Französische Regierung hält am Sozialabbau fest

Land im Aufruhr

Von Georg Polikeit

Streiken sie nun oder streiken sie nicht während der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich, deren Vorrundenspiele am heutigen Freitag (10.6.) beginnen? Es war bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht endgültig klar.

Auf jeden Fall hat die Gesamtheit der Pilotengewerkschaften bei Air France einen dreitägigen Pilotenstreik vom 11. – 14. Juni angekündigt, also genau zum Beginn der Fußball-EM.

Außerdem hält die „Intersyndicale“ der linken Gewerkschaftsbünde CGT, FO und SUD, der Studentengewerkschaft UNEF und der Schülergewerkschaften UNL und FIDL den Aufruf zu einer großen nationalen Demonstration am 14. Juni in Paris aufrecht. An diesem Tag soll die Beratung über das „Loi Khomri“ („Arbeitsgesetz“) im Senat beginnen. Da dies ein Dienstag ist, verbindet sich die Teilnahme aus allen Teilen Frankreichs an dieser Demonstration mit entsprechenden Arbeitsniederle­gungen in den Heimatorten.

Ob auch die Streiks beim staatlichen Eisenbahnunternehmen SNCF, in den Kernkraftwerken und Elek-tri­zitätszentralen, bei den Raffinerien und in der Müllentsorgung fortgesetzt werden, war Anfang dieser Woche noch nicht zu übersehen.

Eine letzte Verhandlungsrunde bei der SNCF am Montag (6.6.) war erst am Dienstagfrüh nach zähen Verhandlungen über den Entwurf einer neuen Vereinbarung zur Arbeitszeitregelung in dem Unternehmen zu Ende gegangen. Währenddessen ging der Eisenbahnerstreik auch am Dienstag mit erheblichen Störungen des Bahnverkehrs in ganz Frankreich weiter. Es war der siebte Streiktag in Folge. Laut Angaben der Direktion fielen in diesen Tagen rund 50 Prozent der Züge im Pariser Regionalnetz, etwa 40 Prozent in den anderen Regionalnetzen und bei den TGVFernschnellzügen, etwa 70 Prozent bei den Intercitys am Tag und sämtliche Nachtzüge aus.

Die betrieblichen Gewerkschaftsorganisationen der Eisenbahner haben nun Zeit bis zum 14. Juni, um das Abkommen zu unterzeichnen. Während UNSA und CFDT, die „reformistischen“ Gewerkschaften, bereits Zustimmung signalisierten, wollen CGT und SUD-Rail, die zusammen 60 Prozent der Belegschaft repräsentieren, den vorliegenden Entwurf erst genau prüfen. Die Direktion hat gemäß einem Wunsch der Regierung zwar wohl auf ursprünglich geplante „Flexibilisierungen“ verzichtet, aber Klauseln aufgenommen, die es ermöglichen, das Abkommen jederzeit wieder aufzukündigen. Ob das ausreicht, um die Eisenbahner zur Einstellung des Streiks vor allem während der Fußball-EM zu veranlassen, war am Dienstag noch nicht abzusehen.

Parallel zum Eisenbahnerstreik hatten am vergangenen Wochenende auch die Beschäftigten in 16 von 19 französischen AKWs ihren Streik fortgesetzt und zum Teil die Stromproduktion spürbar gedrosselt. Teilweise ergaben sich stundenweise Stromausfälle, zum Beispiel in der Region Saint-Nazaire. Ebenso standen infolge von Streikbeschlüssen der Beschäftigten sechs von acht französischen Raffinerien still oder war ihre Treibstoffproduktion (Benzin und Diesel) erheblich reduziert. Seit letzten Freitag (3. Juni) blockierten Streikposten die Zufahrten zu mehreren Müllentsorgungszentren im Großraum Paris, auch noch am Montag. Die Müllabfuhr am Wochenende in der Hauptstadt wurde „verlangsamt“. Ähnliche Streikfolgen gab es in anderen Großstädten wie Toulouse, Saint-Etienne und Nantes.

Unterdessen versuchten Staatschef Hollande und Regierungschef Valls, die Streikenden als Störer des Zugangs der Zuschauer zu den EM-Spielen anzuprangern und damit in der Öffentlichkeit zu isolieren. SNCF-Chef Pepy forderte eine „Unterbrechung“ der Streiks mit Verweis auf die Opfer der Überschwemmungen in Paris und am Unterlauf der Seine, mit denen jetzt „Solidarität“ geübt werden müsse.

Philippe Martinez, der Generalsekretär der CGT, der am Samstag als Gast auf dem Parteitag der PCF mit großem Beifall begrüßt worden war, antwortete darauf mit der Erklärung, dass es nicht das Ziel der CGT sei, die Fußball-EM zu blockieren. Die CGT seit jederzeit gesprächsbereit, und zwar ohne Vorbedingungen. „Wenn die Regierung morgen sagt, ‚Wir diskutieren‘, gibt es keine Streiks mehr.“ sagte er („Le Monde“, 1.6.). In Wirklichkeit sei allein das starrsinnige Festhalten der Regierung an den großen sozialen Rückschritten im Entwurf des neuen „Arbeitsgesetzes“ für jede Art von Blockierungen verantwortlich, stellte die „Intersyndicale“ der Gewerkschaften und Jugendverbände in einem gemeinsamen Kommuniqué fest.

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"Land im Aufruhr", UZ vom 10. Juni 2016



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