Mit Herz und Stimme für das Volk, gegen Rassismus

Das Konzept

von Grup Yorum

Grup Yorum unterhält das Kulturzentrum“Idil“. Es trägt den Namen unserer Genossin Ayçe Idil Erkmen, einer Musikerin und Theaterkünstlerin, die 1996 im Todesfasten gegen die Isolationsgefängnisse gefallen ist. Im Rahmen unseres Kulturzentrums geben wir eine Kultur- und Kunstzeitschrift heraus.

Die Geschichte unserer Zeitschrift „Tavir (Position) im Kultur- und Kunstleben“ reicht 35 Jahre zurück. Es gibt nur wenige Kultur- und Kunstzeitschriften in unserem Land mit einer so langen Geschichte. Es ist eine der ältesten sozialistischen Zeitschriften. Die Texte werden von Grup-Yorum-Mitgliedern und MitarbeiterInnen des Kulturzentrums verfasst. In der „Tavir“ veröffentlichen wir Gedichte, Geschichten und Bücher, die sich auf die revolutionäre Kunst beziehen.

Idil-Volkstheater: Unsere Theatergruppe erarbeitet große Aufführungen auf der Bühne bis hin zum Straßentheater. Sie ist mit ihren Stücken auch schon auf Tournee gegangen. Ihrem Selbstverständnis nach steht sie in der Tradition von Brecht und sozialistischen DarstellerInnen.

Fosem ist unser Foto- und Kinoteam. Wir haben Filme gemacht, die in den Kinos gezeigt wurden, aber auch kurze Dokumentarfilme und Videos. Wir führen Fotoausstellungen durch. Beim Film „Typ F“, den wir gedreht haben, arbeiteten wir mit den neun wichtigsten Regisseuren unseres Landes zusammen. Wir haben darin von den Isolationsmaßnahmen in den F-Typ-Gefängnissen in der Türkei erzählt.

Orchester der „Kinder der Hoffnung“: Wir haben ein Orchester gegründet, in dem wir Kinder aus armen Bevölkerungsschichten ausbilden. Der bedeutende Orchesterchef Orhan Salliel und Konservatoriums-SchülerInnen stellen sich als LehrerInnen zur Verfügung. Wir haben knapp 60 SchülerInnen, denen wir die Instrumente kostenlos zur Verfügung stellen. Dazu gehören Cello, Viola, Geige, Orchesterflöte, Klarinette, Baglama (türk. Seiteninstrument), und Pauke … Leute aus dem In- und Ausland haben Instrumente gespendet.

Grup-Yorum-Volkschöre gibt es in Ankara, Izmir, Istanbul, Antalya, Hatay, Adana und Dersim. Wir geben unseren Menschen und unseren HörerInnen in ganz Anatolien musikalische Ausbildung und wir arbeiten daran, einen riesigen Volkschor zu gründen.

In unserem Kulturzentrum verfügen wir über eine Theater- und Kinobühne, auf der wir Filmaufführungen und kleinere Konzerte durchführen. Außerdem führen wir kontinuierlich Theaterkurse, Musikkurse, Foto- und Filmkurse durch.

UZ: Euer Konzert „Ein Herz und eine Stimme gegen Rassismus“ hat stattgefunden. Und das, trotzdem das deutsche Konsulat der Gruppe Grup Yorum das Einreisevisum verweigert hatte, weil elf der zwölf Musiker aus der Stammbesetzung Ihrer Gruppe in einer Datenbank der Schengen-Staaten aufgeführt werden, in der unter anderem im Schengen-Raum „unerwünschte“ Personen gespeichert werden. Was war der wirkliche Grund für die Verweigerung der Einreise?

Grup Yorum: Wir sind zig Mal nach Europa eingereist. Dieses Jahr waren wir bereits in Deutschland, Österreich, Frankreich und anderen europäischen Ländern. Wir stießen dabei auf keinerlei Hürden, die unsere Einreise in den Schengen-Raum verhindert hätten. Wir haben erst jetzt davon erfahren, uns ist auch nicht bekannt, ob es ein Verbot gibt oder nicht, denn es wurde uns nicht offiziell mitgeteilt. Das deutsche Konsulat hat uns nur mitgeteilt, dass es Maßnahmen ergreifen werde, um unsere Einreise in die Schengen-Staaten zu verhindern.

