Schon zwei Wochen vor der ersten Verhandlungsrunde am 3. Dezember hatte der hamburgische Finanzsenator Andreas Dressel die Tonart der Arbeitgeberseite für die Tarifverhandlungen angeschlagen: „Mit ritualisierten astronomischen Forderungen nicht erfüllbare Erwartungen zu wecken, die am Ende zu großen Enttäuschungen bei vielen Beschäftigten führen, ist nicht zielführend.“
Dressel ist Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL). Am Verhandlungstisch äußerte er dann seinerseits bekannte ritualisierte Aussagen: Die geforderte Lohnerhöhung passe nicht in die Zeit, es sei kein Geld da, weder in Gänze für alle Beschäftigten und schon gar nicht für eine überproportionale Erhöhung der unteren Lohngruppen. Das gelte genauso in besonderen Bereichen. So seien die Hochschulen in einer schwierigen Lage, deswegen gebe es keine Grundlage für die Tarifierung der Arbeitsbedingungen der studentisch Beschäftigten.
Insofern bleibt nach der ersten Verhandlungsrunde das erwartete Signal der Arbeitgeber an die rund 2,2 Millionen Beschäftigten: Es gibt kein Angebot – also nichts, woran verhandelt werden kann. Im zentralen Flugblatt kann ver.di denn auch nur feststellen, dass die Arbeitgeber sich bei der Ablehnung der Forderungen etwas freundlicher gegeben haben als im Vorfeld.
Auch Frank Wernecke, Verhandlungsführer für die Gewerkschaften, betonte am Abend des ersten Verhandlungstags in einer Videokonferenz mit betrieblich Aktiven, dass die Arbeitgeber bemüht gewesen seien, nicht zu aggressiv aufzutreten. Sie hätten versucht, nichts zu formulieren, was für eine Mobilisierung tauge und einfach auf Flugblätter gedruckt werden könne. Auf die Frage, was im Vorfeld der zweiten Verhandlungsrunde passieren müsse, forderte die ver.di-Verhandlungsspitze „Leben“ und „Energie“ in den Betrieben und für die Tarifforderungen ein. Es besteht unter anderem die Sorge, dass die Mobilisierung für Streiks durch die anstehenden Feiertage und den Jahreswechsel nicht so richtig ans Laufen kommen könnte. Im Flugblatt heißt das zusammengefasst: „Ohne Druck geht es nicht.“ Das ist natürlich absolut richtig, wirkt allerdings auch etwas ritualisiert.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Politik der Bundesregierung, die eine viele Milliarden schwere Aufrüstung und Kriegstreiberei finanziert, wird deutlich, dass die Arbeitgeber der Länder stärker von den Ritualen abweichen wollen. Es wundert nicht, dass es der bayrische Ministerpräsident Markus Söder ist, der hier voranschreitet. Schon vor der Tarifrunde verkündete er, dass die Tarifsteigerung erst mit einer Verzögerung von sechs Monaten auf die Beamtinnen und Beamten in Bayern übertragen werde.
Aus Angst vor Mobilisierungseffekten und aus verhandlungstaktischen Gründen war man bisher bemüht, solche Aussagen vor dem Tarifabschluss zu vermeiden. Ähnlich ist das Infragestellen der Tarifeinigung in Hamburg zu sehen: Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder lässt sich einerseits vom Hamburger Finanzsenator Dressel vertreten, kassiert aber die in Hamburg vereinbarte Zulage wieder ein. Das ist eine Schwächung des Verhandlungsführers. Eine mögliche zusätzliche Streikbereitschaft unter den Beschäftigten im Stadtstaat scheint jedoch nicht als Hindernis dafür gesehen zu werden, neue Reallohnverluste bei langer Tarifvertragslaufzeit durchzusetzen.
Zum Verhandlungsauftakt hat es gute Aktionen der Beschäftigten gegeben. In München wurde beispielsweise ein satirisches Theaterstück gespielt und solidarisch gesungen. Das ist ein gelungener Start, der die Energie erzeugt, die diese Tarifrunde braucht.
Um zu einem Ergebnis zu kommen, das an den im Frühjahr vereinbarten Tarifabschluss bei Bund und Kommunen heranreicht, braucht es vor allem Streiks. Auch um Erfahrungen darüber zu sammeln, was es auslöst, wenn Streikende selbst das Tempo im Betrieb bestimmen und nicht mehr die Klinikvorstände, Behörden- oder Schulleiter. Wenn die Beschäftigten ihre Macht spüren, dann werden sie auch in der Lage sein, Rituale zu durchbrechen.



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