Killing you softly – Glyphosat und die EU

Eine Glosse von Guntram Hasselkamp

Die EU hat Monsanto einen Persilschein ausgestellt. Glyphosat sei „wahrscheinlich nicht krebserregend“. Nein, nein, es ist nicht das, wonach es aussieht. Es geht auch völlig ohne TTIP.

Der bürgerliche Staatsapparat hat sich schon immer schwer getan, wenn es den einschlägigen Unternehmen akzeptabel erschien, einen Teil der Bevölkerung umzubringen. Die Großbourgeoisie ist die herrschende Klasse. Das ist kein leeres Wort.

Der Klassiker heißt Asbest. Die Todesopfer weltweit gehen in die Millionen. Bis heute sterben allein in Deutschland jährlich Tausende an der Faser. Warnungen gab es seit 1898. Die Asbestose ist seit 1900 bekannt, seit 1924 trägt sie diesen Namen. Dennoch dauerte es in der Bundesrepublik vom Erkennen bis zum endgültigen Verbot 93 Jahre. Das traditionell hackenknallende Reichsgesundheits-, sorry, Bundesgesundheitsamt hatte zuvor das Asbestrisiko auf entschädigungsfreundliche „zehn Zigaretten pro Jahr“ beziffert. Nach Meinung der Eternitindustrie wäre das Sterben der unzähligen Opfer auch weiterhin christlich-milde lächelnd in Kauf zu nehmen gewesen, da ohne Asbest der bekannt-beliebte Untergang des Abendlandes inklusive des Verlustes der ebenso bekannten unzähligen Arbeitsplätze drohte. Asbest war und ist ein Bombengeschäft. Zuerst mit dem Verbau. Heute mit der Sanierung. Das im Wortsinn erstickend-elende Verrecken ist noch lange nicht zu Ende.

Und nun der Top-Renditetreiber Glyphosat. Ein Milliardengeschäft seit 1970. Monsanto, Hersteller der Glyphosat-Marke „Roundup“, ist mit 11,7 Mrd. Umsatz Weltmarktführer. Monsanto produziert das Totalherbizid und das Herbizid-resistente, gentechnisch veränderte Saatgut „roundup-ready“, gleich mit. Ein Triumph der Agro-Industrie: Es gibt für die Probleme der Welt die Super-Duper-Lösungen aus Monsantos Genlaboren und Reagenzgläsern. Leider blieben sie nicht in den Reagenzgläsern.

700 000 Tonnen dieses supertollen Glyphosat werden jährlich weltweit verspritzt, mehr als 30 000 Tonnen Pestizide nur in Deutschland. Glyphosat ist natürlich nicht das einzige Herbizid, aber das am meisten eingesetzte. Die angeblich so genkritische Bundesrepublik importiert allein 6 Mio. Tonnen Gen-Soja pro Jahr. Genetisch verändertes und natürlich Glyphosat-gespritztes und belastetes Soja und Mais sind die Futterbasis der Großviehhaltung auch in Deutschland. Und auch in Deutschland gibt es die Sikkation, die Pestizid-Besprühung des Getreides kurz vor der Ernte zum Zwecke der besseren Erntefähigkeit. Der Erfolg: Im Urin von 70 Prozent aller Bundesbürger ist Glyphosat nachweisbar. Der Unkrautkiller übersteht auch die Back- und Kochprozesse. Es lässt sich in der Bundesrepublik von einer generellen, stetig steigenden Hintergrundbelastung mit Glyphosat sprechen.

Stoffwechselerkrankungen, bösartige Veränderungen der Lymphbahnen und des Knochenmarks, Parkinson, Bluthochdruck, Autismus, Alzheimer – die Liste der Krankheiten, die mit Glyphosat in Verbindung gebracht werden, ist lang. Wie kaum anders möglich, fehlt der „rauchende Colt“, der Kausal-Beweis in der Kette. Aber wer will schon Menschenversuche machen.

Was es aber gibt, sind signifikante statistische Korrelationen. Insbesondere dort, wo Glyphosat exzessiv, großflächig, z. T. vom Flugzeug aus versprüht wird, wie in den Soja-Monokulturen Südamerikas. Damit dürfte eine Risikoannahme gerechtfertigt sein. Schließlich hätte, ginge es nach den geltenden Rechtsnormen, der Hersteller die Unbedenklichkeit zu beweisen, nicht die Gesellschaft das Gegenteil. Aber zurück in die Wirklichkeit. Dort gibt es den üblichen zähen wie zynischen Juristen- und Gutachterkrieg, den die großen Multis mit ihren überlegenen Rechtsabteilungen immer dann inszenieren, wenn sie ihre Profite bedroht sehen. Wie beim Asbest, beim Tabak, beim CO2 … In den neoliberalen Zeiten des schlanken Staates verfügen Aufsichtsbehörden in der Regel über wenig bis gar kein eigenes längerfristiges Forschungspotential, kaum über fachjuristische Kompetenzen. Sie sind auf die Gutachten derer angewiesen, die sie zu überwachen vorgeben. Häufig genug auch auf deren Manpower. Es bleibt kaum mehr als Plausibilitätsprüfung. Die Drehtür läuft gerade hier auf Hochtouren. Monsanto gilt als der multimillionenschwere Champion auf dem Gebiet des Lobbying. Wie es aussieht, auch diesmal mit Erfolg.

Aber – nichts bleibt, wie es ist. Auch mit immer mehr Herbizid kann Monsanto die Evolution nicht außer Kraft setzen. Der Glyphosat-gestählte Survival of the Fittest hat die „Super Weeds“ geschaffen. Herbizid-resistente Wildkräuter, darunter der bis zu zweienhalb Meter hohe, extrem schnellwüchsige und hochpotente „Palmer Amaranth“. Wo er auftaucht, ist bald Ende im Gelände. 28 Mio. Hektar in den USA sind schon betroffen, vieles verloren. Die „Super Weeds“ läuten die nächste Runde ein, im Wettlauf mit der Agro-Chemie. Und da ist nur eines klar:

Es gibt Verlierer. Wir alle.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Killing you softly – Glyphosat und die EU", UZ vom 20. November 2015



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit