Krankenhäuser, Apotheken und Rettungsdienste: Beim kriegstüchtigen Umbau des Gesundheitswesens müssen alle mit anpacken

Jeder Sani ein halber Soldat

Die operativen Pläne für eine kriegstüchtige Infrastruktur umfassen den medizinischen Sektor in der gesamten Breite von der Medikamentenherstellung bis zur Einbindung der niedergelassenen Ärzteschaft. Ausgehend vom „North Atlantic Council“ (NATO-Rat) über die Militärkommission der NATO („Military Committee“) zu dem in Mons (Belgien) befindlichen „Allied Command Operations (ACO) – SHAPE“ entstehen die Detailpläne auf der Grundlage des vom Operativen Führungskommando der Bundeswehr ausgearbeiteten „OPLAN DEU“. Stetige Zuarbeiten liefert das „Joint Support and Enabling Command“ (JSEC) der Bundeswehr in Ulm, das für sämtliche Aufmarschlogistik (Deutschland als „Truppen- und Materialdrehscheibe“) gen Osten zuständig ist – und damit für die erste Phase eines an der zentraleuropäischen Ostflanke vorhergesagten Kriegsfalls.

Monika Münch-Steinbuch hat in der UZ vom 26. September die Fakten dazu benannt: Es geht um die auf 180 Tage bemessene Verlegung von 800.000 NATO-Soldaten und circa 200.000 Fahrzeugen quer durch Deutschland. Die Einzelheiten des „OPLAN DEU“ werden geheim gehalten, was indes nicht daran hindert, die Umsetzung der militärisch-zivilen Zusammenarbeit konkret beobachten und beschreiben zu können.

Für die militärische Inanspruchnahme des zivilen Gesundheitswesens ist dies ablesbar an den auf Bundesebene, Landesebene und regional gebildeten Kooperations-Strukturen zwischen Sanitätsdienst auf der einen und Krankenhäusern und Rettungsdiensten auf der anderen Seite, wie auch an der steigenden Zahl von Kongressen und Symposien, an denen kriegsfallrelevante ärztliche Berufsgruppen, zum Beispiel Chirurgen und Traumatologen, aber auch Apotheker und Arzneimittelhersteller teilnehmen. Hinzu kommen die inzwischen zuhauf stattfindenden gemeinsamen „Notfallübungen“ zwischen Sanitätseinheiten, Ärzten und Rettungsdiensten. Ganz im Stil einer Frontberichterstattung drehen sich die aktuellen Ausgaben der „Ärztezeitung“, der „Pharmazeutischen Zeitung“ und der „Wehrmedizin“ nur noch darum, wo all das Geld und das Personal für den militaristischen Umbau des Gesundheitswesens herkommen soll. Zweites Hauptthema ist die Frage, wie sich Krankentransporte, Notaufnahmen, Chirurgie und Intensivstationen infrastrukturell gegen den erwarteten „Massenanfall von Verletzten“ (MANV) wappnen können.

EU-weite Aufrüstung der Medizin

Die Militarisierung der nationalen zivilen Gesundheitswesen findet zeitgleich zu Deutschland in allen Staaten der Europäischen Union statt. Krankenhäuser werden mit Stationen der Schwerverwundetenversorgung ausgestattet. Die Konzeption und Errichtung einsatzfähiger Feldlazarette wird forciert. Neue medizinische Einheiten auf Bataillonsebene werden geschaffen, zivil-militärische Rettungs- und Evakuierungsteams ins Leben gerufen, die Medizinlogistik (Medikamente, Blutkonserven, Beatmungsgeräte) für den massenhaften Anfall ausgebaut.

Der kriegsrechtlich ausgerufene Notstand, den es in jeder der Landesverfassungen gibt, wird allerorten auf die von der NATO ausgegebenen Planungsinstrumente (Notfallgesetze, operative Militärpläne, Bündnisverpflichtungen) abgestimmt. Statistisch werden die zivilen Krankenhauskapazitäten sowie der Umfang ziviler Krankentransportkapazitäten ermittelt und durch die jeweilige Führung der Sanitätseinheiten ausgewertet. Die Ergebnisse werden in regionale Einsatzpläne gegossen.