Der Grund, weshalb Deutschland und andere europäische Länder unsere Einreise behindern, ist unsere Gesinnung. Es stört sie, dass wir unsere Ansichten mit unseren Liedern auf Konzerten zur Sprache bringen. Wir veranstalten in Deutschland seit vier Jahren große Konzerte gegen den Rassismus. Es ist der deutsche Staat, der den Rassismus schürt und fördert. Obwohl man von der Existenz der Nazi-Organisationen weiß und die Nazis dem Verfassungsschutz bekannt sind, werden sie nicht behindert, sondern gefördert. Es sind diese Nazi-Organisationen, die Geschäfte von Menschen aus der Türkei und anderen MigrantInnen niederbrannten und sie ermordeten. Die Gerichte bestrafen nicht die wahren Täter. Nicht die deutsche Bevölkerung trägt die Verantwortung für diese Verbrechen, sondern der deutsche Staat.

Wir sind sozialistische KünstlerInnen und bringen das in unseren Liedern zum Ausdruck. Wir haben ein breites Publikum in Europa. Der deutsche Staat gibt uns kein Visum, weil wir, anders als bei gewöhnlichen Musikveranstaltungen, auch politisch Stellung beziehen.

UZ: Vor wenigen Wochen hat Bundeskanzlerin Merkel der türkischen Regierung zugesagt, dass türkische Bürger in Zukunft leichter Visa erhalten sollen. Für sozialistische Musiker gilt das offensichtlich nicht?

Grup Yorum: Es ist für Menschen aus der Türkei schwierig ein Visum für Deutschland und den EU-Raum zu bekommen. Seit Jahren wird über die Erleichterung bei Visa-Erteilungen geredet. Der deutsche Staat spricht von Freiheit, raubt uns aber unsere Reisefreiheit und die Freiheit, mit unseren Fans zusammenzutreffen.

UZ: Die türkische Polizei hat schon oft Mitglieder Ihrer Gruppe festgenommen und Konzerte verboten. Wie gehen Sie mit solchen Angriffen um?

Grup Yorum: Unsere größte Stärke gegen Polizeiangriffe und Verhaftungen ist unsere Verbindung mit der Bevölkerung. Wir werden uns auf keinen Fall diesen Angriffen ergeben. Wenn unser Konzert verboten wird, spielen wir vor der Tür. Wenn unsere Mitglieder festgenommen werden, treten junge „Yorum“-Mitglieder oder befreundete KünstlerInnen als „Grup Yorum“ auf die Bühne und singen unsere Lieder. Wir nehmen jede Gelegenheit für ein Konzert wahr. Unsere Lieder sind auf den Straßen aus Taxis und Bussen zu hören … Menschen aus der Bevölkerung spielen auf ihren Balkonen unsere Musik … Wir geben in jeder Straße rund um den geplanten Konzertplatz Minikonzerte.

Gemeinsam mit befreundeten KünstlerInnen organisieren wir breite Solidarität. Wir haben Strafanzeige gegen den Gouverneur erstattet, der unser Konzert in Istanbul verboten hat. Wir starteten Unterschriftenkampagnen. Wir führten eine Aktion vor dem Präsidentschaftspalast in Ankara durch und zeigten ein Transparent. Klar, wir wurden festgenommen … Wir gingen vor Gericht, um das Konzertverbot aufzuheben.

Wenn wir also mit Behinderungen konfrontiert sind, setzen wir einerseits rechtliche Mittel ein, andererseits protestieren wir unter dem Motto „Jene, die die Lieder einer Nation machen, sind stärker als die, die Gesetze machen“ dagegen. Was auch immer geschieht, wir halten unser Konzert ab.

