie? Frieden? Und neuestens, Klaus Wagener hat darauf hingewiesen: Antisemitismus und der Antifaschismus?

Das Muster in diesen Strategien der Herrschenden, die Art und Weise, wie diese Themen aufgegriffen, umgedeutet und gepuscht werden, muss durchschaut und durchkreuzt werden; das ist entscheidend im Kampf gegen den reaktionären Staatsumbau. Diese Pflicht zur Analyse hat die Kommunistische Partei, die den Marxismus zur Verfügung hat. Sie muss Klarheit schaffen und diese in Bewegungen und die Bevölkerung tragen und kann dabei ihr Profil schärfen.

Luciano Canfora hat in der „Kurzen Geschichte der Demokratie“ erläutert: Demokratie als Volksherrschaft war bei den bürgerlichen Philosophen und Ideologen durchaus unbeliebt. Sie wird von diesen in Gegensatz zur „Freiheit“ gestellt. Freiheit für alle gibt es nicht. Wenn die Starken frei sind, müssen die Schwachen Sklaven sein. Wenn keine echten, so doch mindestens Lohnsklaven. Eine Gesellschaft, die auf Lohnsklaverei beruht, kann niemals eine wirkliche Demokratie sein. Ist daher „Kampf um die Demokratie“ nicht Kampf gegen die Lohnsklaverei und damit für den Sozialismus als die wirkliche Demokratie? Darf auf den Gedanken Rosa Luxemburgs, dass die Revolution der größte demokratische Akt des Volkes sei, noch hingewiesen werden? Oder spielt man damit dem Verfassungsschutz in die Hände? Weil in diesem Lande von Revolution nicht gesprochen werden darf?

Das Thema Antifaschismus wird gerade von den Herrschenden gekapert. In diesem Zusammenhang fanden wir die Überschrift „Faschismus kommt nicht von den Faschisten“ so erfrischend. Wenn die Demo gegen ein paar Glatzen gleich der antifaschistische Kampf an sich ist und sich darin erschöpft, wenn der Ruf „Nazis raus“ das Problem nur nach „außen“ verlagern soll, statt es „systemisch“ als Teil des Antagonismus zu begreifen, wenn Steinmeier den Antifaschismus lobt und heldenhaft gegen Antisemitismus kämpft, wenn Heiko Maas zur Demo #wirsindmehr aufruft und viele Linke mitlatschen, weil sie auch gegen Fremdenfeindlichkeit sind, wenn die Vereinnahmung des Antifaschismus nicht als die andere Seite der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN erkannt wird, ist Entscheidendes nicht durchschaut.

Der Begriff Demokratie wird erst „populär“ bei den Herrschenden, als sie ihn als Gegenmodell zum Sozialismus aufgebaut haben. Mit ihm will der deutsche, der europäische, der US-amerikanische Imperialismus seit dem Jugoslawienkrieg als Vorkämpfer der Demokratie und der Menschenrechte auftreten! Musste nicht Auschwitz in Jugoslawien verhindert werden? Wurde nicht der Frauenbewegung mit dem Aufschrei, die Serben würden mit Massenvergewaltigungen einsetzen, das Maul gestopft? Mussten nicht die Afghaninnen von patriarchaler Unterdrückung befreit werden? Der Weg in den Menschenrechts­imperialismus (zu dem, das sei nur am Rande bemerkt, auch Merkels „Wir schaffen das“ gehört) steht nicht nur den Grünen und der Linken offen, auch die DKP kann darin aufgehen, wenn sie nicht aufpasst!

Der Kampf um demokratische Rechte ist zahnlos und leicht vereinnehmbar durch die Herrschenden, wenn die Arbeiterklasse als Ganzes abseits steht. Wenn sie nicht versteht, dass alle Angriffe auf demokratische Rechte, alle Polizeigesetze und alle Förderung und Pflege von Nazigruppen letztlich gegen die Kampfkraft der Arbeiterklasse gerichtet ist, wie an den Gelbwesten in Frankreich zu besichtigen ist. Daraus folgt: Die hochgelobte Bündnispolitik der Kommunisten ist eine leere Hülle, wenn diese nicht als Kern jedes (!) Bündnisses die Arbeiterklasse gewinnen will.

Langfassung dieses Beitrags auf dkp.de/partei/theorie-und-bildung/diskussion

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"Herrschende kapern das Thema Antifaschismus", UZ vom 27. November 2020



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