„Bürgerrechtler“ protestieren gegen die Überführung von MfS-Akten

Kein Ende der „Aufarbeitung“

Von Nina Hager

Dauerhaft werden sie gesichert: Filme, Tonbänder, Kilometer von Akten – Materialien des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Bis Mitte 2021 sollen sie aus der sogenannten Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) ins Bundesarchiv überführt werden. Einige Landesfilialen der Behörde sollen geschlossen werden, dort Antragsstellung auf Akteneinsicht und Beratung aber weiter möglich sein. Das beschloss der Bundestag am 26. September mit den Stimmen aus Union, SPD und FDP. Linke und Grüne enthielten sich. Die AfD-Abgeordneten stimmten dagegen. Angeblich, weil die BStU abgewickelt und geschlossen werden soll. Am Vorabend der Bundestagssitzung hatte die AfD-Fraktion gar zu einer Podiumsdiskussion: „30 Jahre Friedliche Revolution. Scheitert die Aufarbeitung der SED-Diktatur?“ eingeladen.

Vor der Beratung und Beschlussfassung im Bundestag hatten „Bürgerrechtler“ wie die frühere Leiterin der BStU, Marianne Birthler, protestiert: Das Vermächtnis der friedlichen Revolution des Herbstes 1989 in der DDR werde abgewickelt. In Resolutionen war – „Die Welt“ berichtete – sogar von einem „BStU-Tötungs-Gesetz“ die Rede, von einem „Halali“, zu dem der Bundestag nun blase. Es „muss befürchtet werden, dass (künftig) Überprüfungsauskünfte sowie die Akteneinsicht insgesamt politischen Interessen zu folgen haben“. Gefordert wurde: „Die Unterlagen sollten in einer Sonderbehörde erhalten bleiben.“ Der Historiker und Aufarbeitungsspezialist Ilko-Sascha Kowalczuk erklärte in einem „Spiegel-Interview“: „Es ist ein denkbar ungünstiges Zeichen, dass die Behörde jetzt im dreißigsten Jahr der ostdeutschen Revolution aufgelöst werden soll. Die Stasi-Unterlagen-Behörde ist mehr als ein Archiv. Sie steht wie keine andere Institution für die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur. Auch international gilt sie als beispielgebend, als Leuchtturm der Aufarbeitung. Ihre Überführung in das Bundesarchiv wirkt nun wie ein Schlussstrich unter diese Aufarbeitung. Das spielt allen Revisionisten in die Hände, die die DDR weichzeichnen und ihren Diktaturcharakter leugnen wollen.“

Was bedauern Kowalczuk und Co. eigentlich? Die Materialien sollen lediglich technisch wie archivalisch gesichert werden. Sie werden auch danach zugänglich sein: Für Antragsteller wie „Diktaturforscher“. Die „Aufarbeitung“ wird weitergehen. Sie soll sogar möglichst ausgeweitet werden. Auch künftige Generationen sollen die DDR nur als „Unrechtsstaat“ wahrnehmen. Denn im Jahresbericht zum „Stand der Deutschen Einheit“ heißt es dementsprechend unter der Überschrift „Zukünftiger Umgang mit den Stasi-Unterlagen“, dass das Konzept von BStU und der Präsident des Bundesarchivs „die Vorgaben und Empfehlungen des Bundestagsbeschlusses ‚Die Aufarbeitung der SED-Diktatur konsequent fortführen’ vom 9. Juni 2016“ aufnehme und diese in ein realistisches Handlungskonzept umsetze: „Die weitere Aufarbeitung des SED-Unrechts wird damit nachhaltig und dauerhaft gestärkt.“

Die AfD nutzte die Bundestagsdebatte zu diesem Thema angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen auch für den Wahlkampf. Der ursprünglich aus Herten stammende und in Thüringen lebende Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner hetzte übel gegen die Linkspartei. Und das Bundestagspräsidium? Es griff nicht ein.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Kein Ende der „Aufarbeitung“", UZ vom 11. Oktober 2019



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