45 Jahre nach dem Krefelder Appell findet am Krefelder Gründungsort eine Veranstaltung unter dem Motto „Kunst und Wissenschaft für den Frieden“ statt. UZ sprach mit den Organisatoren.
UZ: 45 Jahre nach dem Krefelder Appell ist die Welt kein friedlicher Ort. In Deutschland sollen US-Raketen stationiert werden. Ihr führt in Krefeld am 25. Oktober eine Veranstaltung unter dem Titel „Kunst und Wissenschaft für den Frieden“ durch. Ist es eine reine Erinnerungsveranstaltung?
Ingrid Vogel: Dass sich der „Krefelder Appell“ zum 45. Mal jährt, ist eher Zufall. Im Fokus steht der aktuelle „Berliner Appell“, für den wir mit unserer Veranstaltung werben wollen.
Peter Lommes: Natürlich ist es aber auch eine Erinnerungsveranstaltung, schließlich arbeiten wir nicht seit 50 Jahren im luftleeren Raum. Vor allem ist es aber eine agitatorische Veranstaltung. Es geht darum, die Menschen auf die vorhandene Problematik aufmerksam zu machen. Viele wissen nichts von der Absicht, ab dem kommenden Jahr Erstschlagswaffen gegen Russland in der BRD zu stationieren. Und für Agitation benötigt man vor allem Herz und Verstand, also Kultur und Wissenschaft. Darum knüpfen wir mit dieser Veranstaltung unmittelbar an die Veranstaltungen „Künstler für den Frieden“ an, die auch den Krefelder Appell begleitet haben.
UZ: Ihr schlagt also an historischem Ort den Bogen vom Krefelder zum Berliner Appell?
Ingrid Vogel: Ja. Im Seidenweberhaus wurde – in einer ähnlich bedrohlichen Situation politisch-militärischer Konfrontation wie heute – im November 1980 der „Krefelder Appell“ verfasst, der damals von über 4 Millionen Menschen unterschrieben wurde. Heute gibt es den „Berliner Appell“. Dieser richtet sich ebenfalls gegen atomwaffenfähige Mittelstreckenraketen, die 2026 in Deutschland, und zwar nur in Deutschland, stationiert werden. Damit steht Deutschland im Fadenkreuz bei kriegerischen Auseinandersetzungen.
Peter Lommes: Mit Pershing und Cruise Missiles sollten Erstschlagswaffen, damals noch gegen die Sowjetunion, in der BRD stationiert werden. Ich war damals als junger SDAJler bei der Veranstaltung im Seidenweberhaus als Ordner mit dabei. Auch da sind die 4 Millionen Unterschriften nicht von heute auf morgen zusammengekommen. Die ersten 500.000 Unterschriften waren die schwersten. Das ist heute ähnlich.
UZ: Die Bedingungen sind anders als 1980, Kultur wird gecancelt, wenn sich Künstlerinnen und Künstler für einen Dialog mit Russland aussprechen oder sich nicht der deutschen Staatsräson beugen. War es schwierig, Künstlerinnen und Künstler für eure Veranstaltung zu begeistern?
Ingrid Vogel: Einschränkungen von Presse- und Meinungsfreiheit kennzeichnen die Politik seit einigen Jahren. Dennoch gibt es viele Wissenschaftler und Künstler mit Rückgrat, die nicht vor der Obrigkeit buckeln und sich nicht verbiegen lassen, auch wenn sie mit Anfeindungen und Diffamierung rechnen müssen. Die Musiker und Referenten, die wir für unsere Veranstaltung gewinnen konnten, waren sofort begeistert und bereit, lange Anreisen für einen nur zehnminütigen Auftritt auf sich zu nehmen. Einige von ihnen sind Erstunterzeichner des „Berliner Appells“.
UZ: Wer kommt denn alles? Was erwartet die Zuschauer an Programm?
Ingrid Vogel: Wir freuen uns, dass Helmut Rehmsen, langjähriger Moderator beim WDR, durch unser Programm führen wird. Die Agitprop-Gruppe „Die Unbelehrbaren“ werden das Publikum am Eingang mit einer Bundeswehr-Satire auf die Veranstaltung einstimmen. Im Programm wechseln sich informative Redebeiträge ab mit musikalischen Darbietungen. Auch der Bereich Theater ist mit im Boot. Neben Wissenschaftlern haben wir auch den Bundeswehrmajor a. D. Florian D. Pfaff vom „Darmstädter Signal“ als Redner.
