Über Hamburg auf dem Weg in den repressiven Staat

Randale kam gerade recht

Von Nina Hager

Sollte es leichter für die Behörden werden, Demonstrationen zu verbieten, wenn sie gewalttätige Ausschreitungen erwarten?“ Auf diese Frage einer von der „Berliner Zeitung“ in Auftrag gegebenen und am Montag veröffentlichten Forsa-Umfrage antworteten bundesweit 55 Prozent der Befragten, sie seien dafür. 48 Prozent meinen, die „radikale Linke“ bedrohe die Demokratie. 52 Prozent der Befragten glauben, dass die Politik die „linke Gefahr“ bislang unterschätzt habe. Vor allem die über 60-Jährigen und die Anhänger der CDU sind für ein härteres Vorgehen. Gegen alle Linken. Interessanterweise sind zwar 54 Prozent der befragten Berlinerinnen und Berliner gegen die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit, aber 42 Prozent sind bereits dafür.

Die Umfrage wurde wahrscheinlich erst in der Woche zuvor durchgeführt. Da hatten die „Informationen“ von n-tv und anderen Sendern, hatte deren Berichterstattung und Verleumdung der G20-Gegner bereits „Pflöcke gesetzt“. Wie auch die bürgerlichen Zeitungen, die den friedlichen Protest der vielen Zehntausenden, die in Hamburg gegen den G20-Gipfel demonstriert hatten, ignoriert oder diffamiert hatten.

Es war dann auch nicht ohne „Geschmäckle“, dass die Umfrageergebnisse knapp eine Woche nach der „Panorama“-Sendung vom 24. Juli in der ARD veröffentlicht wurden. Sollen auch deren Inhalte entwertet werden? In dieser Sendung wurde die Behauptung von Hamburgs Oberbürgermeister Scholz (SPD) „Polizeigewalt hat es nicht gegeben …“ zurückgewiesen. Es wurde unter anderem über Gewalt gegen Demonstrationsteilnehmer wie völlig Unbeteiligte berichtet: Im „Hamburger Abendblatt“ stand zu lesen, dass (zu diesem Zeitpunkt) dem Dezernat Interne Ermittlungen der Hamburger Innenbehörde 49 formelle Ermittlungsverfahren gegen Polizisten bekannt wären, 41 davon wegen Körperverletzung im Amt: „Wie die Innenbehörde bestätigte, gehen die Ermittler im Rahmen von Prüfungen weiteren 75 Fällen gegen Beamte nach – die Gesamtzahl der verdächtigten Polizisten könnte so auf mehr als 100 Beamte steigen.“ Obgleich inzwischen viele Übergriffe im Internet dokumentiert wurden, ist es offenbar so, dass viele Betroffene nach wie vor keine Anzeige gestellt haben.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile jedoch zumindest gegen jene Polizeibeamten, die einen Bus mit Mitgliedern der sozialistischen Jugendorganisation „Die Falken“ aus Nordrhein-Westfalen, der Gewerkschaftsjugend, der Grünen Jugend und der Alevitischen Jugend NRW, die sich an der Demonstration am 8. Juli gegen den G20-Gipfel in Hamburg beteiligen wollten, stoppten. Die Insassen, darunter Minderjährige, wurden stundenlang in der Gefangenensammelstelle festgehalten und entwürdigend behandelt. Doch welch ein Hohn: Die Polizei und der Hamburger Innensenator haben da inzwischen „Fehler“ eingeräumt, sich in diesem Falle sogar entschuldigt.

Das alles ist nicht nur Wahlkampf, in dem die SPD in Hamburg vielleicht „Stärke“ demonstrieren wollte und – welch eine Pleite – der CDU wie CSU eine Vorlage lieferte. Aber da stehen Scholz und Co. ja in „guter Tradition“. Hier geht es aber um weitaus mehr. Um ein längerfristiges Konzept des Grundrechteabbaus im Land, um mehr Bespitzelung und Überwachung, um „Freiräume“ für Repressionsorgane und ihre unkontrollierte engere „Zusammenarbeit“, letztlich um den Ausbau eines repressiven Polizeistaates. Und es geht um die Diskreditierung aller Forderungen zur grundlegenden Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.

Übrigens. Es ist zwar Sommerpause im Bundestag, aber ein Abgeordneter, Andrej Hunko („Die Linke“), stellte an die Bundesregierung trotzdem eine Anfrage. Vor dem G20-Gipfel hatte es in der EU – und über diese hinaus – einen intensiven Austausch über linke Aktivisten gegeben. Offenbar um deren Ausreise aus den entsprechenden Staaten bzw. die Einreise in die EU bzw. Deutschland zu verhindern oder geheimdienstliche bzw. polizeiliche Maßnahmen vorzubereiten. Dabei hatte das Bundeskriminalamt (BKA) Kontakte zu sogenannten PGWT-Stellen (Police Working Group on Terrorism), ein informelles Netzwerk von Staatsschutzbehörden in anderen Ländern, sowie zu Ämtern in den USA und Kanada. Das 1979 entstandene Netzwerk wurde auch nach der Gründung von Europol nicht aufgelöst. Welcher Kontrolle es unterliegt, ist unbekannt. Das mit den PGWT-Stellen in anderen Staaten zusammenarbeitende BKA muss zudem dem Bundestag über diese Zusammenarbeit nicht wirklich Rechenschaft ablegen, sondern soll nur „anlassbezogen“ oder auf „Anforderung“ des Bundesinnenministeriums berichten. Und das wird auch in diesem Fall wohl nicht anders sein.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Randale kam gerade recht", UZ vom 4. August 2017



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