Der Bedarf an Intensivbetten für den Kriegsfall wird wie folgt bemessen: In der EU stehen pro 100.000 Einwohner durchschnittlich 11,5 Intensivbetten zur Verfügung. Nach der NATO-Planung soll dies um das Fünffache gesteigert werden. Litauen verlegt seit Beginn des vergangenen Jahres systematisch Operationssäle unter die Erde. In Frankreich wird – staatlich koordiniert – die Militärmedizin auf der Ebene des „Service de Santé des Armées“ mit den Schnittstellen der zivilen Krankenhäuser verbunden. Großbritannien und die Niederlande legen den Fokus auf die Erweiterung der Evakuierungskapazitäten. Die Luftwaffe übt Verwundeten- und Medikamententransporte durch Luftbrücken, das britische Heer stellt spezielle mobile Trauma-Teams zur Entsendung in den zentral- und osteuropäischen Raum bereit.

In Italien werden die Hürden der Verfassung flexibilisiert. Hinderlich ist Artikel 11 („Italien lehnt Krieg als Mittel des Angriffs auf die Freiheit anderer Völker und als Mittel zur Lösung internationaler Streitigkeiten ab“), der hinter Artikel 78 („Die Kammern beschließen über den Kriegszustand und übertragen der Regierung die notwendigen Vollmachten“) zurücktreten soll. Artikel 52 der Verfassung („Die Verteidigung des Vaterlandes ist heilige Pflicht des Staatsbürgers“) sorgt für die Unterordnung des zivilen Sektors unter das militärische Vorrecht. Regelmäßige gemeinsame Notfallübungen zwischen Militär („Corpo della Sanità Militare“) und Zivilbeschäftigten des Gesundheitswesens finden seit Ende des Jahres 2023 statt.

BRD: Kriegstüchtiger ­Sanierungsfall?

Die in Angriff genommene militärische Verzweckung des zivilen Gesundheitswesens trifft auf ein über Jahre kaputtsaniertes Gesundheitssystem. Abbau der Bettenzahlen, bundesweites Krankenhaussterben, profitorientiertes Zusammenstreichen von essentiellen Heil- und Pflegeleistungen bei gleichzeitig steigenden Versicherungsbeiträgen, Personalmangel und hohem Leistungsdruck für Ärzte und Pflegepersonal sind Kennzeichen der Malaise auf dem Gesundheitssektor und zugleich ein Signal dafür, wie der kapitalistische Staat mit der Gesundheit als Daseinsfürsorge umgeht. Nach dem letzten Sparbeschluss der schwarz-roten Bundesregierung sollen allein bei den Kliniken weitere 1,8 Milliarden Euro eingespart werden. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 23 Krankenhäuser geschlossen; hinzu kommen zahlreiche Schließungen von Abteilungen, darunter 13 Geburtshilfestationen. Über 90 Krankenhäuser sind 2025 von der Schließung bedroht.

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„Wir bevorraten ein großes Sortiment von Cannabis über Morphin bis hin zu Oxycodon.“ Die Bundeswehr wirbt mit den weisen Worten einer Apothekerin, die sich dem Militär angeschlossen hat. (Foto: Jonas Weber / Bundeswehr)

Die Bundeswehrkrankenhäuser haben eine Höchstbelegung von 1.850 Betten. Dem „Hessischen Ärzteblatt“ vom November 2024 darf entnommen werden, dass Deutschland direktes „Ziel militärischer Angriffe“ sein wird. In einem Worst-Case-Szenario sei dann mit ein- bis zweitausend Verwundeten täglich zu rechnen, die zunächst in den Krankenhäusern innerhalb Deutschlands behandelt werden müssten. Von den in Richtung Ost-West nach Deutschland transportierten Frontverletzten ist dabei noch nicht einmal die Rede.

Militärischer Vorrang

Das Gros der Verwundeten wird in zivile Krankenhäuser verlegt werden. Angesichts dieser Zahlen wird bereits klar, dass die militärische Inpflichtnahme des zivilen Krankenhauswesens dazu führen wird, dass Betten für erkrankte Zivilpersonen nicht mehr in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen werden. Zur Akutbehandlung kriegsbedingter Verletzungen reicht die Handvoll chirurgisch ausgebildeter Militärärzte noch nicht einmal zwei Tage aus, der Rückgriff auf sämtliche zivile Chirurgen und Traumatologen samt Hilfspersonal ist folglich zwingend notwendig.