UZ: Im April verbot die Erdogan-Regierung euer „Volkskonzert“ in Istanbul, im vergangenen Jahr waren zu diesem Konzert über eine Million Menschen gekommen. Ihr habt erklärt: „Wo das Volk ist, ist ein Auftrittsgelände von Grup Yorum.“ Wie konntet ihr trotz Wasserwerfern und Straßenschlachten spielen?

Grup Yorum: Trotz der Polizeiattacken haben Zehntausende Menschen, ganze Familien, unser Konzert besucht. Tausende Polizisten verstellten den Zugang zum Konzertgelände. Wir konnten nicht auf den Konzertplatz, konnten unsere Bühnenanlage nicht aufbauen. Wir haben dann in allen Straßen Konzerte abgehalten. Wir konnten nicht überall sein, aber die Bevölkerung sang überall unsere Lieder und tanzte dazu. Sie haben die Menschen angegriffen, die sangen und tanzten. Unsere Konzerte sind mehr als nur Vergnügungsorte. Die Polizei greift uns an, weil wir den Menschen Hoffung geben, wir ermutigen sie, Widerstand zu leisten. Obwohl dieses Jahr die Gouverneure versuchten unsere Konzerte zu verbieten, haben wir mit einem Gerichtsbeschluss auf den Plätzen der fünf größten Städte unser 30. Jubiläum mit großen „Volkskonzerten“ gefeiert.

UZ: Inzwischen gibt es Grup Yorum seit 30 Jahren – was sind die wichtigsten Schlussfolgerungen, die Sie aus dieser Geschichte ziehen? Offenbar schafft es Grup Yorum ja, innerlinke Konflikte zu überwinden.

Grup Yorum: Was wir vor allem aus unserer 30-jährigen Geschichte schließen können ist, dass KünstlerInnen einen starken Bund mit dem Volk schließen und den Lebensstil des Volkes führen müssen. Wir kommen aus dem Volk und wir haben gesehen, wie wichtig es ist, auch Kinder zu „Künstlern des Volkes“ auszubilden. Darum werden wir immer beliebter und stärker. Die Zahl unserer ZuhörerInnen steigt ständig. Während Grup Yorum anfangs nur von der linken Szene gehört wurde, ist sie mittlerweile die Gruppe, welche die meistbesuchten Konzerte des Landes veranstaltet.

Yorum-Konzerte werden von allen Teilen der Linken und der Bevölkerung besucht. In der Schwarzmeerregion, wo der türkische Nationalismus stark angekurbelt wird, veranstalteten wir Konzerte mit einer starken Aussagekraft. Auch in den kurdischen Regionen veranstalten wir große Konzerte, die von Massen besucht werden.

Wir sind keine Nationalisten, wir stehen auf der Seite der unterdrückten Völker. Aus unserer eigenen Praxis sehen wir, dass eine sozialistische, realistische Kunst richtig ist. Wir leben das. Genau das jagt der AKP-Regierung Angst ein. Wir sehen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

KünstlerInnen sollten Kunst für das Volk machen, nicht für die Musikindustrie. KünstlerInnen, die im Volk organisiert Musik machen, kennen keine Grenzen und Einschränkungen, sind frei.

UZ: Sie sehen sich in der Tradition zum Beispiel von Inti Illimani aus Chile. Was heißt das für Ihre Musik?

Grup Yorum: Als wir vor 30 Jahren begonnen haben, war Inti Illimani ein wichtiges Beispiel für uns. Wie Mikis Theodorakis in Griechenland, Victor Jara in Chile usw. Wir haben unter die Lupe genommen, wie sie revolutionäre Musik betreiben. Wir haben KünstlerInnen wie Brecht, Majakowski, Gorki, Wapzarow analysiert. Und wir lesen auch weiterhin, bilden uns fort. Wir singen die alten Lieder nicht aus Nostalgie. Wir singen sie für heute, für morgen.

