Pandemie und Preissteigerungen treiben immer mehr Verbraucher in den Ruin

Privatinsolvenzen verdoppelt

Im vergangenen Jahr haben 109.031 Menschen in Deutschland Privatinsolvenz angemeldet. Das sind 93,6 Prozent mehr als im Jahr 2020, meldet die Wirtschaftsauskunftei Crif. Die Zahlen waren zuvor zehn Jahre lang jeweils leicht gesunken. Der bisherige Rekord stammt aus dem Jahr 2010, in dem 139.110 Bundesbürger in die Privatinsolvenz gingen.

Ende 2020 hatte der Bundestag eine Reform des Insolvenzrechts beschlossen. Seit dem 1. Oktober 2020 dauert das Verbraucherinsolvenzverfahren drei Jahre. Zuvor dauerte es sechs, in bestimmten Fällen fünf Jahre. Eine Verkürzung auf drei Jahre war vor der Reform nur möglich, wenn der Schuldner innerhalb von drei Jahren mindestens 35 Prozent der Schuldensumme sowie die Gerichtskosten zahlte. Kaum ein Schuldner schaffte das.

Den starken Anstieg der Privatinsolvenzen erklärt Frank Schlein, Geschäftsführer von Crif Deutschland, mit eben dieser Reform. Viele Privatpersonen hätten ihre Insolvenzanträge im Jahr 2020 zurückgehalten, um von der verkürzten Laufzeit zu profitieren. „Dieser Aufholeffekt trieb die Zahl der Privatinsolvenzen 2021 stark nach oben“, so Schlein. Tatsächlich war die Zahl der Insolvenzen im Jahr 2020 mit 56.324 signifikant geringer als 2019. Im Jahr vor der Reform hatten 86.838 Menschen Privatinsolvenz angemeldet.

Die Zahlen deuten aber schon an, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie viele Haushalte bis ins Mark erschüttern. Finanzielle Polster, mit denen sich abhängig Beschäftigte und Selbstständige in Notlagen eine Zeitlang über Wasser halten können – so überhaupt vorhanden –, sind oft schnell aufgebraucht. Nicht jeder Betroffene bekam staatliche Hilfen. Wo es solche Hilfen gab, waren die Beträge oft zu niedrig angesetzt oder wurden zu spät ausgezahlt. „Die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, wie schnell unvorhersehbare externe Ereignisse Menschen unerwartet in eine finanzielle Schieflage bringen können“, bemerkt Frank Schlein dazu. Dann gehört nicht mehr viel dazu, bis Verbraucher k. o. gehen. Ein Großteil derer, die Privatinsolvenz anmelden, haben insgesamt weniger als 10.000 Euro Schulden. Im Mittel stehen Insolvenzschuldner mit knapp unter 19.000 Euro in der Kreide.

Soloselbstständige und Honorarkräfte bewegen sich auf besonders dünnem Eis. Viele von ihnen verloren in der Pandemie fast ihr komplettes Einkommen, von einem Tag auf den anderen. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge versechsfachte sich während der Pandemie die Zahl der Selbstständigen, die Hartz IV beantragten. Entsprechend stark wuchs der Anteil ehemals Selbstständiger an den Privatinsolvenz­verfahren im letzten Jahr.

Auch die wachsende Altersarmut schlägt sich in den Zahlen nieder. Mit 103,3 Prozent gab es die größten Zuwächse in der Altersgruppe 61 Jahre und älter. Die Altersgruppe der 31- bis 40-Jährigen ist mit plus 96,7 Prozent ebenfalls überdurchschnittlich betroffen. Männer sind häufiger betroffen als Frauen: 60,1 Prozent der Privatinsolvenzen wurden von Männern beantragt. Im Norden Deutschlands ist das Risiko höher als im Süden. Bremen führt die Statistik an mit 247 Privatinsolvenzen je 100.000 Einwohner. Niedersachsen liegt mit 180 Fällen auf Platz zwei, Hamburg mit 172 Fällen je 100.000 Einwohner auf Platz drei.

Die Aussichten für dieses Jahr sind düster. Crif Deutschland erwartet „erneut bis zu 110.000 Fälle“ – wohlgemerkt ohne Nachholeffekt. Zu den anhaltenden Folgen der Pandemie und den munter weiter steigenden Mieten kommen jetzt noch saftige Energiepreissteigerungen und immer teurer werdende Lebensmittel.

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"Privatinsolvenzen verdoppelt", UZ vom 25. Februar 2022



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