„Wir finden Fahrer, die sich in der eigenen Fahrerkabine erhängt haben“, berichtet Stefan Pfeiffer. Auf Lkw-Fahrern laste riesiger Druck, wegen eines „beinharten Preiskriegs“ zwischen Speditionen. Pfeiffer ist Polizeidirektor. Er leitet die Verkehrspolizeiinspektion Feucht. Die Zitate stammen aus einer Reportage des Branchendienstes „VerkehrsRundschau“, veröffentlicht am 28. Mai. Darin geht es unter dem Titel „Manipulierte Lkw, Fahrer ohne Führerschein: ‚Das sind tickende Zeitbomben‘“ um Speditionen, die Gesetze und Schutzregelungen für ihre Beschäftigten bewusst umgehen.
Aufhänger ist eine Statistik aus Berlin: 2024 gab es alleine in der Bundeshauptstadt 5.595 Unfälle mit Lkw über 3,5 Tonnen. 570 der beteiligten Lkw-Fahrer begingen Fahrerflucht – mehr als jeder zehnte also.
„Tödlicher Unfall in der Wedemark:
Lkw überfährt Kleinkind“
(NDR, 23. Mai)
Die von der „VerkehrsRundschau“ geschilderten Arbeitsbedingungen bei osteuropäischen Speditionen erklären, weshalb so viele Unfälle passieren und warum Unfallverursacher fliehen.
Betroffene Fahrer verdienen zwischen 5 und 10 Euro pro Stunde, deutlich weniger als der in Deutschland vorgeschriebene Mindestlohn in Höhe von 12,82 Euro.
„16-jähriger Radfahrer stirbt in Aurich nach Unfall mit Lkw“
(NDR, 26. Mai)
Viele Fahrer sind ohne Fahrerbescheinigung unterwegs. Ein solches Dokument ist Pflicht für Drittstaatsangehörige, um in der Europäischen Union arbeiten zu dürfen. Etwa jeder dritte kontrollierte Lkw-Fahrer habe gefälschte oder gar keine Papiere. „VerkehrsRundschau“ zitiert Oberkommissar Andre Munker von der Verkehrspolizeiinspektion Feucht: „Wenn ich keinen Mindestlohn zahle, kann ich auch keine Fahrerbescheinigung beantragen.“ Nicht wenige Fahrer sollen gar ohne Führerschein am Lenkrad kurbeln.
„Explosionen in Medingen – Lkw zieht Schneise der Verwüstung“
(Radio Dresden, 6. Juni)
Mitunter würden auch ADR-Schulungsbescheinigungen gefälscht. Solche Gefahrgutführerscheine sind Pflicht für jeden, der Gefahrgut in Deutschland transportiert. Voraussetzung dafür ist eine erfolgreich bestandene Prüfung, die nur in deutscher Sprache angeboten wird.
„Bremse kaputt, völlig überladen, Gefahrgut an Bord:
Polizei zieht in Siegen Lkw aus dem Verkehr“
(Siegener Zeitung, 5. Juni)
Laut Hauptzollamt Münster zeige eine wachsende Zahl an Lkw-Fahrern bei Kontrollen Ausweisdokumente vor, die zwar echt seien, tatsächlich aber anderen Menschen gehörten. Immer wieder stranden Lkw-Fahrer in Deutschland. „Ich kenne Fälle, da wird der Fahrer vom Arbeitgeber gefeuert, wenn er sich kontrollieren lässt“, sagt Andre Munker. Lande ein nicht krankenversicherter Fahrer nach einem Unfall im Krankenhaus, sage dessen Firma im Zweifelsfall: „Den kennen wir gar nicht.“
„Lkw und Bulli stoßen auf L770 in Petershagen zusammen
– Mutter und Baby in Lebensgefahr“
(Mindener Tageblatt, 10. Juni)
Dazu kommen technische Manipulationen an Lastwagen, um Geschwindigkeitsüberschreitungen zu ermöglichen und gesetzlich vorgeschriebene Lenk- und Ruhezeiten missachten zu können. Munker schildert gegenüber „VerkehrsRundschau“ die Kontrolle eines Fahrers, der 55 Stunden am Stück gefahren sei, mit lediglich vier Stunden Pause. „Er ist dann während der Vernehmung mehrmals eingeschlafen.“ Manche Fahrer zögen gar die Sicherung des Fahrtenschreibers. Damit würden auch alle anderen Kontrollsysteme ausgeschaltet, und digitale Fahrassistenten funktionierten nicht mehr.
„Seit 55 Stunden am Steuer:
Lkw-Fahrer schläft bei Kontrolle an A3 in Franken ein“
(in Franken.de, 16. Mai)
Lkw-Fahrer sind mitunter monatelang unterwegs. Sie essen, schlafen und fahren in ihrem Führerhaus. Das macht einsam. Gesundheitliche Probleme, die im häuslichen Umfeld rechtzeitig bemerkt werden könnten, führten unter solchen Umständen häufig zum Tod, schätzt Stefan Pfeiffer. Unbehandelte Herzinfarkte etwa seien keine Seltenheit. Dazu komme übermäßiger Alkoholkonsum. „Was willst du am Wochenende auch machen, wenn du auf dem Rastplatz wohnst“, stellt Pfeiffer nüchtern fest.
„Lkw-Fahrer mit über 2,4 Promille in Irschenberg gestoppt“
(Merkur.de, 2. Juni)
Für kriminelle Spediteure lohnt sich der Betrug. Der „Verfolgungsdruck“ sei nicht besonders hoch, sagt Stefan Pfeiffer. Dem Problem kann man nur durch schärfere Gesetze, höhere Strafen für kriminelle Firmen und vor allem deutlich mehr Kontrollen beikommen.