Brasilien: Dem Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald soll der Prozess gemacht werden

Neuer Angriff auf die Presse

Die brasilianische Regierung unter dem rechten Präsidenten Jair Bolsonaro geht gegen den Enthüllungsjournalisten und Pulitzer-Preisträger Glenn Greenwald vor. Der Reporter wurde weltweit bekannt, nachdem er dem US-Whistleblower Edward Snowden 2013 geholfen hatte, die globalen Überwachunsprogramme der US-Geheimdienste publik zu machen, und hat später die Enthüllungsplattform „The Intercept“ mitgegründet.

Der US-Journalist Greenwald und sechs weitere Personen sind wegen Internetkriminalität angeklagt worden, 95 Seiten soll die Anklageschrift der Bundesstaatsanwaltschaft in Brasilia umfassen. Sie wirft Greenwald „Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung“ vor und Personen „direkt geholfen, ermutigt und angeleitet“ zu haben, die Handys von hochrangigen Beamten zu hacken, darunter Justizminister Sergio Moro und Staatsanwalt Deltan Dallagnol, der Leiter der Anti-Korruptionsoperation „Lava Jato“ (Autowäsche).

Tatsächlich hat „The Intercept Brasil“ private Chat-Nachrichten und Mails von Staatsanwälten und Richtern veröffentlicht, an die Hacker gelangt waren. Das publizierte Material stützt den Verdacht, dass der frühere Richter und heutige Justizminister Sér­gio Moro sowie Staatsanwälte, die im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras gegen zahlreiche Politiker ermitteln, parteilich vorgegangen sind. Ziel des illegalen Komplotts war offenbar, den früheren linken Präsidenten und Wahlfavoriten Luiz Inácio „Lula“ da Silva ins Gefängnis zu bringen und damit dem rechten Bolsonaro den Weg zum Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2018 zu ebnen. Nach den „Intercept“-Enthüllungen ist Lula im vergangenen Jahr schließlich wieder freigekommen.

Greenwald, der mit dem linken brasilianischen Parlamentarier David Miranda verheiratet ist, hat sich nach Bekanntwerden der staatlichen Verfolgung umgehend an die Öffentlichkeit gewandt. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien ein Angriff auf die Pressefreiheit und die Demokratie in Brasilien, so Greenwald. „Der Missbrauch des Staatsapparats oder der Regierung Bolsonaro lässt uns nicht einschüchtern.“
Edward Snowden nannte die Anklage einen „absolut roten Alarm“. Es sei „eine Vergeltungsaktion für die Aufdeckung extremer Korruption auf höchster Ebene der Regierung von Bolsonaro und eine existenzielle Bedrohung für den investigativen Journalismus in Brasilien“, erklärte der im russischen Exil lebende US-Whistleblower auf Twitter.

Auch in Brasilien selbst haben einem taz-Bericht zufolge zahlreiche Organisationen die Anklage gegen Greenwald kritisiert, darunter die Brasilianische Gesellschaft für Investigativjournalismus (Abraji), der brasilianische Journalistenverband (Fenaj) und der Brasilianische Presseverband (ABI). Der Präsident der Abgeordnetenkammer in Brasília, Rodrigo Maia, twitterte: „Die Anklage gegen den Journalisten Greenwald ist eine Bedrohung für die Pressefreiheit. Journalismus ist kein Verbrechen. Ohne freien Journalismus gibt es keine Demokratie. Journalismus ist keine Straftat.“

Die US-Regierung hat sich zur staatlichen Verfolgung ihres Staatsbürgers durch die politisch verbündete Bolsonaro-Regierung nicht geäußert. Wie auch. Die Anklage gegen Greenwald erinnert an das US-Vorgehen gegen den australischen Journalisten und Gründer der Enthüllungsplattform Wikilieaks, Julian Assange, der im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh gesundheitlich schwer angegriffen inhaftiert ist. Am 24. Februar soll in London der von den USA angestrengte Auslieferungsprozess beginnen. Die US-Behörden haben Assange in 18 Punkten angeklagt, als Rache für die Vergeltung von US-Kriegsverbrechen in Afghanistan und Irak. Auch er wurde zum Hacker erklärt, weil er der US-Whistleblower Chelsea (früher: Bradley) Manning geholfen haben soll, geheime Daten des US-Militärs zu kopieren und an Wikileaks weiterzugeben. Kommen die US-amerikanische Justiz und ihre brasilianische Nachahmer mit ihrem Konstrukt durch, ist dies eine ernsthafte Bedrohung für investigativ arbeitende und dem Quellenschutz verpflichtete Journalisten.

Am vergangenen Wochenende meldete sich Greenwald, der sich in Brasilien nur noch mit bewaffneten Leibwächtern in der Öffentlichkeit bewegen kann, abermals zu Wort. Er sei „überwältigt von der Unterstützung, seit brasilianische Staatsanwälte als Vergeltung für unsere Berichterstattung über das Fehlverhalten hoher Beamter der Regierung Bolsonaro Anklage gegen mich erhoben haben“. Bolsonaro und seine Unterstützer hätten wiederholt deutlich gemacht, dass sie nicht an die Pressefreiheit glauben, „aber wir lassen uns von ihren tyrannischen Versuchen, Journalisten zum Schweigen zu bringen, nicht einschüchtern“. Greenwald versicherte, an neuen Enthüllungsberichten zu arbeiten. „Ich werde nicht aufhören zu berichten. Dieser Fall zeigt doch, wie viel Arbeit es gibt, wie korrupt die Behörden sind und wie sehr Transparenz nötig ist.“

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Neuer Angriff auf die Presse", UZ vom 31. Januar 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flugzeug.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit

    Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.