Mittlerweile reicht es musikalisch nicht mehr aus, allein das traditionelle Baglama zu spielen. Auf der ganzen Welt hat sich die Musik stark weiterentwickelt. Wir haben unsere Musik mit dem Hinzufügen der Gitarre, Schlagzeug, E-Gitarre und Dreier-, Fünfervokalen bereichert, um eine facettenreichere Musik anzubieten. In der Türkei hatten wir Vorgänger. Wir haben die von diesen begründete Tradition weitergeführt, eine neue musikalische Richtung entwickelt. Wir haben die Volkslieder nicht in ihrem Kern verändert, aber mit einem Rocksound ergänzt. Zudem gab es symphonieartige Ergänzungen, was die Musik sehr bereichert. Mit diesen musikalischen Erweiterungen haben unsere Lieder eine viel größere Wirkungskraft.

UZ: Ihr letztes Album haben Sie dem Volkssänger Ruhi Su gewidmet. Sie nennen ihn Ihren Lehrer – welche Bedeutung hat die Tradition der Volksmusik für Sie?

Grup Yorum: Für unsere Musik ist es sehr wichtig, was revolutionäre KünstlerInnen produziert haben. Von jedem/jeder Einzelnen lernen wir Neues, was unserem Volk Hoffnung geben kann. Was aber weitaus wichtiger ist, wir haben uns nicht von den anatolischen Wurzeln abgewendet. In Anatolien gibt es eine starke Tradition der Dichter. Von der Zeit der Osmanen bis heute haben Volksdichter Lieder gesungen und dem Volk Hoffnung gemacht. Sie wurden verfolgt, gefoltert, hingerichtet.

Grup Yorum hat wunderbare Stücke aus dieser tausendjährigen Dichtertradition gesammelt und in die Gegenwart getragen. Die progressivsten Volksdichter tauchen auf der Bühne von Grup Yorum auf. Sie tragen ihre Volkslieder nicht nur zur Unterhaltung vor, sie berichten von der Geschichte. In dieser Geschichte gibt es Massaker gegen das Volk, aber auch Widerstand. Es gibt wunderbare Liebesgeschichten, Liebeslieder, die von Treue, Loyalität und einer starken Bindung erzählen. KünstlerInnen sollten die Kultur, Musik und Geschichte ihres Volkes kennen, sie weiterentwickeln und die Welt damit beschenken. Genau das versuchen wir zu erreichen und es gibt immer noch viel zu lernen.

UZ: Sie sagen, Sie hätten aus der traditionellen Musik Anatoliens und westlichen Einflüssen einen neuen, progressiven Musikstil geschaffen. Was heißt das, worin drückt sich das Neue aus?

Grup Yorum: Die traditionelle, anatolische Musik wird nur mit einem Instrument gespielt. Ein Sänger trug in derselben Tonlage zur Baglama seine Volkslieder vor. Mit der Entwicklung in der Industrie, Kommunikation, dem temporeicheren und komplexeren Lebensstil unseres Volkes, reichte diese Musik nicht mehr aus. In den 70ern fand die Rock- und Popmusik ihren Einzug. Die klassische Musik bestand weiterhin, verlor aber an Einfluss. Der neuen Generation, der Jugend reichte diese Musik nicht mehr aus.

Gleichzeitig kam es zu einem großen Zerfall, die Musik begann einen Lebensstil zu beschwören, den unser Volk als falsch empfand. Die Volksmusik, die dagegen hielt, war zu schwach. Es wuchs eine Jugend heran, welche die westliche Musik blind vergötterte und die traditionelle Musik geringschätzte.

Während die Musik auf der ganzen Welt schnell fortschreitet und industrialisiert wird, halten wir nicht an der traditionellen Musik von vor 100 Jahren fest, sonst hätte unsere Musik nicht so eine Verbreitung gefunden. Die Musik entwickelt sich weiter wie ein lebendiger Organismus.

Gegenwärtig haben wir Songs geschrieben, die den Widerstand unseres Volkes gegen den Imperialismus und Faschismus thematisieren. Wir erzählen von Revolutionären, die in diesem Kampf gefallen sind. Werden a cappella vorgetragen, manche symphonisch, manche als Marschlieder. Wir legen uns nicht in eine Richtung fest. Wir machen revolutionäre Musik.

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"Mit Herz und Stimme für das Volk, gegen Rassismus", UZ vom 27. November 2015



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