Mit Drohnenhysterie zu Wehrpflicht und Schießbefehl

Merz will Kriegsgemeinschaft

Groß war es angekündigt: Am „Tag der Deutschen Einheit“ wollte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) eine „Ruck“-Rede halten. Und tatsächlich: Der Kanzler sprach von „Aufbruch“, ruckelte sich dann aber eher mühsam durch die abgenutzte BRD-Alltagsdemagogie gegen die DDR. Vor allem aber breitete er die aktuellen Sorgen des deutschen Kapitals aus: „Die Ausstrahlungskraft dessen, was wir den freien Westen nennen, nimmt jedenfalls erkennbar ab.“ Und fügte dem das Standardgejammer der Großbourgeoisie an: Die „sozialen Versprechen, die wir uns untereinander gegeben haben“, seien „heute so viel schwerer zu erfüllen als sie es früher waren“.

Was daraus folgte, war ohne Überraschung: Sozialleistungen kappen oder ganz beseitigen. Vor allem aber: Wehrpflicht für alle. Denn eine „Achse von autokratischen Staaten“ fordere „die westlichen Demokratien geradezu heraus. Deshalb müssen wir wieder fähig werden, unsere Freiheit zu verteidigen.“ Die Verantwortung dafür liege „bei uns allen“ und Verantwortung heiße, „wieder Wehrdienst zu leisten“. Die neue Wehrdienstvolksgemeinschaft ist so als Rettung aus allen Krisen angekündigt. Überschrift der Rede: „Der Staat, das sind wir alle.“

Die Hochstufung der Wehrpflicht zum politischen und propagandistischen Hauptkettenglied der Regierungspolitik setzte Merz am Wochenende mit Hetze gegen Russland fort. In der ARD behauptete er bei „Miosga“: „Die Vermutung ist, dass Russland hinter den meisten dieser Drohnenflüge steckt.“ In der Talkshow „Pinar Atalay“ sagte er: Russland sei „ein Feind unserer politischen Ordnung“, aber die russische Wirtschaft sei „sehr geschwächt“. Die politische Unruhe nehme dort zu und irgendwann werde Putin „zu Gesprächen bereit sein“.

Dieses Kriegsprogramm erfordert neue Kommandostrukturen und Schießbefehle für die Bundeswehr. Am Dienstag berichtete „Politico“, das Kanzleramt solle eine zentrale Rolle im Drohnenabwehrkampf erhalten. Bereits am Mittwoch dieser Woche (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ) wollte sich das Bundeskabinett mit Gesetzesänderungen befassen, die der Bundeswehr mehr Abschussrechte im Inland einräumen.

Die Drohnenhysterie erfüllt so ihren Zweck und spielt auch bei der für Merz so wichtigen Wehrpflicht eine Rolle. Umso größer die Panikmache, umso leichter lassen sich restriktive Maßnahmen durchsetzen oder im Zweifelsfall gar der „Spannungsfall“ ausrufen, wie es der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter derzeit fordert. Die Wehrpflicht wäre sofort wieder in Kraft.

Bisher ist offiziell noch die Rede davon, dass die gewünschten 30.000 neuen Soldaten pro Jahr (bis 2029) vor allem mit finanziellen Anreizen gewonnen werden sollen. Merz äußerte sich bei Miosga aber skeptisch: „Ich vermute, es wird bei Freiwilligkeit allein nicht bleiben.“ Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte die Kritik in „Bild am Sonntag“ zugespitzt: „Eine Wischiwaschi-Wehrpflicht hilft niemandem.“

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"Merz will Kriegsgemeinschaft", UZ vom 10. Oktober 2025



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