Boliviens Linke ist im Parlament an den Rand gedrängt, der nächste Präsident wird ein Rechter. Doch der Widerstand wird groß sein

Letzte Hoffnung: Die Straße

Die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Bolivien findet erst am 19. Oktober statt, aber schon jetzt ist klar, dass das Ergebnis ein katastrophaler Einschnitt sein wird. Erstmals seit zwei Jahrzehnten stehen sich in der Stichwahl nur zwei Vertreter der Rechten gegenüber, während die seit 2006 regierende Linke nach internen Spaltungen sogar fast als parlamentarische Opposition ausgeschieden ist: Im 36 Mitglieder zählenden Senat ist sie gar nicht mehr vertreten. In der 130 Köpfe starken Abgeordnetenkammer stürzte die bisherige Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS-IPSP) bei der ersten Wahlrunde am 17. August von bisher 73 Parlamentariern auf nur noch zwei ab, die als Abspaltung von ihr angetretene Volksallianz (AP) kam auf acht Mandatsträger. Das entspricht auch dem Resultat der Präsidentschaftswahl, bei der AP-Kandidat Andrónico Rodríguez, ein früherer Mitstreiter von Expräsident Evo Morales, 8,5 Prozent der Stimmen erreicht hatte, während MAS-Vertreter Eduardo del Castillo mit 3,2 Prozent abgestraft wurde.

Dem verheerenden Resultat vorausgegangen war ein jahrelanger Richtungs- und Machtkampf zwischen dem von 2006 bis zum Putsch 2019 regierenden Evo Morales und seinem ab 2020 amtierenden Nachfolger Luis Arce. Letzterer hatte sich nach schlechten Umfrageergebnissen entschieden, sich nicht um eine Wiederwahl zu bewerben, während Morales vor Gericht unter Verweis auf Bestimmungen in der Verfassung verboten wurde, sich um eine weitere Amtszeit zu bewerben. Der Expräsident, der seine eigene Partei „EVO Pueblo“ gegründet hat (was offiziell die Abkürzung für „Estamos Volviendo Obedeciendo al Pueblo“ – Wir kommen wieder und gehorchen dem Volk – darstellen soll), rief seine Anhänger daraufhin auf, leere Stimmzettel abzugeben. Diesem Appell folgten knapp 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler – was mit knapp 1,4 Millionen Stimmzetteln kaum weniger als die für den Zweitplatzierten abgegebenen Voten waren. Morales erklärte sich daraufhin zum eigentlichen Wahlsieger: „Die Geschehnisse belegen, dass mit dem Stimmzettel die Korruption, der Verrat und die Lüge bestraft wurden.“ Der Expräsident und ehemalige Gewerkschaftsführer setzt auf seine in den ländlichen Regionen noch immer starke Unterstützerbasis, von dort aus wolle man eine neue Kraft aufbauen.

Zunächst wird es aber darum gehen, den Rollback zu bekämpfen – und der zeichnet sich bereits ab. Während zahlreiche Spitzenfunktionäre der bisherigen Regierung eilig ihre Rücktritte erklären, setzten zwei Gerichte bereits die führenden Köpfe des Staatsstreichs von 2019, Luis Fernando Camacho und Marco Antonio Pumari, auf freien Fuß – zum Entsetzen der Angehörigen der Opfer des Putsches, die Gerechtigkeit fordern. Auch die von den Putschisten eingesetzte Staatschefin Jeanine Áñez konnte jubeln, nachdem ein Gericht sich für nicht zuständig erklärte, gegen sie wegen eines Massakers in Sacaba zu prozessieren.

Das kubanische Internetportal „Cubadebate“ warnte bereits, dass die überwältigende Mehrheit der Rechten – die zusammen künftig mehr als 85 Prozent der Abgeordneten und alle Senatoren stellen – dazu führen könnte, dass sie eine neue Verfassunggebende Versammlung einberufen, „um die rassistische und neoliberale Republik wiederherzustellen und den plurinationalen Staat zu eliminieren“. Es komme darauf an, ob die mindestens 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler umfassende Volksbewegung, die aufgrund der Spaltung der Linken nicht entsprechend in der neuen Legislative vertreten ist, dagegen wirksam auftreten kann. Sie sei potentiell in der Lage, auf der Straße die Regierbarkeit des südamerikanischen Staates in Frage zu stellen.

In der zweiten Runde entscheidet sich nun, ob der nächste Staatschef Boliviens der ultrarechte Expräsident Tuto Quiroga wird, der 1997 bis 2001 Vizepräsident unter dem ehemaligen Diktator Hugo Banzer und nach dessen Rücktritt 2001 für zwölf Monate Staatschef war. In seine Amtszeit fielen gewaltsame Angriffe der Staatsmacht auf die Kokabauern, denen Dutzende Menschen zum Opfer fielen. Auch Rodrigo Paz, der als Gewinner aus der ersten Runde hervorgegangen war, entstammt der Elite der alten bolivianischen Republik, sein Vater Jaime Paz Zamora regierte das Land von 1989 bis 1993. Beobachter erwarten, dass er den Wünschen der Agrarindustrie folgen wird und den Konzernen immer größere Flächen zur Bewirtschaftung zur Verfügung stellt, was dem bolivianischen Regenwald schweren Schaden zufügen dürfte. Bolivien steht vor harten Klassenkämpfen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Letzte Hoffnung: Die Straße", UZ vom 5. September 2025



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol LKW.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit