Bundesinstitut wird Nähe zur Industrie vorgeworfen

Krebs durch Glyphosat?

Von Matthias Lindner

Ist das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat krebserregend? Diese Frage hat nun offiziellen Charakter bekommen. Kürzlich stufte die Krebsbehörde der Weltgesundheitsorganisation (IARC) als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ ein. Dem widersprach das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).

Der Streit der Institute kommt für die Industrie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. In diesem Jahr läuft die Zulassung von Glyphosat in der EU aus, und mehrere Anbieter haben eine Verlängerung der Zulassung beantragt. Ende des Jahres will die EU-Kommission entscheiden, ob das Mittel für weitere zehn Jahre in der Europäischen Union auf Äckern versprüht werden darf. Im Zuge des Verfahrens ist das BfR damit befasst, für die EU-Risikobehörde Efsa eine wissenschaftliche Neubewertung vorzunehmen.

Die IARC sieht Krebsgefahren vor allem an Tierversuchen bestätigt und auch „begrenzte“ Belege für Gefahren für den Menschen. Im Fachmagazin Lancet Oncology veröffentlichten die Experten ihre Ergebnisse: Es sei „wahrscheinlich

Missbildungen bei Tieren

krebserzeugend für den Menschen“. Sie begründen ihre Einschätzung mit aktuellen Untersuchungen aus Schweden, Kanada und den Vereinigten Staaten. Demnach hätten Personen, die direkt mit der Chemikalie in Berührung gekommen waren, im Vergleich zu Menschen ohne Glyphosatkontakt ein erhöhtes Risiko, an Lymphdrüsenkrebs zu erkranken. Zudem zeigten Versuche bei Mäusen und Ratten „ausreichende Belege“ für die Krebsgefahr.

Dem widersprach das BfR: „Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft ist bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Glyphosat kein gesundheitliches Risiko für den Menschen zu erwarten“, teilten dessen Experten laut Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit. Alle Bewertungsbehörden in der EU und in Nordamerika kämen zur gleichen Einschätzung wie das BfR. Selbst das bei der WHO beheimatete Gremium „Joint Meeting on Pesticide Residues“ (JMPR), teile diese Auffassung. Vertreter des IARC bestätigten dies, fügten aber hinzu, dass es sich dabei um eine ältere Einschätzung handele.

NGOs und Politiker der Grünen greifen das BfR wegen seiner Einschätzung an. Die Einrichtung orientiere sich an „Interessen der Industrie“, sagte beispielsweise der Grünen-Agrarpolitiker Martin Häusling. Gänzlich von der Hand zu weisen, ist diese Kritik nicht, auch wenn Behördenleiter An­dreas Hensel hinter der Kritik eine politische Kampagne sieht. Das BfR stützt sich nämlich bei seiner Beurteilung der Giftigkeit u. a. auf Studien, die von der Glyphosat Task Force (GTF) vorausgewählt wurden. Die GTF ist ein Zusammenschluss von Agrarchemiefirmen wie Monsanto Europe, Syngenta und Dow. Sie gaben dem BfR nicht nur Zusammenfassungen wissenschaftlicher Fachpublikationen, sondern auch teils unter Verschluss gehaltene Auftragsstudien. Hensel weist den Vorwurf von der Industrie beeinflusst zu sein, zurück: Sämtliche zugrunde liegenden Quellen seien unabhängig geprüft und bewertet worden. Darunter seien auch Studien und Kommentare gewesen, die Bürger, Wissenschaftler und NGOs einreichen konnten. „Inwieweit diese Beiträge berücksichtigt wurden, ist bisher unklar“, sagt Peter Clausing, Toxikologe beim Pestizid Aktionsnetzwerk Germany, einer industriekritischen NGO. Kurt Straif, Leiter des Prüfungsgremiums bei der IARC, fügte an, zahlreiche Studien, welche die IARC als relevant betrachte, seien „vom BfR offensichtlich bislang nicht berücksichtigt worden“.

Hinweise über die Schädlichkeit des Mittels hat es schon lange gegeben. So hegten Milchbauern schon lange den Verdacht, das Mittel mache die Kühe krank. Mit dem Kraftfutter aus Amerika wird es an die Tiere verfüttert. Tierversuche hatten ergeben, dass Missbildungen bei Tieren auftreten, die der Chemikalie direkt ausgesetzt sind. Eine argentinische Studie berichtete von Fehlbildungen bei menschlichen Embryonen, und aus Südamerika ist zu hören, Kinder in der Nähe von Soja- und Maisplantagen würden auffällig häufig an Krebs erkranken.

Das wundert Monika Krüger, Tierärztin und Mikrobiologin, überhaupt nicht. Die emeritierte Institutsleiterin der Universität Leipzig sagt: „Glyphosat ist ein Hormonzerstörer.“ Selbst niedrige Konzentrationen der Chemikalie und seines Abbauprodukts könnten schädlich sein. Immerhin sei die Chemikalie ein Komplexbildner, der Nährstoffe sehr leicht bindet und dadurch auch die Aufnahme von wichtigen aromatischen Aminosäuren blockiert. Glyphosat hätte auch eine antibakterielle Wirkung: Es töte im Darm vor allem die nützlichen Bakterien und verschone die schädlichen. „Die sind nämlich gegen Glyphosat resistent.“ Das führe wiederum zu chronischen Darmerkrankungen.

Glyphosat ist für die Hersteller ein profitträchtiges Geschäft. Weltweit setzen sie gut 720 000 Tonnen des Stoffs ab – und kassieren dafür etwa 5,5 Milliarden Dollar. In Deutschland wird es auf 40 Prozent aller Äcker verwendet. In anderen Ländern ist es weiter verbreitet; vor allem dort, wo der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen erlaubt ist. Der US-amerikanische Agrarkonzern Monsanto hat es entwickelt und 1970 patentieren lassen. Seit 2000 gibt es mehrere Dutzend zugelassener Glyphosatpräparate auf dem deutschen Markt.

Für Bauern ist seine Anwendung lohnend. Vor der Aussaat wird es auf den Acker gebracht, wo es alle Unkräuter tötet. Das spart viel Geld und Zeit, die man ansonsten für mechanische Unkrautbeseitigung aufwenden müsste. Noch effizienter wird es in Zusammenhang mit genetisch veränderten Pflanzen: Die Bauern können sprühen, wann immer sie wollen und das Getreide bleibt verschont, weil es gegen das Mittel resistent ist. Mancherorts wird es sogar großflächig mit Flugzeugen versprüht.

Doch wo Licht, da auch Schatten ist: Anders als von den Herstellern versprochen, verliert das Mittel zunehmend seine Wirkung. „In Nordamerika bilden sich immer häufiger Resistenzen gegen Glyphosat“, sagt die Biologin Angelika Hilbeck von der ETH Zürich. Auf Mais- und Baumwollplantagen sprießen deshalb die unerwünschten Superunkräuter. Die Bauern sind gezwungen, immer mehr zu sprühen – und nur die Chemiekonzerne profitieren davon.

Glyphosat wird im Boden durch natürliche Prozesse abgebaut, was mehrere Wochen bis Monate dauern kann. Dennoch kommen alle mit dem Mittel in Berührung. Es lässt sich in den Böden, im Wasser, in Lebensmitteln und im menschlichen Organismus nachweisen. Je öfter das Mittel gespritzt wird, desto höher sind auch die Rückstände.

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"Krebs durch Glyphosat?", UZ vom 14. August 2015



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