Wohin das angesichts einer Zahl von über 50.000 operativen Eingriffen pro Tag (im „Friedenszustand“) führt, kann sich ein Jeder selbst ausmalen. Die Konzentration auf die Verwundetenversorgung führt nach dem NATO-Konzept „Medevac“ (Medical evacuation) dazu, dass nach dem Fronteinsatz vier Transportschritte der Verwundeten (Erstversorgung an der Front, Versorgung im Rückraum, Versorgung in regionalen Feldlazaretten, Versorgung außerhalb des Operationsraums) erfolgen. Nur der Letzte liegt in Deutschland – so dass die Vielzahl der Chirurgen nicht mehr in ihren Stammkrankenhäusern sein werden.

Gegenwärtig ist die Bundeswehr auf den Kooperationswillen der Ärzteschaft, des Pflegepersonals und der Rettungsdienste einschließlich Feuerwehren und Technischem Hilfswerk angewiesen. Für das reibungslose Funktionieren im Kriegsfall bietet die Freiwilligkeit nach militärischer Lesart allerdings keine Basis.

„Gesundheitssicherstellungsgesetz“

Dafür plant die Bundesregierung das „Gesundheitssicherstellungsgesetz“ (GeSiG), dessen Entwurf Anfang des kommenden Jahres bekanntgemacht werden wird. Es reiht sich ein in die sogenannten „Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze“, die im Spannungs-/Bündnis-/Verteidigungsfall (Artikel 80a, 115a Grundgesetz) allesamt automatisch in Kraft treten oder schon vor Ausrufung des Spannungsfalls – im „Zustimmungsfall“ – einzeln wirksam werden können.

Der Vorrang des Militärs wird in der Kommandostruktur installiert. Institutionen des zivilen Sektors haben noch Mitsprache-, aber keine Entscheidungsbefugnisse mehr. Auf zentraler Ebene soll eine „Patientensteuerung in großen Schadenslagen“ erfolgen und damit der „Massenanfall von Verletzten“ steuerbar werden. Landesweite Verteilungsschemata für Verwundete werden bundeseinheitlich koordiniert. Um dies effektiv bewältigen zu können, werden Koordinierungsstellen auf Bundes-/Landes- und kommunaler Ebene geschaffen. Standardisierte Triage-Kriterien für Verwundete und Zivilpatienten legen fest, wer zunächst effektive Ersthilfe benötigt und wer „warten“ oder nötigenfalls auch sterben darf. Kliniken werden verpflichtet, Rahmenvereinbarungen zur Übernahme verwundeter Soldaten und eines Quantums ziviler Patienten vorzulegen. Ins Leben gerufen werden digitale Melde- und Dispositionsplattformen zur Steuerung des Verwundetenwesens und der Verteilung medizinisch-pharmazeutischer Produkte.

Es folgen Regeln zur Vorratshaltung essentieller Arzneimittel und Medizinprodukte und zur Bildung von Mindestreserven. Geregelt wird auch die militärbegleitete Sicherung von Verwundetentransporten und von Medikamenten-Lieferketten. Vorgesehenen sind außerdem eine Meldepflicht für Apotheken und Pharma-Hersteller an eine zentrale Erfassungsbehörde sowie regelmäßige „Ernstfallübungen“ ziviler Krankenhäuser, Rettungsdienste und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in wechselnden Intervallen, aber „realitätsnah“. Dabei sollen zivile Schlüsselakteure (THW, Feuerwehr, DRK, Malteser und andere), Krankenhäuser, Ärzte- und Apothekerverbände, Transportunternehmen sowie Akteure des Schienen- und Luft- und Straßenwesens eingebunden werden.

Schon einmal gab es 1981 das Vorhaben der Bundesregierung, ein Gesundheitssicherstellungsgesetz zu verabschieden. Damals scheiterte es an den vehementen Protesten aus der Ärzteschaft.

Der zitierte Artikel „Aufmarsch der Kriegsmedizin“ von ­Monika Münch-Steinbuch kann hier
nach­gelesen werden

Friedenstaube - Jeder Sani ein halber Soldat - Gesundheitssicherstellungsgesetz, Gesundheitswesen, Infrastruktur, Kriegsvorbereitungen, Operationsplan Deutschland, Sanitäter - Hintergrund

Keine Militarisierung des Gesundheitswesens!
Kriegstüchtig? Ohne uns!


Diskussionsveranstaltung der DKP Dortmund

Mit Nadja Rakowitz, Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte und
Ralf Hohmann, Jurist und UZ-Autor

Donnerstag, 30. Oktober, 18 Uhr
BierCafé West, Lange Straße 42, 44137 Dortmund

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"Jeder Sani ein halber Soldat", UZ vom 24. Oktober 2025



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