Peter Lommes: Insgesamt umfasst das Programm drei Stunden. Natürlich sind Kai Degenhardt, Tobias Thiele, Christa Weber, Hartmut König und Kutlu mit der „Microphone Mafia“ dabei. Dieter Hallervorden wird per Video zugeschaltet Aber auch lokale Künstler waren direkt bereit. Krefelder Schauspieler oder der dreimalige Hiphop-Weltmeister Majid Kessab. Der Hammer ist aber, dass sich die Band „Tchalo“, die in Krefeld mit ihrer Weltmusik Kult war, für einen Auftritt noch einmal zusammengetan hat.
UZ: Wann war euch klar, dass ihr nicht nur an die guten Zeiten der Friedensbewegung erinnern wollt?
Ingrid Vogel: Eigentlich war es eine spontane Idee, im Krefelder Seidenweberhaus mit einer Großveranstaltung für den „Berliner Appell“ zu werben. Es war auch eine Erinnerung an die Stärken der damaligen Friedensbewegung. Als ich sie Peter auf einer unserer freitäglichen Mahnwachen erzählte, sagte er trocken: „Das setzen wir um!“ Und das Bündnis war geboren …
Peter Lommes: Es geht um das Jetzt und Heute und es geht um Verbreiterung des Aktivs der Friedensbewegung. Und vor allem geht es darum, Kunst und Kultur als eine Säule der Friedensbewegung stärker in die Öffentlichkeit zu holen. Vielleicht finden sich ja in anderen Städten sogar Nachahmer dieser Veranstaltung. Das wäre das Größte.
UZ: Ihr legt auch einen Fokus auf Wissenschaft. Wen konntet ihr aus diesem Bereich gewinnen?
Ingrid Vogel: Lühr Henken und Reiner Braun, zwei langjährige Friedensaktivisten aus Berlin, stellen den „Krefelder Appell“ und „Berliner Appell“ in einen Zusammenhang. Dr. Karin Kulow, Andrea Hornung, Dr. Werner Rügemer und Hermann Ploppa thematisieren unter anderem Hochrüstung und Sozialabbau, Militarisierung im Innern, Völkerrecht statt „Staatsräson“ und als positiven Ausblick: multipolare Weltordnung und weltweite Selbstversorgung. Eine Videogrußbotschaft haben uns auch Dr. Eugen Drewermann, Dr. Margot Käßmann und der langjährige UN-Mitarbeiter Michael von der Schulenburg geschickt.
UZ: Warum braucht es im Kampf um den Frieden das Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft?
Ingrid Vogel: Wissenschaft und Kunst sind tragende Elemente einer Gesellschaft. Die Wissenschaft erforscht und kommt zu Ergebnissen, Diskurs und Austausch sind ihr wichtig. Kunst zeigt die kreative Seite vom Leben, ist avantgardistisch und rüttelt uns wach. Kultur ist im friedenspolitischen Kampf, auch bei einer Veranstaltung wie der unsrigen, ein ganz wichtiges Element. Sie ist Kraft- und Inspirationsquelle. Sie hat die fabelhafte Eigenschaft, universell und völkerverbindend zu sein.
Peter Lommes: Politische Arbeit braucht Herz und Verstand. Die manifestieren sich in Kunst und Wissenschaft. Kurz, in der Kultur. Und ohne Kultur wird es nie einen erfolgreichen politischen Kampf geben. Wir überzeugen die Menschen nicht „nur“ mit Argumenten, sondern wir binden die Menschen über die Kultur. Wissenschaft und Kultur gehören zusammen, um eine kämpferische Moral zu entwickeln. Moral alleine aber läuft oft ins Leere, genauso wie Argumente alleine oft ins Leere laufen. Das Zusammenspiel von beidem macht unsere Arbeit aus, schafft einen Resilienzfaktor, bei dem Humor und Spaß nicht zu kurz kommen.
Die Fragen stellte Melina Deymann
Veranstaltung am 25. 10. 2025
„Kunst und Wissenschaft für den Frieden“
im Seidenweberhaus Krefeld, 15 – 19 Uhr
Karten gibt es hier.