Die Mindestlohnkommission hat am vergangenen Freitag ihren Lohnbeschluss bekannt gegeben. Demnach wird die untere Schäbigkeitsgrenze für legales Lohndumping von aktuell 12,82 Euro ab 2026 auf 13,90 Euro pro Stunde angehoben. Zum 1. Januar 2027 ist eine weitere Erhöhung um 70 Cent auf 14,60 Euro geplant. Damit bleibt die Höhe des Mindestlohns auf absehbare Zeit unterhalb der Vorgabe der Europäischen Union, wonach 60 Prozent des Medianlohns anzustreben sind. In der Folge müssen sich fünf Millionen Betroffene weiterhin mit Löhnen unterhalb der Armutsgrenze abfinden.
Dem Deutschen Bauernverband geht selbst diese unzureichende Erhöhung zu weit. Er warnt vor vermeintlich „gravierenden Folgen für viele Betriebe“. „Dieser Mindestlohn hat das Potenzial, den Anbau von Obst, Gemüse und Wein aus Deutschland zu verdrängen“, sagte Bauernverbands-Präsident Joachim Rukwied und fügte hinzu: „Wir werden dem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU nicht standhalten können, was zu einer weiteren Produktionsverlagerung ins Ausland führen wird“.
Schon vor der Bekanntgabe des Beschlusses der Kommission hatte der Bauernverband präventiv Ausnahmen vom Mindestlohn für Saisonarbeitskräfte gefordert. „Wir schlagen vor, dass sie 80 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns erhalten“, wird Rukwied von der „Rheinischen Post“ zitiert. Seine zynische Argumentation: Saisonarbeitskräfte hätten ihren Lebensmittelpunkt schließlich nicht in Deutschland.
Die Reaktion aus dem zuständigen Ministerium erfolgte prompt. „Meine Fachleute prüfen, ob es einen rechtssicheren Weg gibt, Ausnahmen vom Mindestlohn möglich zu machen“, ließ Bundesagrarminister Alois Rainer über das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) verlauten. Die Bundesregierung stehe zwar grundsätzlich zum Mindestlohn, aber er nehme die Sorgen der Obst- und Gemüsebauern sehr ernst, so der CSU-Politiker.
„Ohne die wichtige Unterstützung der Saisonarbeitskräfte könnten viele Betriebe ihre Ernte nicht einbringen“, fuhr Rainer fort. Gerade lohnintensive landwirtschaftliche Betriebe stelle die Erhöhungen des Mindestlohns vor finanzielle Herausforderungen. Im Koalitionsvertrag sei außerdem vereinbart, kurzfristige Beschäftigung auf 90 Tage auszuweiten. So könnten nicht berufsmäßig tätige Saisonarbeitskräfte länger sozialversicherungsfrei beschäftigt werden.
Tatsächlich sind die wenigsten Saisonarbeiter kranken- und arbeitslosenversichert, geschweige denn erwerben sie Rentenansprüche. Hinzu kommt, dass die Löhne schon jetzt systematisch bis weit unterhalb des Mindestlohns gedrückt werden. Viele Arbeiter sind mit einer schwer zu durchschauenden Kombination aus Stunden- und Akkordlöhnen konfrontiert und berichten von schwer oder gar nicht erreichbaren Zielvorgaben.
Aufgrund von Sprachbarrieren kennen viele nicht einmal den genauen Inhalt ihrer Arbeitsverträge. In der Regel werden weder eigene Exemplare der Verträge noch Lohnabrechnungen ausgehändigt. Löhne werden oft am Ende der Saison in bar und ohne transparente Abrechnung ausgezahlt. Die Arbeitszeit wird entweder händisch durch Vorarbeiter aufgezeichnet oder mittels Barcodes intransparent erfasst. Meist unterzeichnen die Saisonarbeiter die Aufzeichnungen, auch wenn sie nicht korrekt sind – ansonsten droht die Kündigung.
Die Verantwortung für solche unhaltbaren Arbeitsbedingungen liegt jedoch nicht allein bei den landwirtschaftlichen Betrieben, sondern vor allem bei den großen Supermarktketten. Diese teilen mehr als 85 Prozent des deutschen Lebensmitteleinzelhandels unter sich auf und nutzen ihre enorme Marktmacht, um Preisdruck auf die Erdbeer- und Spargelproduzenten auszuüben. Diesen Preisdruck geben die Landwirte nach unten an die Saisonarbeiter weiter.
Angesichts dieser Verhältnisse und vor dem Hintergrund des jüngsten Vorstoßes des Bauernverbands hat der Sozialpfarrer Peter Kossen in der vergangenen Woche deutliche Worte gefunden: „Den Mindestlohn gerade denen streitig zu machen, die auf Äckern und Höfen bei Hitze und Kälte und sieben Tage in der Woche die Drecksarbeit machen, ist schäbig und dient allenfalls der Agrarindustrie und den Lebensmitteldiscountern.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.