Staatsräson am Verwaltungsgericht: Klagen gegen deutsche Waffenlieferungen an Israel zurückgewiesen

Juristische Parallelwelt

Im Verhandlungssaal B129 des Berliner Verwaltungsgerichts ticken die Uhren anders. Dass Verwaltungsrichter einen ganz speziellen Begriff von Zeit haben, insbesondere wenn es um die Lieferung von deutschen Waffen nach Israel und die dazugehörige Staatsräson geht, mussten am 12. November sechs Palästinenser erfahren, die sich in zwei Klagen gegen exportierten Tod aus Deutschland wandten.

Der in Gaza geborene und seit Jahrzehnten in Deutschland ansässige Kinderarzt Quassem M. hatte zusammen mit seinem noch in Gaza lebenden Vater im vergangenen Jahr Klage gegen die Bundesregierung eingereicht. Der Antrag richtet sich auf ein Verbot zukünftiger Waffenlieferungen. Die zweite an diesem Tag unter Vorsitz von Richter Stephan Groscurth verhandelte Klage beschäftigt sich dagegen mit etwas Vergangenem. Die vier Kläger, die allesamt trotz der mörderischen Bombardements noch in Gaza leben, zielen darauf ab, die Genehmigung der Bundesregierung für die Lieferung von 3.000 Panzerabwehrwaffen vom Typ „RGW 90 – Matador“ vom 31. Oktober 2023 für rechtswidrig erklären zu lassen.

Geladen waren als Beteiligte auch Vertreter der herstellenden Waffenschmiede „Dynamit Nobel Defence“ aus Burbach, welche es allerdings nicht für nötig hielten, zu erscheinen. Möglicherweise ahnten sie schon im Vorfeld, dass es auf eine Rechtfertigung der Lieferung gar nicht ankommen würde.

Das Gericht klärte zunächst einmal, wer überhaupt eine Klage einreichen darf und wer nicht. Dem Kinderarzt fehle die Klagebefugnis, denn er lebe aktuell nicht in Gaza. Nach einem Scharmützel über diese Frage zog seine Prozessvertretung zurück, nur noch der Antrag seines Vaters war nun im Rennen. Nach dem Verdikt des Gerichts war aber auch dessen Klage schlicht unzulässig. Der Bundeskanzler habe nämlich am 8. August 2025 erklärt, es würden keine Genehmigungen für Kriegswaffen mehr erteilt. Die Gefahrprognose zum Zeitpunkt der Verhandlung zähle, nicht die Prognose zum Zeitpunkt des Antrags. Keine Genehmigung heißt: keine Waffen, heißt: keine Gefahr. Und wo keine Gefahr auch keine Klagebefugnis, so lautet der Schluss.

Dass die Bundesregierung auch nach der Ankündigung im August Waffen nach Israel geliefert hat, wenn auch „nur“ im Umfang von 2,46 Millionen Euro, hat sie mittlerweile selbst zugegeben. Und was in den acht Monaten zuvor geliefert wurde (für circa 250 Millionen Euro) wird deutlich, wenn man sich die Liefergruppennummern ansieht: A0004 „Bomben, Torpedos, Raketen“ oder A0005 „Feuerleiteinrichtungen“. Und wen wundert’s noch. Es hat keine Woche gedauert, nachdem sich die Tür zum Saal B129 geschlossen hatte, da verkündete Regierungssprecher Stefan Cornelius, dass ab sofort wieder das volle Waffenprogramm nach Israel geliefert wird. Der Profit der Waffenschmieden war im September und Oktober wohl doch zu mickrig.

In den Ohren von Quassem M. wird es wie Hohn klingen: Um Waffenexporte zu stoppen, war seine Klage zu früh, weil er nicht wusste, was ein Jahr später vor Gericht zählen wird, und gleichzeitig war sie am 12. November zu spät, denn da galt das Wort des Kanzlers. Eine Woche weiter beginnt es dann wieder von vorne.

Auch den Klägern des „3.000 Matador“-Verfahrens beschied das Gericht nichts Besseres. Diese Klage sei nämlich einfach zu spät. Denn, so die klugen Juristen in Moabit, die Genehmigung ist spätestens mit der Lieferung erledigt. Hinterher gehe da gar nichts mehr. Nicht nur politisch, sondern auch juristisch, produziert die Doktrin der Staatsräson eine Parallelwelt: Entweder gibt es noch keine Gefahr oder sie ist schon wieder verschwunden. Merkwürdig ist dann nur, wo all das Leid, der Tod und die Wunden herkommen, wenn die Gefahr doch so flüchtig scheint.

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"Juristische Parallelwelt", UZ vom 21. November 2025



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