Über den Teilerfolg der Fußball-Fanszene

Keine Folklore

Raphael Molter

Die Innenministerkonferenz (IMK) endete am 5. Dezember und zeigte das bekannte Muster: Erst wird ein düsteres Bedrohungsbild aufgebaut und nach großen Protesten werden die angekündigten Maßnahmen still zurückgezogen. Der Rückzieher wird dennoch als entschlossene Sicherheitspolitik verkauft. Monatelang wurde ein empirisch nicht haltbares Bedrohungsszenario heraufbeschworen. Die vermeintlich eskalierende Gefahr im Fußball existiert schlicht nicht. Der Rückzug der IMK von personalisierten Tickets, KI-Überwachung und Gesichtsscans ist daher kein Entgegenkommen an die Fans. Sie ist das Eingeständnis, dass die Drohkulisse nicht tragfähig war.

Die Ursachen für den Angriff auf die Fankultur liegen tiefer. Wer die Logik einer Politik, die Stadien zum Sicherheitslabor macht, verstehen will, muss auf die Militarisierung der BRD blicken. Eine Regierung, die die Bevölkerung auf Kriegstüchtigkeit einschwört und den permanenten Ausnahmezustand herbeiredet, braucht Felder, auf denen sie ihre Erzählung von Gefahr und Kontrolle ausrollen kann. Der Fußball eignet sich dazu hervorragend: massenwirksam, emotional aufgeladen, staatlich gut zu fassen. Repression wird hier zum Testlauf gesellschaftlicher Disziplinierung.

Dass nun eine bundesweite Stadionverbotskommission beim DFB eingerichtet werden soll, ist Teil derselben Logik. Formal zentralisiert, aber faktisch so konzipiert, dass die Entscheidungsmacht bei Verbänden und Vereinen verbleiben dürfte. Die Politik kann einmal mehr behaupten, gehandelt zu haben, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen. Und die Vorankündigung, im Juni über Pyrotechnik zu beraten, ist nichts anderes als die Festlegung der nächsten Konfliktlinie. Wer also glaubt, die IMK habe gelernt, irrt. Sie organisiert bereits den nächsten Angriff.

Die Fans jubeln zu Recht über einen Teilerfolg. Doch der Konflikt ist nicht beendet. Er zeigt, dass staatliche Eingriffe im Fußball kein Nebenschauplatz sind, sondern Ausdruck der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Wo Militarisierung im Innern durchgesetzt werden soll, geraten auch Fans ins Visier. Deshalb ist der Widerstand der Kurven mehr als Folklore: Er ist Teil eines größeren politischen Kampfes um Selbstbestimmung und Wahrheit in Zeiten, in denen beides knapp gehalten wird.

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"Keine Folklore", UZ vom 12. Dezember 2025



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